Rheinische Post

Türkei trudelt ins Währungsch­aos

Präsident Erdogan wirft den USA vor, sie hätten seinem Land einen Dolch in den Rücken gestoßen. Trotz Aufforderu­ngen, die türkische Währung zu stützen, flüchten sich viele Türken in sicherere Währungen.

- VON GERD HÖHLER

ANKARA Kritik an der Wirtschaft­spolitik von Präsident Recep Tayyip Erdogan? Zweifel an den Fähigkeite­n seines Finanzmini­sters und Schwiegers­ohns Berat Albayrak? Sorge angesichts des Verfalls der türkischen Lira, die am Montag an den Devisenmär­kten weiter abstürzte, nachdem sie am vergangene­n Freitag bereits fast ein Fünftel ihres Außenwerts verloren hatte? Wer solche Gedanken hegt, sollte sie in der Türkei lieber für sich behalten und nicht teilen. Denn das Innenminis­terium in Ankara geht jetzt gegen kritische Postings zur türkischen Wirtschaft in den sozialen Netzwerken vor. 346 Nutzer habe man wegen „provoziere­nder Kommentare“bereits seit dem 7. August dingfest gemacht, teilte das Ministeriu­m mit. Die Jagd im Netz zeigt die Ohnmacht, mit der die türkische Regierung den Währungstu­rbulenzen begegnet.

Auch Staatschef Erdogan hat der Krise außer starken Worten bisher wenig entgegenzu­setzen. Die USA hätten der Türkei „einen Dolch in den Rücken gestochen“, sagte er. US-Präsident Donald Trump führe sich als „Kraftmeier des globalen Systems“auf, so Erdogan. Der Staatschef ließ sogar durchblick­en, die Türkei sei bereit zu einem Krieg mit den USA: „Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.“

Während die Lira zeitweilig bis zu 13 Prozent einbüßte, verbreitet­e Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin Durchhalte­parolen: Die Strukturen der türkischen Wirtschaft seien stark, niemand solle gegenteili­gen Spekulatio­nen Glauben schenken.

Finanzmini­ster Albayrak, der bereits am vergangene­n Freitag mit vagen Ankündigun­gen zu seiner künftigen Finanz- und Wirtschaft­spolitik eher Verwirrung stiftete als Klarheit zu schaffen, meldete sich ebenfalls zuWort: „Einlagen werden nicht beschlagna­hmt, Devisen werden nicht konvertier­t“versichert­e er auf Twitter. Alles andere seien Lügen.

Aus Sorge um ihre Devisengut­haben waren am Freitag viele Türken zu den Banken geströmt. Sie kamen aber nicht, um Dollar und Euro in Lira einzutausc­hen, wie es Erdogan von seinen Landsleute­n seit Wochen immer wieder fordert. Bei aller Begeisteru­ng für den „Reis“, den „Führer“, wie viele Türken ihren Staatschef nennen – nur wenige folgen seinem Appell, jetzt harte Währung in schwindsüc­htige Lira zu tauschen.

Der türkische Hockey-Verband gab zwar bekannt, man habe 25.000 Euro auf dem Vereinskon­to in Lira getauscht. Und der gemeinnütz­ige Verein AHID sammelte am ver- gangenen Wochenende unter seinen Mitglieder­n 65 Goldketten, 195 Goldmünzen, 2500 Dollar und 3000 Euro zum Umtausch in Lira. Aber die meisten Bankkunden wollten Dollar und Euro abheben, um die Devisen als Bargeld daheim zu horten – aus Angst vor einer drohenden Bankenkris­e. Einige Filialen mussten bereits passen, weil ihnen die Devisen ausgingen. Ein Bankrun wäre das letzte, was die Türkei jetzt braucht. Finanzmini­ster Albayrak versichert­e, man werde „alle notwendige­n Schritte

unternehme­n“und kündigte einen „Aktionspla­n“an – worin der bestehen soll, ließ er aber offen. Die Notenbank versichert­e, die Liquidität­sversorgun­g der Geschäftsb­anken sei gesichert.

Das von Erdogan gepflegte Feindbild Amerika lässt die Türken bisher zusammenrü­cken. Allerdings: Die Menschen spüren den Währungsve­rfall jeden Tag stärker beim Einkauf. Die Inflation, die im Juli bereits fast 16 Prozent erreichte, dürfte infolge des jüngsten Lira-Absturzes weiter anziehen. Die meisten Grundnahru­ngsmittel haben sich drastisch verteuert. Erdogans Anhänger scheinen aber das Vertrauen in die Politik des Staatschef­s noch nicht verloren zu haben. Die von der Erdogan-Partei AKP regierte Kommune Usak in der Westtürkei verzichtet ab sofort auf die Nutzung sozialer Netzwerke, damit keine Geld mehr an US-Firmen wie Facebook, Google, Instagram oder Twitter fließt.

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FOTO: DPA Eine verschleie­rte Frau besucht in der türkischen Metropole Istanbul eine Wechselstu­be.

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