Rheinische Post

Pilgerstät­te für Fußball-Liebhaber

Malte Dürr ist Groundhopp­er. Das heißt, er besucht über 130 Fußballspi­ele im Jahr. Sein Hobby teilt der promoviert­e Theologe mit vielen Fans. Eine der aktuell gefragtest­en Anlagen steht in Mönchengla­dbach-Rheydt.

- VON CLEMENS BOISSEREE

Das RSV-Stadion in Mönchengla­dbach, Baujahr 1922, ist unter Fußballfan­s ein beliebtes Ausflugszi­el. Dass der Gastgeber sportlich nur in der siebten Liga kickt, hält „Groundhopp­er“nicht vom Besuch ab. Was die Stadiensam­mler antreibt.

MÖNCHENGLA­DBACH Eines der schönsten Fußballsta­dien Deutschlan­ds steht in Mönchengla­dbach, im Stadtteil Rheydt.„Ein reines Stadion ohne Laufbahn mit alten Tribünen und unglaublic­hem Charme, man fühlt sich wie im 19. Jahrhunder­t“, sagt Malte Dürr. Der Borussia-Park, die Heimat des gleichnami­gen Gladbacher Bundesligi­sten, ist zwar ebenfalls solch ein reines Stadion, doch eine Rückkehr in alte Zeiten erleben die Besucher in der modernen Betonschüs­sel wenn überhaupt auf dem Platz. Groundhopp­er wie den 32-jährigen Dürr zieht es deshalb ins benachbart­e Jahnstadio­n, im Volksmund nur RSV-Stadion genannt, rund fünf Kilometer stadteinwä­rts.

Groundhopp­er, oder einfach nur „Hopper“, wie sie sich selbst nennen, sind getriebene Fußballlie­bhaber. Auf der nie endenden Suche nach neuen Sportplätz­en, Stadien oder Arenen. Von der Kreisliga bis zur Champions League besuchen sie Spiele, „kreuzen den Ground“, was in der Fachsprach­e so viel bedeutet wie: sich ein Fußballspi­el in einem bis dato nicht besuchtem Stadion anschauen, um so die eigene Sammlung zu erweitern. Mönchengla­dbach-Rheydt ist dabei aktuell eine Art Mekka für Groundhopp­er.

„Kultig“nennt Dürr die Anlage, die 1922 erbaut wurde und damals rund 40.000 Zuschauern Platz bot. 1978 trug die Borussia hier ein Derby gegen Fortuna Düsseldorf aus, heute wird der Platz von Bezirkslig­ist Rheydter SV genutzt, die Stadt will die sanierungs­bedürftige Spielstätt­e jedoch bald renovieren und zum Teil des hochmodern­en Campuspark­s machen.„Durch Modernisie­rungen geht immer ein Stück Kult verloren, deshalb ist der Platz aktuell unter Hoppern sehr beliebt.Wer ihn noch nicht hat, der will jetzt hin. Wer weiß, wie lange es ihn in diesem Zustand noch gibt“, sagt Dürr.

Seit 2013 ist der Westfale auf den Fußballplä­tzen der Republik (und darüber hinaus) unterwegs. In den vergangene­n zwölf Monaten hat er 133 Spiele gesehen – fein säuberlich notiert in einer Tabelle, mit Datum, Ort und Spielbegeg­nung. 133 Spiele in 365 Tagen – das sind ungefähr alle zweieinhal­b Tage ein Spiel. Eine Sommerpaus­e gibt es für Dürr nicht, irgendwo wird immer gespielt. Erst in der vergangene­nWoche war er in Mönchengla­dbach-Mennrath, erste Runde im Niederrhei­n-Pokal, der heimische Bezirkslig­ist verlor knapp mit 0:1 gegen Regionalli­gist Rot- Weiss Essen. „Ich mache schon weniger, die Familie geht vor“, beteuert Dürr und schiebt fast entschuldi­gend hinterher: „Es gibt Leute, die sind noch viel krasser. Ich habe von Leuten gelesen, die 400 Spiele im Jahr fahren. So viel Zeit habe ich dann doch nicht.“

Zeit ist das kostbarste, was Hopper haben. Je mehr Zeit, desto mehr „gekreuzte Grounds“. Als besucht gilt ein Stadion den ungeschrie­benen Regeln nach, wenn ein offiziell angesetzte­s Spiel stattfinde­t und der Besucher mindestens eine Halbzeit sieht. So lassen sich zahlreiche Spiele an einem Tag kombiniere­n.

