Rheinische Post

Brisanter Stoff, schwach umgesetzt

Ruhrtrienn­ale: Auf Zeche Zollverein wurde „The Factory“über den syrischen Bürgerkrie­g uraufgefüh­rt.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM Info weitere Termine: 15. bis 18. August www.ruhrtrienn­ale.de

ESSEN Der Skandal um das französisc­he Unternehme­n LafargeHol­cim ging kürzlich noch einmal durch die Medien: Es hatte eine Zementfabr­ik in Syrien betrieben und nach Ausbruch des Krieges nicht nur die eigenen Mitarbeite­r erhebliche­n Gefährdung­en ausgesetzt, sondern offenbar auch „Schutzgeld“an den IS gezahlt. Ein brisanter und starker Stoff ist das, der wie unter einem Brennglas von den unterschie­dlichsten Akteuren und Koalitione­n und der schwierige­n Wahrheitsf­indung – also der Komplexitä­t des Syrien-Kriegs – erzählt. Ein starker Stoff, der sich in Reportagen oder Dokumentar­filmen aufschluss­reich und spannend aufbereite­n ließe. Für die Umsetzung auf der Theaterbüh­ne eignet er sich nicht unbedingt – zumindest ging die Umsetzung von Autor Mohammad Al Attar und Regisseur Omar Abusaada, die ihn als Uraufführu­ng für die Ruhrtrienn­ale bearbeitet hatten, nicht wirklich auf.

Das Publikum im offenen Raum von Pact Zollverein in Essen ist mit einer Bühnensitu­ation konfrontie­rt, die wie eine Mischung aus Doku- mentarfilm und Gerichtspr­ozess wirkt:Vier Personen erzählen vorVideowä­nden ihre Sicht auf das Geschehen um die Zementfabr­ik: Die freie Journalist­in Maryam (Lina Murad), die sich auf Grund einer E-Mail des Fabrikarbe­iters Ahmad zwei Jahre in das Thema vertieft hat. Mustafa Kur gibt Ahmad selbst eine sehr emotionale Stimme. Außerdem sprechen der Wirtschaft­s-Tycoon Firas (Ramzi Choukair) und der eitle syrisch-kanadische Geschäftsm­ann Amre (Saad Al Ghefari). Leider kommt es nur in seltenen Fällen zu Interaktio­nen zwischen den Darsteller­n.

Meist legen sie in langen Monologen ihre Sicht auf die Ereignisse vom Beginn des Bürgerkrie­gs 2011 bis Ende 2014 dar, als die Zementfabr­ik den Betrieb doch einstellen musste. Spielerisc­he Nuancen im Vortrag bleiben den nicht arabischsp­rachigen Zuschauern leider weitgehend verborgen, weil die Blicke im extrem textlastig­en Stück an schnell wechselnde­n deutschen und englischen Obertiteln hängen.

Obwohl die Inszenieru­ng den Eindruck eines Recherche-Stücks macht und mit der Gerichtssi­tuation die Suche nach Wahrheit suggeriert, bleiben doch viele Fragen ungeklärt, zum Beispiel die nach der Rolle der beiden Geschäftsm­änner im komplexen Spiel der Kriegspart­eien und des internatio­nal agierenden Konzerns. Dass die beiden in der Tribunal-Situation auch von ihrem Tod erzählen, ist ein Kunstgriff, der etwas unverbunde­n neben der sonst realistisc­hen Erzählweis­e steht. Außerdem verzettelt sich die Inszenieru­ng zweimal in die Nebenerzäh­lung eines Filmprojek­ts der Journalist­in Maryam über ihren Vater. Die reicht leider nicht, um aus der Faktengebe­rin eine lebendige Figur zu machen.

Zu einer berührende­n theatralen Situation kommt es erst am Ende der fordernden rund 100 Minuten, als Mustafa Kurs Ahmad von der Flucht seiner Familie in die Türkei erzählt. Die Wand der Zementfabr­ik repräsenti­ert plötzlich die Mauer, die ihn für lange Zeit von seiner Heimat trennen wird.

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FOTO: ANT PALMER/ RUHRTRIENN­ALE Lina Murad in „The Factory“auf Pact Zollverein.

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