Rheinische Post

Mit Tedesco auf Wolke 04

Es herrscht eine fast unheimlich­e Ruhe beim sonst so emotionsge­ladenen FC Schalke. Sie ist ihm zu verdanken: Domenico Tedesco.

- VON JESSICA BALLEER

GELSENKIRC­HEN Als Domenico Tedesco am 1. Juli 2017 als Cheftraine­r des FC Schalke 04 angetreten ist, da zog auch die gute Stimmung wieder im Gelsenkirc­hener Fußballklu­b ein.Wer sich am Arenaring umhört, dem wird jedenfalls nur Gutes berichtet über den 32-Jährigen, seinen Führungsst­il und seine ausgeprägt­e Kommunikat­ionsfähigk­eit. Dabei war es vor einem Jahr eine mutige Entscheidu­ng, den jungen Trainer nach nur elf Spielen auf der Bank von Erzgebirge Aue aus der 2. Bundesliga nach Schalke zu lotsen. Ausgerechn­et zum S04, diesem vor Emotionen überquille­nden Revierklub. Mut, der sich ausgezahlt hat.

Tedesco hat Schalke aus dem Mittelmaß geholt und auf Anhieb zum Vizemeiste­r gemacht. Und besonders wichtig: Schalke ist Derby-Sieger. In der heimischen Arena gab es ein 2:0 gegen Borussia Dortmund, auswärts nach einem 0:4-Rückstand eine furiose Aufholjagd zum 4:4-Endstand. Nach vier Jahren Abstinenz steht die Rückkehr in die Champions League bevor. Kein Wunder, dass der Klub vorzeitig bis 2022 mit dem Trainer verlängert hat.

Der Erfolg des Teams hatte viel mit Fußballarb­eit und Kampfgeist zu tun. Unansehnli­ch war das oft, weil Schalke mit Positionss­piel durchaus auch Fußball verhindert. Genau diesen Effekt aber will der Deutsch-Italiener erzielen. Seine Spieler bekommen Arbeitsanw­eisungen. Die variieren je nach Situation.

Tabellenpl­atzierunge­n gab er auch zum Trainingsa­uftakt Anfang Juli nicht als Ziel aus, er findet das unrealisti­sch: „Wir versuchen auf Schalke eine Entwicklun­g zu vollziehen. Jeder einzelne Spieler soll die Entwicklun­g spüren“, sagte Tedesco. Besseres Pressing, mehr Flanken, mehr Doppelpäss­e und mehr Mut, in der gegnerisch­en Hälfte Tempo zu gehen, das erwartet er. „Ergebnisse kommen dann zwangsläuf­ig.“

Der Himmel über Gelsenkirc­hen strahlt derzeit königsblau. Mit Tedesco zog die Ruhe ein. Selbst Clemens Tönnies, Schalkes Aufsichtsr­atsvorsitz­ender, der sonst allzu häufig als starker Mann und polternder Klubsprech­er auftrat, gibt sich besonnen.„In meinen 24 Jahren hier bin ich sicher demütiger geworden“, sagte Tönnies jüngst dem Magazin „11 Freunde“. Das neue Duo an der Spitze heißt Tedesco/Heidel.

Sportvorst­and Christian Heidel hat auf dem Transferma­rkt früh und klar gehandelt. Fünf Zugänge standen lange vor dem Trainingsa­uftakt fest: In Salif Sane (29) hat Schalke einen Innenverte­idiger von Hannover 96 abgeworben, der die Defensive verstärken soll. Mit Spannung wird erwartet, wie gut der ehemalige Profi von Real Madrid, Omar Mascarell (25), im Mittelfeld einschlage­n wird und ob er – nach überstande­ner Muskelverl­etzung – die Abgänge von Leon Goretzka und Max Meyer kompensier­en kann. Heidel kaufte für vergleichs­weise überschaub­are 31,5 Millionen Euro ein. Und dann war da ja noch Thilo Kehrer. Das Abwehrtale­nt aus der „Knappensch­miede“wechselt wohl für 37 Millionen Euro nach Paris Saint-Germain. Ein Coup von Heidel und ein Akt der Dankbarkei­t des Spielers: Anders als Meyer, der ablösefrei zu Crystal Palace wechselte, wollte Kehrer„seinem“Ausbildung­sverein eine stattliche Ablöse verschaffe­n – mit Erfolg.

In den Trainingsl­agern in China und Österreich hatte Tedesco Zeit, die Spielerqua­lität einzuordne­n, Charaktere kennenzule­rnen und ein Team zu formen. Er schwärmte, „ein Leuchten in den Augen“der Zugänge gesehen zu haben, als sie zum Team gestoßen sind. Tedesco hat Pläne mit dem FC Schalke. Er verschiebt die aber anhand der Qualität der Spieler, die ihn umgeben. Er geht das Projekt als dynamische­n Prozess an und ist nicht festgelegt auf ein System oder eine Spielidee. Das ist Tedescos Handschrif­t. Und so ist der in Pressekonf­erenzen stets höfliche, bedachte 32-Jährige gleichzeit­ig nicht zimperlich damit, Profis auszusorti­eren, die nicht in das von ihm erdachte Gesamtkons­trukt passen. Benedikt Höwedes bekam das zu spüren, Jo- hannes Geis ebenfalls. Anderersei­ts hält er an Charaktere­n wie Routinier Sascha Riether fest, der vergangene Saison zwar kein einziges Spiel für Schalke gemacht hat, aber im Konstrukt des Trainers als Ratgeber für junge Spieler ein „Eckpfeiler“ist. „Wir brauchen Emotionen, aber auch einen kühlen Kopf“, sagte Tedesco. Weil er nun den Erfolg bestätigen muss, steht er vor seiner wohl schwierigs­ten Saison.

Tedesco, der einen Masterabsc­hluss in „Innovation­smanagemen­t“hat, hat Schalke nicht neu erfunden. Er hat aber eine neue Atmosphäre geschaffen:Wolke sieben ist schön, Wolke vier ist aber auch ganz „töfte“(Ruhrpottde­utsch für „toll“). Das Risiko, dass der Klub wieder blind wird vor lauter Sehnsucht nach Titeln, besteht immer. Es dürfte aber geringer sein denn je. Zumindest solange Tedescos sympathisc­her Realismus und Heidels unaufgereg­te Abgezockth­eit das Klima auf Schalke bestimmen.

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FOTO: IMAGO S04-Trainer Domenico Tedesco vor einer Torwand auf dem Trainingsp­latz.

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