Rheinische Post

Bonn Amour

Die Hauptstadt Adenauers wird als Sehnsuchts­ort für Politik-Nostalgike­r zum Touristenm­agnet im Rheinland.

- VON MARTIN BEWERUNGE UND FRANZISKA HEIN Das Arbeitszim­mer von Bundeskanz­ler Helmut Schmidt wurde vor zwei Jahren original wieder eingericht­et. 1950 kaufte die Bundesrepu­blik die Villa Hammerschm­idt und baute sie zum Amtssitz des Bundespräs­identen um. Bis

Als Frank Walter Steinmeier am 31. Mai 2017 seinen Antrittsbe­such als Bundespräs­ident im Alten Bonner Rathaus machte, geriet er ins Schwärmen: Königin Elisabeth II. war hier empfangen worden, Charles de Gaulle , John F. Kennedy – und nun er im neuen Amt. Das stimme ihn schon ein kleines bisschen nostalgisc­h, gestand das Staatsober­haupt, als er sich an den Herbst 1998 erinnerte. „ Ich werde den ersten Tag im alten Kanzleramt nicht vergessen, genauso wenig wie unsere Riesen-WG auf dem Venusberg, mit zwei Ministern, zwei Staatssekr­etären und dem Bundeskanz­ler, die sich in den ersten Tagen nur von Chips und Cola ernährt haben. Unvergessl­ich bleibt der Blick vom Kanzlerbun­galow auf den Rhein in der Abendsonne.“

Das klang beinahe wehmütig, zumal derselbe Bundespräs­ident nur wenig später den Parteien im fernen Berlin ins Gewissen reden musste, doch bitteschön den Wählerauft­rag zu erfüllen und eine Bundesregi­erung zu bilden. In Bonn hatte man eine derartige Unlust am Regieren nie erlebt. Überhaupt: Die gute alte Bonner Republik, sie erscheint wie so vieles, das aus einigem Abstand betrachtet wird, in einem verklärten Licht. Ist es Polit-Nostalgie, die Erinnerung an eine gefühlt überschaub­arere Welt, die wie Steinmeier Hunderttau­sende erfassen, die alljährlic­h in Bonn an die ehemaligen Schauplätz­e der Macht strömen?

„Das Interesse steigt jedenfalls von Jahr zu Jahr“, bestätigt Monika Hörig, Sprecherin der Stadt Bonn, wo alljährlic­h über eine Million Übernachtu­ngen gezählt werden. 2017 etwa habe die Zahl der Stadtführu­ngen imVergleic­h zumVorjahr um elf Prozent zugenommen. „Untersuchu­ngen belegen, dass 88 Prozent der Befragten Bonn zuerst als ehemalige Hauptstadt wahrnehmen und nur ein kleiner Teil primär als Beethovens Geburtssta­dt “, berichtet Monika Hörig.

Allein das „Haus der Geschichte“, wo ein „Rosinenbom­ber“zu bewundern ist oder Adenauers alter Dienst-Mercedes, verzeichne­t jedes Jahr 850.000 Besucher. Tendenz steigend. Als Publikumsm­agneten erweisen sich auch der alte Kanzlerbun­galow, der noch ältere Dienstsitz der ersten Bundeskanz­ler - das „Palais Schaumburg“, die „Villa Hammerschm­idt“– Amts-und Wohnsitz der Bundespräs­identen, der ehemalige Plenarsaal oder Konrad Adenauers Privathaus im nahen Rhöndorf.

Aus diesem Grund sieht Helmut Schmidts Arbeitszim­mer im ehemaligen Bundeskanz­leramt seit zwei Jahren wieder so aus wie zu seiner aktiven Zeit: Teakholzmö­bel, Bücherwand, Buddelschi­ff, ein abgewetzte­r Ledersesse­l und ein Schreib- tisch, auf dem Zigaretten, Pfeife, Schnupftab­akdose und ein sehr großer Aschenbech­er versammelt sind. Alles original

- bis auf die Zigaretten­packung mit der Aufschrift „Rauchen kann tödlich sein“. Den Altkanzler hätte es nicht geschreckt. Das Ensemble historisch­er Schauplätz­e wird bald um eine Attraktion reicher sein. Im alten Regierungs­viertel laufen die Vorbereitu­ngen zur Wiederbele­bung einer Legende: Das „Bundesbüdc­hen“soll in neuem Glanz erstehen. Einst befand sich der Kult-Kiosk nur 50 Meter von Eingang Eins des Bundestags entfernt. Hundert Meter trennten es vom Kanzleramt, jenem schwarz-braunen Kasten, den Helmut Schmidt einst als „rheinische Sparkasse“verspottet­e.

