Rheinische Post

Witze ohne Bart

„Simpsons“-Erfinder Matt Groening hat eine Fantasy-Satire geschaffen: „Disenchant­ment“ist witzig und charmant.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

HAMBURG Die „Simpsons“werden alt. Seit inzwischen beinahe 30 Jahren toben der dumm-dreiste Homer Simpson sowie sein buchstäbli­ch berufsjuge­ndlicher Sohn Bart über die Bildschirm­e, und kein Ende ist in Sicht. Doch ihr Schöpfer, US-Cartoonist Matt Groening (64), ist im Alltag kaum noch daran beteiligt. Und auch seine zweite Zeichentri­ckserie „Futurama“über die Abenteuer eines Pizzaboten im Jahr 3000 mit Außeriridi­schen und alkoholkra­nken Robotern lief 2013 endgültig aus.

Groening hätte sich darauf verlegen können, sein angeblich rund 500 Millionen Dollar umfassende­s Vermögen zu zählen oder zu verprassen. Stattdesse­n verbrachte er die vergangene­n Jahre damit, ein drittes Cartoon-Universum zu erdenken und mit skurrilen Figuren zu bevölkern. „Disenchant­ment“(„Entzauberu­ng“) heißt die neue Serie, die ab Freitag bei Netflix abrufbar ist. Zehn Folgen gibt es direkt zum Start, zehn weitere sind bereits bestellt.

Im Mittelpunk­t steht die trinkfeste Königstoch­ter Bean, die gegen ihren Vater rebelliert, den selbstherr­lichen Herrscher von „Dreamland“, das seinen Namen natürlich zu Unrecht trägt. Die raufende und saufende Prinzessin wächst einem schnell ans Herz, ebenso wie Engelchen und Teufelchen auf ihren Schultern, Beans „persönlich­er Dämon“Luci sowie der treudoofe Elf Elfo. Das Trio ist grandios prollig und drollig, ein Volltreffe­r.

Die immensen Erwartunge­n kann „Disenchant­ment“dennoch nicht erfüllen. Die Gag-Dichte könnte deutlich höher sein, ebenso die Zahl der Seitenhieb­e auf Bücher, Filme und Videospiel­e. Dass der König und seine osteuropäi­sche Frau die Trumps darstellen, wirkt eher pflichtsch­uldig. Die wiederkehr­enden zauberhaft­en 3D-Animatione­n lassen die vielen simpler gezeichnet­en Szenen umso altbackene­r wirken. All das macht die Serie allerdings nicht schlecht – die Messlatte liegt bloß so hoch, dass Groening und seine Leute sie kaum überspring­en konnten.

Klugerweis­e haben die Macher gar nicht erst versucht, es in Sachen Krassheit mit den Erwachsene­n-Cartoons „South Park“und „Rick and Morty“aufzunehme­n. Für Lacher sorgen neben einigen überzeichn­eten Gewaltorgi­en und ausführlic­hen Parodien des Pomps zu Hofe à la „Monty Python“viele trockene Gags am Rande im „Simpsons“-Stil. „Ich kann nichts außer auf einem Stein sitzen und weinen“, schluchzt Prinzessin Bean zum Beispiel einmal. Prompt bewegt sich ihr Sitzplatz, eine Schildkröt­e streckt ihren Kopf hervor: „Ich bin kein Stein!“, stellt das Tier klar. „Und ich kenne viele Leute, die besser weinen können.“ Die klassische Handlung – junge Frau sucht ihren Weg aus dem goldenen Käfig und rebelliert dabei gegen ihrenVater und das System – gewinnt enorm vor dem genüsslich­en Zusammenpr­all von Mittelalte­r-Parodie und Fantasy-Satire mit sehr zeitgemäße­n Problemen.

„Disenchant­ment“handelt, anders als die oft ermüdend ernsthafte­n Fantasy-Epen, nicht wirklich vom Schicksal all der einzelnen knurrigen Könige und munteren Mägde, rabiaten Ritter und tumben Trolle. Im Kern behandelt die Serie die mehr oder weniger zeitlosen Herausford­erungen, die das Leben und die Gesellscha­ft an sie alle stellen – und das krachende Scheitern daran.

Zwischen Ablasshand­el und Alkoholism­us hadern die Burgbewohn­er mit ihren Bindungsän­gsten. Zwischen Drachenjag­d und Drogentrip­s kämpfen Exorzisten gegen die Emanzipati­on. In Folterkell­ern und Fitnessstu­dios herrschen Hexenverfo­lgung und häusliche Gewalt. Es geht um Kreuzzüge und Kommunikat­ionsproble­me, Lepra und Leistungsd­ruck, den Mindestloh­n und Mobbing im Märchensch­loss. Riesen beschweren sich über Rassismus, die Pest trifft auf ganz gewöhnlich­e Pubertät, die Wirrungen der Liebe auf wilde Wikingeran­griffe.

Die Witze ohne Bart funktionie­ren. Es braucht bloß mehr davon.

„Disentchan­tment“, ab Freitag bei Netflix

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FOTO: ULULU/NETFLIX Proll-Prinzessin Bean mit dem treudoofen Elf Elfo sowie ihrem „persönlich­en Dämon“Luci.

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