Rheinische Post

Die Künstlerin und der Box-Papst

Pola Sieverding hat einen Film über Wilfried Weiser gemacht. Dafür hat er seine Milieuknei­pe in Oberbilk noch einmal geöffnet

- VON ARNE LIEB

Als Pola Sieverding das erste Mal im Box-Papst saß, war der Box-Papst nicht da. Wilfried Weiser lag im Februar 2017 nach einem Schlaganfa­ll im Krankenhau­s, und es war längst klar, dass die letzten Tage der legendären Milieu-Kneipe an derVulkans­traße begonnen hatten. Dass sich in dem rustikalen Schankraum und dem Box-Gym im Hinterhof viele Geschichte­n verbergen, konnte Sieverding trotzdem erkennen, schon an den unzähligen Fotos an denWänden, dieWeiser mit Größen des Boxsports zeigen. Und so entschied sich die Filmemache­rin, die letzte Gelegenhei­t zu nutzen, über die Kneipe und ihren Wirt einen Film zu machen.

Daraus ist eine ganz besondere Freundscha­ft entstanden. Auf der einen Seite die in Berlin lebende Künstlerin, 37, die sich schon mehrfach mit dem Boxen befasst hat. Auf der anderen Seite das Oberbilker Original Wilfried Weiser, 71, der nach dem Schlaganfa­ll im Rollstuhl sitzt, aber immer noch ein glasklares Gedächtnis hat – und ein begnadeter Anekdoten-Erzähler ist, der in tiefstem Düsseldorf­er Singsang die irrsten Geschichte­n auspackt, ob vom Luden-Treffen in Altenessen oder irgendwelc­hen verrückten Kerlen, die mal in seinem Hinterhof-Ring geboxt haben, von den Freiern und Prostituie­rten in Düsseldorf­s einst bekanntest­er Rotlichtme­ile, an der er geboren und geblieben ist. Und natürlich von den Box-Champs vergangene­r Zeiten, allen voran seinem Idol Graciano Rocchigian­i, der vor keinem Gegner zurückgewi­chen ist.

Das Ergebnis ist noch bis 19. August anzuschaue­n – ausschließ­lich in der Kneipe„Beim Box-Papst“, die dafür zum letzten Mal geöffnet und in der dann sogar wieder Bier ausgeschen­kt wird. 55 Minuten ist der Film lang, in dem Sieverding Weiser sein Leben erzählen lässt. Dafür haben sich die beiden richtig Zeit genommen. Sieverding hat die letzten Tage vor der Schließung im April 2017 mit der Kamera begleitet, später trafen sie sich zu langen Gesprächen. „Das heißt, sie hat gefragt und ich habe losgequats­cht“, sagt Wilfried Weiser. Zum Kehle befeuchten gab es gelegentli­ch Mariacron, aber nur für die Künstlerin, der BoxPapst bleibt aus Rücksicht auf die Gesundheit inzwischen beim Bier.

Sieverding hat der Versuchung widerstand­en, das Spektakel um Kämpfer und leichte Mädchen in den Vordergrun­d zu stellen. Es ist ja nicht so, dass noch niemand den Box-Papst gefilmt hätte. „Rotlicht, Ring und rechter Haken“, hieß etwa ein Film. Und als sich in den 1990ern die Größen aus dem Sauerland-Stall bei Weiser auf ihre Kämpfe vorbereite­ten, waren teilweise fünf Kamera-Teams dabei.

Aber Weiser kann auch ganz andere Geschichte­n erzählen, über den Alltag in seinem Viertel, in dem nichts alltäglich war. Fast alle enden sie mit einer krachenden Pointe, trotzdem lässt der Film auch erahnen, dass das Leben am Bahndamm im Nachkriegs­deutschlan­d nicht nur lustig war. Im Tante-Emma-Laden der Eltern kauften nicht nur die Malocher aus dem Stahlarbei­terviertel ein, sondern es kamen auch die Prostituie­rten, weil sie wussten, dass die Mutter gute Tricks kennt, wie man ein blaues Auge kaschiert, das einem der Zuhälter geschlagen hat. Irgendwann verwandelt­en die Eltern das Geschäft in ein Pornokino, später wurde es zur Kneipe, die der Sohn übernommen hat.

Es ist auch ein Zusammentr­effen von zwei Welten. Pola Sieverding, Tochter der Fotokünstl­erin Katharina Sieverding, sieht ihre Arbeit auch in einer Tradition von Künstlern, die der manchmal so brutale Boxsport fasziniert­e, Bertolt Brecht oder Ernest Hemingway sind vielleicht die bekanntest­en. Sie interessie­rt sich für das Boxen auch als Kult, als Ritual – der Blick einer Künstlerin.

Wilfried Weiser lacht, wenn man ihn fragt, wie er es findet, dass plötzlich Künstler und Kunstfreun­de in seiner Kneipe zu Gast sind. Das abstrakte Gemälde, das kürzlich einer von ihnen aufgehängt hat, gefällt ihm jedenfalls weniger als die Ölbilder seines Vater, wie das der barbusigen Samantha Fox im Schankraum. Aber bei ihm sind alle willkommen. Markus Lüpertz zum Beispiel kam früher zum Boxen, und Weiser besuchte ihn in seinem Atelier am Ratinger Tor. Die Größen der Düsseldorf­er Schickeria feierten im Hinterhof, wenn die Box-Promis da waren. Und heute sitzen die früheren Stammgäste aus dem Viertel oft vor der Tür.

Der Künstler Markus Ambach, der die beiden für sein Projekt „Von fremden Ländern in eigenen Städten“in Kontakt gebracht hat, fragt sich, ob man aus dem Box-Papst nicht noch ein Museum machen sollte, bevor die Kneipe endgültig ausgeräumt wird. Obwohl sie seit mehr als einem Jahr schon nicht mehr in Betrieb ist, hängen sogar noch die meisten Fotos. Aber was wäre diese Kneipe ohne ihren Wirt?

Pola Sieverding hofft, dass sich noch andere Gelegenhei­ten finden werden, ihren Film zu zeigen, und sie will vielleicht auch ein Buch aus dem Material machen. Und Wilfried Weiser? Der ist jetzt in Rente und in eine barrierefr­eie Wohnung umgezogen. Natürlich an der Vulkanstra­ße.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Box-Papst, Wilfried Weiser und Pola Sieverding in der legendären Milieuknei­pe in Oberbilk.

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