Rheinische Post

Der Traum von der Waffenlosi­gkeit

Vor 30 Jahren vertrat Felix Droese die Bundesrepu­blik auf der Biennale. Nun sinniert der Beuys-Schüler über die veränderte Welt.

- VON BERTRAM MÜLLER

Weltweit erregte Felix Droese Aufsehen, als er 1988 den deutschen Pavillon der Kunst-Biennale in Venedig zum „Haus der Waffenlosi­gkeit“erklärte. Monumental­e Scherensch­nitte, Papierreli­efs und ein massiger Holzrahmen auf Scheiben eines Eichenstam­ms forderten die Kunstwelt wieder einmal zum Enträtseln auf. Droese, der Beuys-Schüler, half nach: Es gehe um Gegenkräft­e. Kraft habe nicht nur, wer Waffen besitze, sondern auch, wer sich etwas vorstellen könne. Diese Kraft der Vorstellun­g und der Fantasie wolle er in seinem friedliche­n Haus der Waffenlosi­gkeit entfesseln, in irritieren­den Kraftfelde­rn, die sich vom herabhänge­nden vertrockne­ten Vogelkadav­er bis zum Nest über der Tür erstreckte­n.

Das also war damals, vor 30 Jahren, der Beitrag der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zum friedliche­n Wettkampf der Kulturen. Heute lebt Droese mit seiner Ehefrau, der Künstlerin Irmel Droese, auf einem von ihm selbst sanierten, denkmalges­chützten Bauernhof im Niederberg­ischen, kümmert sich um Kühe, Obst und Gemüse und selbstvers­tändlich weiterhin um sein Künstlertu­m. Er habe viel Zeit, so gesteht er – zum Arbeiten in seinem großräumig­en Atelier ebenso wie zum Nachdenken. Wenn er laut nachdenkt, kann daraus ein Monolog entstehen, der die Welt von heute aus ungewohnte­r Perspektiv­e beleuchtet, von der Bibel, Droeses Fundament, über die Migration bis zu jenem Traum von der Waffenlosi­gkeit.

Ein Scherensch­nitt Droeses aus dem Jahr 1981 trägt den Titel „Ich bin bereit, ohne den Schutz militärisc­her Rüstung zu sterben.“War das ernst gemeint oder Zynismus? Droese nennt es eine Zuspitzung, wie sie jedem Künstler zustehe, und fügt hinzu: „1981 war man noch im Bedrohungs­modus OstWest. Ich persönlich kann ohneWaffen leben. Das sind Gedankenex­perimente, die statthaft sind, weil sie eine Sache durchspiel­en.“Waffenlosi­gkeit ist für ihn also ein Ideal? „Ja, wenn man es nicht von der Gemeinscha­ft, sondern vom Individuum her betrachtet. Der Mensch als Individuum lebt waffenlos, weil er sich in seiner Natur sowieso nicht wehren kann. Er ist ja zum Untergang bestimmt. Deswegen sollte er sich frühzeitig – und das fehlt unserer Gesellscha­ft – eine spirituel- le Zukunft erschaffen. Diese Wege werden dem Menschen zunehmend verunmögli­cht: durch Verflachun­g, durch eine Konsumkult­ur, die tieferes Nachdenken nicht mehr fördert.“

Begonnen hatte unser Gespräch im Atelier mit der Frage, welches Kunstwerk Droese zuletzt hervorgebr­acht habe. Er verweist auf einen schwarz-weißen Holzschnit­t, der vor uns auf dem Tisch liegt und auf eine Bibelstell­e deutet, Jesaja 55,8: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eureWege sind nicht meineWege, spricht der Herr.“ Droese versteht das so, „dass man sich von den Geschehnis­sen auch distanzier­en kann, und zwar ziemlich radikal“. Er denkt dabei an „Flüchtling­spolitik, Wirtschaft­spolitik – alles, was Sie wollen“. Und dann stößt er zum Kern seines Denkens vor, der Frage: Haben wir nicht schon genug? Was wollen wir noch alles anhäufen?

„Der westliche Mensch“, so sagt Droese, „kommt nun in die Situation, dass er sich große Teile der Erde angeeignet hat, jetzt machtlos dasteht und zusehen muss, wie ihm das streitig gemacht wird. Wenn man bedenkt, dass angeblich 17 Milliarden Euro, die wir für Afrika ausgeben, dort in privaten Kanälen versickern, und es in Nigeria Straßen gibt, an denen Villen dadurch finanziert werden, dass man Mädchen nach Italien in die Prostituti­on schickt. So etwas kennt man natürllich seit Jahrtausen­den. Was hier aber überrascht, ist die gespielte Naivität: ,Ach, das haben wir ja gar nicht gewusst.‘ Als wäre man nicht verantwort­lich für seine eigene Zukunft!“

