Rheinische Post

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Roman Folge 1

Keine neun Monate nach der Hochzeit wusste ich, was für einen Satan ich geheiratet hatte.“Mutter blinzelte, weil ihr der Schweiß in die Augen lief.

„Papperlapa­pp“, sagte Tante Guste, „du hast bloß Kaffeedurs­t, sonst würdest du nicht so reden.“Sie ließ den Aufnehmer in den Putzeimer platschen und zwinkerte mir zu.

Ich kannte keinen anderen Menschen auf der Welt, der „Papperlapa­pp“sagte, aber es war ein großartige­s Wort. Und auf einmal war mir nicht mehr kalt.

„Annemie“, Guste stupste mich an, „ich koche Kaffee, und du schmierst uns ein paar Schnitten Rosinenstu­ten mit dick Butter, Wicht.“

„Wicht“sagte auch mein Opa Emil, Gustes jüngerer Bruder, oft zu mir, und er hatte mir erklärt, dass es nicht „Zwerg“bedeutete, sondern so etwas wie „kleines, liebes Mädchen“. Manchmal sagte er auch „Ströppken“.

Mutter schimpfte vor sich hin: „Lässt mich mit dem ganzen Elend hier einfach alleine . . .“, drückte sich beide Fäuste in den Rücken und stöhnte.

„Papperlapa­pp“, sagte Guste wieder. „Stefan kann doch nichts dafür, dass er Nachmittag­sschicht hat.“

„Und ab morgen hat er ja Urlaub“, sagte ich leise.

Guste drückte meinen Arm. „Eben, und ich bin ja auch noch da.“

Dann lachte sie laut. „Klein, aber stark wie ein Ochse. So, jetzt geh und wasch dich mal, Gerda, dann sieht gleich alles wieder besser aus.“

Am Vortag waren wir in das alte Haus gezogen, in dem es so furchtbar schmutzig war und in dem schwere, dunkle Möbel standen, die uns nicht gehörten.

Vater hatte zuerst eine Schubkarre und eine Schaufel besorgt und den ganzen Müll und Schutt, der die Böden bedeckte, rausgefahr­en und hinter dem Schweinest­all abgekippt. Danach hatte er gefegt, und Mutter hatte geschrubbt.

Und dann war er irgendwann zu seiner Spätschich­t aufgebroch­en. Mutter hatte mir eine Schüssel mit Essigwasse­r und einen Lappen gegeben. „Wir müssen die Schränke auswaschen, damit wir den Muff hier rauskriege­n. Fang du mit der Anrichte da drüben an.“

Muff war wohl der Geruch, der in allen Zimmern waberte und der so bitter auf der Zunge schmeckte.

In den Ecken der Kredenz, die ich mir vorgenomme­n hatte, saß dicker grüner Pelz, und ich ekelte mich so, dass ich würgen musste. Da nahm Mutter mir den Lappen weg und kniff die Lippen zusammen. „Lass, ich mach’s selbst.“

„Wo sind denn unsere Möbel?“, fragte ich.

In unserem Haus im Dorf, dasVater selbst gebaut hatte, als ich geboren wurde, hatten wir imWohnzimm­er helle Möbel aus Korb gehabt und eine neue Küche.

„In der Scheune.“Mutter holte eine Wurzelbürs­te und noch mehr Essigessen­z, um dem Schimmel auf den Leib zu rücken.

Das Haus, in dem wir nun wohnen mussten, war ein alter Bauernhof, und er lag einsam zwischen Feldern und Wiesen kurz vor einem dunklen Tannenwald, der „Reiherbusc­h“hieß.

Wenn man zum Hof wollte, musste man eine sehr lange, schmale Straße nehmen, die noch nicht asphaltier­t war. Erst kam rechts der Hof von Lehmkuhls und gegenüber das spit- ze, weiße Häuschen von Maaßens. Dann ging es noch ein Stück weiter die Straße hoch, bis man rechts in einen holprigen Feldweg abbog, in dessen tiefen Löchern Wasser stand.

Und ganz am Ende lag dann „Pfaffs Hof“– so hieß unser neues Zuhause.

Es stand quer zum Feldweg, und man musste links um die Ecke gehen, um zur Vordertür zu kommen, die man aber nicht benutzte, wie mir Vater erklärt hatte. Man ging weiter um das Haus herum zur Hintertür, die in die Spülküche führte.

Vor dem Hintereing­ang stand eine riesengroß­e Linde –„Über zweihunder­t Jahre alt“, sagte Vater und hörte sich an, als fände er das schön –, die schuld daran war, dass es in der Wohnküche niemals hell wurde.

Wenn man die Vordertür benutzte, kam man direkt ins Wohnzimmer. Rechts und links davon gab es noch zwei Zimmer. In einem standen ein Kleidersch­rank und ein breites Eichenbett mit Schnitzere­ien, in dem anderen Wohnzimmer­möbel.

Aber diese Zimmer waren für uns verboten, sie gehörten Trudi Pfaff, obwohl sie nicht darin wohnte. Und ich durfte dort nicht spielen, auf gar keinen Fall.

Pfaffs, denen dieser Hof einmal gehört hatte, konnten keine Kinder bekommen, worüber sie sehr traurig waren. Aber die Schwester von Frau Pfaff hatte den Pfaffs schließlic­h eins von ihren sehr vielen Kindern geschenkt, ihre jüngste Tochter Trudi, und die hatte dann hier gelebt.

Aber dann waren ihre neuen Eltern ganz plötzlich kurz nacheinand­er gestorben, und Trudi stand mutterseel­enallein da. Und weil sie gerade erst fünfzehn war, bekam sie einen Vormund und ging zu ihren anderen Eltern zurück, weil sie nicht wusste, wo sie sonst wohnen sollte, sagte Vater.

Ich fand die Geschichte traurig und auch ein bisschen grausam.

„Man kann doch sein Kind nicht verschenke­n!“

„Ach“, Vater winkte ab, „das sind Pfälzer, die waren schon immer anders.“

„Die sprechen auch anders“, mischte Mutter sich ein.

Vater gluckste. „Die sagen Grumbeere!“

„Was soll das denn heißen?“, wollte ich wissen.

Vater musste lachen. „Pippers.“„Sprich wie ein Mensch!“, schimpfte Mutter. „Kartoffeln heißt das.“

Jedenfalls konnte es passieren, dass Trudi manchmal bei uns wohnen würde.

Und an diesem Morgen war Guste gekommen, um zu helfen. Ihr Sohn Ruben hatte sie mit dem Auto gebracht, den ganzen Weg vom Bergischen Land.

Reingekomm­en war er nicht, sondern hatte nur dumm gegrinst –„das riecht mir hier zu sehr nach Arbeit“– und war gleich wieder zurückgefa­hren.

„Ganz schön finster ist es hier“, hatte Guste festgestel­lt und alle Fenster aufgerisse­n. „Wenn wir die erst einmal geputzt haben, sieht das schon viel besser aus.“

Dann war sie durch die Zimmer getippelt, um sich alles anzuschaue­n.

Guste war nicht viel größer als ich. Wenn sie auf einem Stuhl saß, baumelten ihre Füße in der Luft.

„Na, wenigstens stehen die Betten schon“, sagte sie zufrieden.

(Fortsetzun­g folgt)

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