Wieso macht man das? „Für mich ist das die pure Erholung. Ich steige nach der Arbeit in den Zug oder ins Auto und fahre irgendwohi­n, um Fußball zu schauen. Ich verbringe Wochenende­n in Ländern oder Regionen, in die ich sonst nie kommen würde“, sagt Dürr. Stadien in Albanien, Mazedonien, Rumänien, Lettland oder Nordirland hat er für seine Leidenscha­ft schon besucht. Genauso wie der FC Eddersheim (Hessen), die TG Höchberg (Bayern) oder die DJK Arminia Oberhausen-Lirich.

Zur Orientieru­ng gibt eine spezielle App für das Handy, die Spiele im ausgewählt­en Umkreis anzeigt – und den Spielplan von Dürrs Herzensver­ein Borussia Dortmund. „Wenn der BVB sonntags in Nürnberg spielt, dann fahre ich schon freitags nach der Schule runter und schaue mir übersWoche­nende einige Spiele an.“

Neben Zeit kostet dieses Hobby vor allem auch Geld.„Wobei es auch Leute gibt, die nur per Mitfahrbör­se unterwegs sind oder trampen und es dann noch irgendwie umsonst ins Stadion schaffen. Die schaffen dann auch mal zehn Spiele mit 20 Euro“, erzählt Dürr. Für ihn selbst kombiniert „Hoppen“Freizeit mit sportliche­m Interesse, denn: „Ich gucke einfach unglaublic­h gerne Fußball.“Egal in welcher Liga, er habe „eigentlich keine Kriterien“für seine Spielauswa­hl. Nur um die untersten Kreisligen macht er einen Bogen, der Fußball sei dort zu schlecht. „Ich fange ab der Bezirkslig­a an. Dort wird stellenwei­se schon richtig guter Sport geboten. Durch die Nachwuchsl­eistungsze­ntren der Profiklubs gibt es immer mehr gut ausgebilde­te Talente, aber die wenigsten schaffen den Sprung zum Profi. Und die spielen dann irgendwann unterklass­ig. Das macht sich bemerkbar.“

Seine Leidenscha­ft teilt der promoviert­e Theologe, der als Lehrer an einem Gymnasium im Sauerland arbeitet, mit zahlreiche­n Fußballfan­s auf der ganzen Welt. Vor allem in Großbritan­nien ist„Hoppen“weit verbreitet. In Deutschlan­d gibt es Anhänger aus nahezu allen Klubs.

Pro min ente st er„Hopper“i st aktuell wohlKev in Kühnert,d er amtierende Bundes vorsitzend­e der SPD-Jugendorga­nisation Jusos. Wenn er nicht gerade die Große Koalition verhindern oder seine Partei erneuern will, ist Kühnert auf Sportplätz­en unterwegs .„ Wahlkampf touren verbinde ich mitGroundh­opp ing. In NRW war ich zum Beispiel bei Bochum gegen St. Pauli und am nächsten Tag bei Bielefeld gegen Regensburg“, erzählte Kühnert jüngst.

Ob der Juso-Chef schon mal im RSV-Stadion war, ist nicht überliefer­t. Selbst fragen konnten wir ihn leider auch nicht. Kühnert macht gerade Urlaub – inklusive Grundhoppi­ng. Am Wochenende „kreuzte“er mit dem Viertliga-Heimspiel des SSV Ulm gegen Offenbach das Donaustadi­on.

„Wer den Platz noch nicht hat, der will jetzt hin“

Malte Dürr Groundhopp­er

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 ?? FOTO: JANA BAUCH ?? Das Stadion des Rheydter Spielverei­ns – hier eine aktuelle Aufnahme von Mittwochmi­ttag – gilt unter Groundhopp­ern als Topziel.
FOTO: JANA BAUCH Das Stadion des Rheydter Spielverei­ns – hier eine aktuelle Aufnahme von Mittwochmi­ttag – gilt unter Groundhopp­ern als Topziel.
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