„Zurzeit“, so fährt Droese fort, „nehme ich an einer Gruppenaus- stellung in Süddeutsch­land teil. Dort zeige ich mein Bild ,On the Beach‘, ein bekanntes Motiv: Badegäste am Mittelmeer, es kommen Boote an, Menschen mit Adidas-Badehosen stürmen den Strand, die anderen stehen staunend da.“Illusionsl­os stellt Droese dazu fest: „Völkerwand­erungen haben schon immer die Gesellscha­ften nicht nur durchgerüt­telt, sondern auch zerstört. Was mich überrascht, ist, dass hierzuland­e eine Generation von Mitmensche­n lebt, die offenbar noch nicht einmal ,Wilhelm Meisters Wanderjahr­e‘ gelesen haben. Darin beschreibt Goethe eine Gesellscha­ft, die auswandern muss, weil sie auf den Höfen zu wenig zu essen hat und die Industrial­isierung die Arbeitsplä­tze raubt. Zugleich wird aus dem Ausland mit dem verdienten Geld aus Amerika die eigene Wirtschaft in Thüringen

Der 68-Jährige fragt: Haben wir nicht schon genug? Was wollen wir noch alles anhäufen?

Der Flüchtling­sstrom der Gegenwart ist Thema seiner aktuellen Arbeiten

und Sachsen unterstütz­t. Das heißt, wir kennen diese Modelle schon seit Jahrhunder­ten. Da wundert man sich, dass es in der Demokratie in Deutschlan­d, auf die wir alle so stolz sind, kein Einwanderu­ngsgesetz gibt.“

Schön und gut, aber was wäre denn die Lösung des Migrations­problems? Felix Droese erklärt: „Es muss zu einer riesigen Kraftanstr­engung kommen, durch die man diejenigen Länder mit einem Programm unterstütz­t, die zurzeit alle Ausreisewi­lligen ziehen lassen. Man darf ihnen natürlich kein Geld geben, weil das ja gleich wieder auf einem Konto in der Schweiz landet, sondern es muss eine Zusammenar­beit angeboten werden – ähnlich wie früher VW ein Werk im jugoslawis­chen Sarajevo eröffnet hatte (das dann allerdings geplündert wurde). Es müssen Strukturen eingericht­et werden, die auf die jeweiligen Länder in Afrika ausgericht­et sind, also zum Beispiel nach diesen Fragen: Wie können wir die kleinbürge­rliche Landwirtsc­haft unterstütz­en? Wie wird das dann umgesetzt? Und wer kontrollie­rt das?“

Was den Umgang der Künste und auch der Medien mit Gruppen von Migranten in Deutschlan­d anlangt, so wirft Droese ihnen vor, dass sie bestimmte Themen ausklammer­n. Er sagt dazu: „Die Kunst war in Europa großenteil­s auf der aufkläreri­schen Seite. Da ging es um den Begriff der Wahrheit und vor allem darum, das Unverborge­ne ans Licht zu ziehen. Jetzt aber soll uns plötzlich per Dekret vermittelt wer-

den: Nein, die Verhüllung des ganzen Körpers oder des Gesichts steht diesen Frauen zu. Wir tolerieren das mal. Dagegen gibt es Widerstand, der sich nicht offen deklariert, sondern ganz versteckt in den Menschen Platz findet und nur – ich garantiere Ihnen das – darauf wartet, dass es zur Explosion kommt. Es fehlt zurzeit in Deutschlan­d eine Schicht von Menschen, die bereit sind umzudenken.“

Droese glaubt bereits eine Absonderun­g der weißen Bevölkerun­g von der dunkelhäut­igen zu beobachten: „Am Ostseestra­nd ist alles ganz weiß.“Auch das zählt zu den Wahrheiten in diesem Land, vor denen man Droese zufolge nicht die Augen verschließ­en darf – welche Schlüsse auch immer man daraus ziehen mag.

 ?? FOTO : ANDREAS ENDERMANN ?? Felix Droese (68) in seinem Atelier vor einer alten Schulwandk­arte Asiens, mit schwarzen Übermalung­en aus seiner Hand. Titel dieser Arbeit: „Deutschlan­d wird am Hindukusch verteidigt“, nach einem Ausspruch des früheren Verteidigu­ngsministe­rs Peter Struck.
FOTO : ANDREAS ENDERMANN Felix Droese (68) in seinem Atelier vor einer alten Schulwandk­arte Asiens, mit schwarzen Übermalung­en aus seiner Hand. Titel dieser Arbeit: „Deutschlan­d wird am Hindukusch verteidigt“, nach einem Ausspruch des früheren Verteidigu­ngsministe­rs Peter Struck.

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