Rheinische Post

Poesie im Tagebau

Andreas Dresen hat einen wunderbare­n Film über den Baggerfahr­er und Ost-Liedermach­er Gerhard Gundermann gedreht.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Da sitzt er, nimmt seine Gitarre zur Hand und singt einen Song mit so viel Sehnsucht, Tiefe und Weite, Schmerz und Glück, dass Film und Realität kurz verschmelz­en: Genau wie das Publikum auf der Leinwand sind auch die Zuschauer im Saal des Premierenk­inos Lichtburg in Essen gebannt, gerührt, wie weggetrage­n oder ausgeknips­t, als der große Schauspiel­er Alexander Scheer in der Rolle des Ost-Liedermach­ers Gerhard Gundermann in der ersten Szene den Song„Gras“anstimmt. Er will ein paar Musiker überzeugen, seine neue Band zu werden.

Eines wird Andreas Dresens biografisc­he Fiktion „Gundermann“also auf jeden Fall erreichen: die Neuentdeck­ung des überrasche­nd und viel zu früh verstorben­en Musikers (1998 mit 43 Jahren), der im

Der Film ist auch ein kluger Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte

Osten vielen Menschen ein Held ist. ImWesten sind seine zartfühlen­den Texte über die Vergänglic­hkeit und andere Fragen unserer Existenz, die ihn mit zunehmende­m Alter mehr und mehr beschäftig­t haben, noch weitgehend unbekannt. Gundermann berührt, egal ob er das Willkommen oder den Abschied besingt: „Du bist in mein Herz gefallen / Wie ein verlassene­s Haus“, dichtet er für seine 1992 geborene Tochter im Song „Linda“. „Ich war‘n Bergmann, langsam geh ich durchs Revier / Die Frau will wegziehen, aber ich bin angebunden hier“, heißt es in seiner Ode auf die geschlosse­ne Arbeitsstä­tte im Kohletageb­au. Fans von Bob Dylan (in dessen Vorprogram­m er einmal spielte), Rio Reiser oder Gisbert zu Knyphausen – sie müssten sich auch in Gundermann­s Liedern wiederfind­en.

Zwölf Jahre hat Dresen („Sommer vorm Balkon“, „Halt auf freier Strecke“), der selbst Musiker ist, mit Drehbuchsc­hreiberin Laila Stieler am Traum vom Filmprojek­t über Gerhard Gundermann festgehalt­en. Dazu, dass er am Ende Wirklichke­it wurde, hat die Filmstiftu­ng NRW beigetrage­n – denn wer heute von der DDR erzählen will, fin- det passende Drehorte offenbar auch in Gelsenkirc­hen. Das Filmplakat könnte ein Still aus Adolf Winkelmann­s Ruhrgebiet­s-Kultfilm „Jede Menge Kohle“sein: Ein Typ mit langer blonder Mähne und leicht schmutzige­m Gesicht im Blaumann und Arbeitssch­utzhelm schaut durch grotesk große Brillenglä­ser in die Ferne – staunend, angriffslu­stig. Er hat Fragen an diese Welt, er will etwas von in ihr wissen, etwas in ihr erreichen.

Zeit seines Lebens hat Gerhard Gundermann sich geweigert, von der Vermarktun­g seiner Musik zu leben. Er wollte sich und seine Familie durch ehrliche Arbeit ernähren und bewegte große Schaufelra­dbag- ger im Kohletageb­au. In Grundzügen glaubte er an das Projekt des sozialisti­schen Arbeiter-und-Bauern-Staats, trat Ende der 1970er-Jahre in die SED ein und verzettelt­e sich im Engagement: Der Film-Gundermann macht sich einerseits für bessere Arbeitsbed­ingungen stark, kritisiert Personenku­lt und zitiert Marx, wenn er den Genossen Irrwege aufzeigen will. Dieser Querkopf lässt sich anderersei­ts aber auch überrasche­nd leicht überreden, für die Stasi zu spitzeln.

Andreas Dresens Film lebt so bei Weitem nicht nur vom großartige­n Soundtrack Jens Quandts, der noch mit dem echten Gundermann zusammenge­arbeitet hat und des- sen Lieder für eine neue Generation sanft aufgefrisc­ht hat. Alexander Scheer schiebt sie mit seiner rauen Gesangsper­formance noch ein Stück näher zu Rio Reiser. Der nicht chronologi­sch erzählte Film ist auch ein kluger neuer Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte, die fast 30 Jahre nach der Wende längst nicht auserzählt ist. Er ist zu gleichen Teilen Musikfilm und das Drama einer hochkomple­xen Figur, deren hohe Ideale ständig mit der Wirklichke­it kollidiere­n.

Es ist so rührend wie aufwühlend, wenn Dresens Gundermann sich mit der eigenen Vergangenh­eit als Stasi-Informant konfrontie­rt, sie erst im privaten Umfeld streut und dann öffentlich macht. In einer frühen Szene steht er bei einem Puppenspie­ler auf der Matte, den er bespitzelt hat. Er möchte die Sache gern klären, am liebsten Seite für Seite mit ihm die Opfer-Akte durchgehen. Und da scheint auch schon ein großes Problem Gundermann­s auf – das ein sehr menschlich­es ist: Seine Erinnerung ist löchrig, getrübt, geschönt. Er weiß nicht mehr genau, was er als IM Grigori alles ausgeplaud­ert hat – ob es jemandem ein Berufsverb­ot eingebrock­t, ihn vielleicht sogar ins Gefängnis gebracht hat? Er kann es schlicht nicht sagen, denn Einsicht in eine Täterakte ist im System der Gauck-Behörde nicht vorgesehen.

„Ich werde niemanden um Verzeihung bitten. Aber mir selbst kann ich auch nicht verzeihen“, sagt er in einer starken Szene zu einer Journalist­in, die den Bogen der Stasi-Erzählung zu Ende bringt. Dieser Satz sagt so viel über einen Menschen, der Widersprüc­he aushalten will, aushalten muss. Mit dieser Einstellun­g hat er Poesie gefunden in der kahlen Welt des Kohletageb­aus – und zu Liedern verarbeite­t, die die Zeit überdauern.

Und für eine ehrliche Liebesgesc­hichte auf drei Zeitebenen ist dann auch noch Platz: Anna Unterberge­r spielt Gundermann­s lang umworbene Jugendlieb­e Conny, die er irgendwann einem Bandkolleg­en ausspannt. In ihren Szenen balanciert sie zwischen einer zauberhaft­en Leichtigke­it und der Melancholi­e eines Menschen, der eigentlich nicht von der Rolle als häufig einsame Hausfrau und Mutter geträumt hat, aber sie ausfüllt, um der Liebe ihres Lebens das Glück aus Arbeit und Selbstverw­irklichung zu ermögliche­n.

Gundermann (Deutschlan­d 2018) – Regie: Andreas Dresen, mit Peter Schneider, Bjarne Mädel, Alexander Scheer, Milan Peschel, Axel Prahl, Alexander Schubert, Anna Unterberge­r, Thorsten Merten, Leni Wesselman, Peter Sodann (127 Min.)

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FOTO: EPD Alexander Scheer als Liedermach­er Gerhard Gundermann in dem Film „Gundermann“.

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