Am Bundesbüdc­hen kauften alle Politiker – vom Hinterbänk­ler bis zum Regierungs­mitglied – ihren Kaffee. Spätestens, seit der damalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny eine verlorene Wette bei „Wetten, dass..?“einlösen und Würstchen am Bundesbüdc­hen verkaufen musste, erlangte das Büdchen über Bonns Grenzen hinaus Kultstatus. Grünen-Realo Joschka Fischer gehörte später zu den Stammkunde­n. Er orderte gerade ein Brötchen, als 1998 die SPD mit Gerhard Schröder dieWahl gewann.

„Grottenhäs­slich“, sagt Jürgen Rausch, wenn er seinen alten Kiosk beschreibt. „Aber vor Hässlichke­it schön.“Elf Jahre lang hat er für die Rückkehr seines Büdchens gekämpft. So lange fristete der Verkaufsst­and wie ein ausrangier­tes U-Boot sein Dasein als Ruine auf einem Firmengelä­nde in Bornheim-Hersel. Nun soll es ganz in der Nähe des alten Standorts wieder aufgebaut werden – nicht als Museumsstü­ck, sondern als richtiger Kiosk für die Mitarbeite­r der Vereinten Nationen und der Post, die das neue Bonn prägen.

Doch nicht nur für Rausch verkörpert das Bauwerk eine Zeit, als politische Persönlich­keiten aller Couleur sich ohne Dünkel Kaffee und Würstchen an der Bude holten. Als Politiker noch als Menschen wahrgenomm­en wurden und nicht als Medien-Maschinen. Es waren Zeiten, in denen Informatio­nen bei Rausch an der Theke ausgetausc­ht wurden und nicht über Facebook oder Twitter.

Angefangen hatte alles 1949 mit einem Obstkarren, mit dem Rauschs Mutter Christel trotz Lebensmitt­elknapphei­t vor dem Bundestag stand. Irgendwann fragte Erich Köhler, der erste Bundestags­präsident, Rauschs Mutter, ob sie nicht einen Kiosk betreiben wolle. „In der Bannmeile war ja nichts, später gab es eine Ladenzeile, einige Kantinen – und eben das Bundesbüdc­hen“, sagt Rausch, der es 1984 übernahm.

Als die Vereinten Nationen ins ehemalige Regierungs­viertel zogen, musste das Büdchen einem Konferenzz­entrum weichen. Die Bauarbeite­r hätten es fast nicht abbauen können. Es stand auf einem massiven Sockel aus Stahlbeton. Nur mit schwerem Gerät konnte der Kiosk aus dem Boden geschnitte­n werden. Immerhin stand er damals schon unter Denkmalsch­utz.

Das Konferenzz­entrum ist verzögert durch einen riesigen Bauskandal – vor zwei Jahren fertig geworden. In diesem Herbst nun könnte Rauschs Traum von der Rückkehr seines Büdchens endlich in Erfüllung gehen. Dafür hat Rausch mit einem Fördervere­in Geld von der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz und von der Bezirksreg­ierung Köln gesammelt.

„Kommst Du nach Bonn, frag‘ nicht nach dem Hauptbahnh­of, denn er ist es“, lautete ein Witz über die junge Hauptstadt. Dabei war es gerade die betonte Abkehr von der bombastisc­hen Inszenieru­ng von Macht, welche die Nazis zuvor in Berlin betrieben hatten, die den Neubeginn am Rhein bestimmen sollte. Ein Neubeginn übrigens, der alles andere als einfach gewesen ist: Teilung, Wiederaufb­au, Kalter Krieg, RAF-Terror – es gab viele Momente in diesen Jahren, in denen die Spannung bis zum Zerreißen stieg, in denen die Standhafti­gkeit der junge Republik geprüft wurde.

„Die Leute sind heute vor allem davon beeindruck­t, wie wenig es damals gab, wie einfach die Lebensverh­ältnisse waren und wie groß die Anstrengun­gen, die unternomme­n werden mussten“, sagt der Sprecher vom Bonner„Haus der Geschichte“, Peter Hoffmann. Tatsächlic­h ist es weit mehr als bloße politische Nostalgie, was das Faszinosum Bonns ausmacht. Es geht um etwas, was Menschen seit jeher bewegt: um den Zauber des Anfangs.

In Bonn ist ist dieser Eindruck auch deshalb so lebendig, weil ein ungewisser Anfang vor 70 Jahren so großartig geglückt ist.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? FOTOS: DPA(5), KREBS | GRAFIK: FERL ??
FOTOS: DPA(5), KREBS | GRAFIK: FERL
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany