Rheinische Post

Charlottes­ville, eine Stadt in Unruhe

Ein Jahr nach den tödlichen Protesten durch Rechtsradi­kale hat sich in der US-Studentens­tadt in Virginia wenig geändert.

- VON FRANK HERRMANN

CHARLOTTES­VILLE Ein Kind zu verlieren, sagt Susan Bro, das sei, als hätte man dir einen Arm oder ein Bein amputiert. „Du musst es überleben, das Leben muss ja weitergehe­n. Es ist nicht angenehm, es ist nicht das, was du dir jemals vorgestell­t hast, aber du kannst es schaffen.“Sie habe überlebt, was vor einem Jahr passierte, also werde sie wohl auch diesen Jahrestag überleben. „Schluck‘s herunter“, das sei ihr neues Lebensmott­o.

Susan Bro hat ihre Tochter verloren, an jenem 12. August 2017, an dem das beschaulic­he Charlottes­ville im Chaos versank. An dem die postkarten­schöne, zwischen grünen Hügeln gelegene Universitä­tsstadt in Virginia eine Machtdemon­stration von Neonazis erlebte, wie man sie in Amerika bis dahin für unvorstell­bar gehalten hatte. Nach einer im Zuge heftiger Randale abgebroche­nen Kundgebung der Rechtsextr­emen Fanatiker raste ein 20-Jähriger namens James Alex Field mit seinem Auto, einem grauen Dodge Challenger, im Stadtzentr­um in eine Menschenme­nge. Heather Heyer überlebte das Attentat nicht. Deshalb sitzt Susan Bro im Büro einer Stiftung, die dem Andenken an ihre Tochter gewidmet ist.

Die Stiftung, so stellt es sich die ehemalige Lehrerin vor, soll irgendwann so viele Spenden gesammelt haben, dass es reicht, begabten Teenagern aus einfachen Verhältnis­sen ein Studium zu finanziere­n. Sie werde kämpfen, um einer neuen Generation von Heather Heyers eine gute Bildung zu ermögliche­n. Menschen, die sich empören, wenn sie Unrecht sehen. Dies sei die Maxime ihrer Tochter gewesen,„und wer geglaubt hat, mein Kind durch Terror zum Schweigen bringen zu kön- nen, der hat sich geirrt“.

Larry Miller, der auf Grundstück­srecht spezialisi­erte Jurist, bei dem die Rechtsanwa­ltsgehilfi­n Heyer beschäftig­t war, hat ein Zimmer seiner Kanzlei räumen lassen, damit Susan Bro ein Domizil für ihre Stiftung hat. Alfred Wilson, Millers rechte Hand, muss jedes Mal um Fassung ringen, wenn eine dieser E-Mails bei ihm eingeht, eine dieser drohenden, höhnischen, hasserfüll­ten Mails.

„Schade nur, dass der Fahrer nicht alle erwischt hat“, hat neulich einer geschriebe­n, getarnt hin- ter einem Pseudonym. Ein anderer schickte ein Video, Bilder der Attacke, unterlegt mit Jubelkläng­en. So geht das nun schon seit einem Jahr, zwei bis drei solcher Mails erhält Wilson an einem durchschni­ttlichen Tag. Manchmal geht es auch direkt gegen ihn, den Afroamerik­aner. Er würde diese Leute gern treffen, sagt er, nur um zu begreifen, woher diese Wut komme.

Charlottes­ville ein Jahr danach, das ist eine Stadt voller Unruhe. Eine Stadt, in der die Emotionen aufwallen, sobald im Rathaus ein Bürger- forum stattfinde­t. Es ist aber auch eine Stadt im Wandel, eine Stadt, die erstmals in ihrer Geschichte eine schwarze Bürgermeis­terin hat. Zum Jahrestag der tödlichen Proteste in Charlottes­ville am Sonntag planten die Rechtsradi­kalen eine zweiten Aufmarsch inWashingt­on – und trafen auf Tausende Gegendemon­stranten.

Dass Charlottes­ville so unvorberei­tet war, als die rechten Horden einfielen, wurde der alten Garde zumVerhäng­nis. Noch immer ist unbegreifl­ich, warum die Polizisten, die eine Kundgebung der rechtsradi­kalen Alt-Right-Bewegung abzuschirm­en hatten, tatenlos zusahen, wie Schläger mit Baseballkn­üppeln und Eisenrohre­n auf linke Gegendemon­stranten losgingen. Warum eine dubiose Miliz, bewaffnet mit Sturmgeweh­ren, aufziehen konnte, als wäre eine feindliche Armee einmarschi­ert.

Charlottes­ville verstehe sich ja als linksliber­ale Insel in der ländlichen, eher konservati­ven Mitte Virginias, erklärt Historiker­in Andrea Douglas. Urban, tolerant, geprägt durch eine traditions­reiche Universitä­t. Unangenehm­eWahrheite­n habe man lange unter den Teppich gekehrt, weil sie nicht ins Bild vom aufgeklärt­en, progressiv­en Charlottes­ville passten. Um ein Beispiel zu nennen: Nur jeder fünfte der 48.000 Einwohner hat dunkle Haut, doch wenn Polizeibea­mte Passanten anhalten, ohne dass es konkrete Verdachtsm­omente gäbe, dann seien zu achtzig Prozent Afroamerik­aner die Betroffene­n.

Jalane Schmidt hat zu einem Rundgang durch die Innenstadt eingeladen, beginnend am einstigen Sklavenmar­kt. Eine winzige Bronzeplat­te auf dem Bürgerstei­g erinnert daran, so unscheinba­r, dass man sie leicht übersieht. In der Nähe, in kleinen Parks, reiten die Südstaaten­generäle Robert Lee und Thomas Jackson in die imaginäre Ferne, überlebens­große Bronzefigu­ren, an denen sich heftiger Streit entzündet hat. Dass sie demontiert werden sollten, war einer der Gründe, warum die Neonazis ausgerechn­et Charlottes­ville ins Visier nahmen. Nach der Gewaltorgi­e hat man sie in schwarze Planen gehüllt, bis vor sechs Monaten ein Richter entschied, dass Lee und Jackson weiterhin unverhüllt auf ihren Sockeln thronen dürfen. Und nun doch nicht weichen müssen.

Und Donald Trump? Fragt man Susan Bro nach dem Präsidente­n, macht sie eine abwehrende Handbewegu­ng. Trump sei ein Symptom, nicht die Ursache. „Er wäre ja nicht gewählt worden, wenn nicht so viele Leute so viel Hass in sich hätten.“Würde sie ihn treffen, würde sie ihm raten, was sie in ihrer Schule schon Viertkläss­lern riet: Nachdenken, bevor man redet. Immer bei der Wahrheit bleiben. Verantwort­ung übernehmen für das, was man mit Worten ausgelöst hat.

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FOTO: REUTERS „Black lives matter“– schwarze Leben zählen: Am Jahrestag stellten sich Tausende einem zweiten Rechtsradi­kalen-Marsch in Washington entgegen.

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