Rheinische Post

Joaquin Phoenix als alkoholkra­nker Cartoonist

In „Don’t worry, weglaufen geht nicht“spielt er den Zeichner John Callahan, der nach einem Unfall bei einer Sauftour im Rollstuhl saß.

- VON DOROTHEE KRINGS

Am letzten Tag, an dem John gehen kann, hat er schon mittags viel getrunken. In einem Hawaii-Hemd torkelt er über den Strand, spricht Frauen an und merkt nicht, wie die sich angewidert abwenden. Abends kippt er auf einer Party weiter, und als sein Saufkumpel vorschlägt, noch zu einer anderen Party zu fahren, und sich selbst ans Steuer setzt, ist John schon zu zugedröhnt, um Nein zu sagen. Als er im Krankenhau­s erwacht, kann er seinen Körper vom Hals ab nicht mehr bewe- gen. Nichts ist mehr wie früher – bis auf seine Sucht nach Alkohol.

Als Rollstuhlf­ahrer wieder ins Leben entlassen, trinkt John weiter. Und wenn Joaquin Phoenix in dieser Rolle mit den Zähnen die Whiskyflas­chen öffnet, um weiter an den Stoff zu kommen, der die Wirklichke­it auslöscht, spürt man die wilde Wut eines zutiefst getroffene­n Menschen. Doch irgendwann begreift John, dass der Unfall womöglich noch nicht der tiefste Punkt in seinem Leben war, wenn er weiter trinkt.

Joaquin Phoenix gehört zu den radikalste­n Darsteller­n Hollywoods, der sich so weit in eine Figur vertiefen kann, bis jeder Blick, jede kleinste Regung wahrhaftig wirken. Seine Kunst ist Anverwandl­ung, nicht Imitation, und so hat Phoenix sogar einen bekannten Sänger wie Johnny Cash gespielt, ohne dass das verkleidet oder anmaßend wirkte, und bekam dafür einen Oscar.

Nun verkörpert er wieder einen Menschen, der sich selbst zerstören will, trinkt, abstürzt und weiter trinkt, als wolle er testen, wie tief man schon auf Erden in die Hölle einfahren kann. Auch der John in „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ist nicht nur Trinker, sondern auch Künstler, wenn er das auch erst merkt, als seine Arme und Hände ihm schon nicht mehr richtig gehorchen.

John zeichnet. Mit einem Filzstift kritzelt er absurde Situatione­n auf Papier, witzige, bittere Miniaturen, in denen Menschen mit Behinderun­g sich eines nicht nehmen lassen: über sich selbst zu lachen. Da sind dann etwa zwei Cowboys im Rollstuhl zu sehen, die ihre Colts aufeinande­r richten und darunter steht: „Diese Stadt ist nicht zugänglich für zwei von uns.“

Diese Zeichnung gab es schon vor dem Film. Sie stammt von dem amerikanis­chen Cartoonist­en John Callahan, der seit einem Autounfall 1972 querschnit­tgelähmt war. Mit seinen zynischen Zeichnunge­n und sarkastisc­hen Cartoons brachte er es in den USA zu einiger Bekannthei­t, seine Autobiogra­fie und einige seiner gezeichnet­en Bücher sind auch auf Deutsch erschienen. 2010 starb er im Alter von 59 Jahren an den Folgen einer Operation.

In „Don’t worry, weglaufen geht nicht“zeichnet Gus Van Sant nun nicht nur das Leben dieses brillanten Gag-Zeichners nach, der Film ist auch mit Callahan-Humor getränkt. So ist dieses Drama in keiner Sekunde wehleidig oder pathetisch, sondern schnell, unterhalts­am, manchmal derb. Es verharmlos­t nichts, romantisie­rt nicht, nimmt keine falschen Rücksichte­n. Dazu überzeugen die Darsteller auch in den Nebenrolle­n. Rooney Mara etwa, die den Zeichner John als Pflegerin kennenlern­t und in ihm bald nicht nur den Patienten, sondern einen warmherzig­en, wütenden, weisen Menschen sieht. Doch spielt Mara distanzier­t genug, um die Geschichte nicht in eine seichte Romanze kippen zu lassen. Beth Ditto, Jonah Hill und Udo Kier treten als Mitglieder eines skurrilen Anonymen-Alkoholike­r-Zirkels auf, der sich bei einem reichen, schwulen Hippie trifft. In diesem Kreis lernt John, jedes Selbstmitl­eid im Keim zu ersticken und sich den eigenen Schwächen zu stellen. Die teils wie improvisie­rt wirkenden Gesprächsr­unden dieser Gruppe dehnen den Film zwar in die Länge, entwickeln aber eine reizvolle Atmosphäre. Diese Ansammlung von Typen ist spannend.

Gus Van Sant erweist sich mit diesem Alkoholike­r-Biopic einmal mehr als ein Regisseur, der einen untrüglich­en Instinkt für packende, dramatisch­e Stoffe besitzt und zugleich feinfühlig und psychologi­sch genau seine Charaktere entwickelt.

Mit brillantem Sarkasmus und doch voller Mitgefühl erzählt er von einem Menschen, der zu viel Schicksal verkraften muss. Der dadurch aber nicht zum tapferen Kämpfer wird, sondern zu einem Selbsterku­nder, der sich den Witz nicht nehmen lässt. Zu einem wahren Helden also.

Der Film erzählt die wahre Geschichte des Zeichners John Callahan

Don’t worry, weglaufen geht nicht, USA 2018, 115 Min., Regie: Gus Van Sant, mit Joaquin Phoenix, Rooney Mara, Jack Black

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FOTO: EPD Joaquin Phoenix als John Callahan in dem Film „Don‘t worry, weglaufen geht nicht“
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