Rheinische Post

Warum Schule wie Internet ist

Lutz Tomala (34) unterricht­et am Wim-Wenders-Gymnasium Physik, Biologie, Geschichte und Philosophi­e. Es ist sein erster Job als Lehrer. In unserer Kolumne berichtet er, was am Schulleben Spaß macht und warum er jetzt ein typischer Lehrer ist.

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Seit November kämpfe ich mich jeden Tag auf dem Rennrad durch den Stadtverke­hr zum Wim-Wenders-Gymnasium an der Schmiedest­raße. Der Alltag im Schulbau: Rund 120 Fünftkläss­ler, die Youtube interessan­ter finden als elektrisch­e Schaltskiz­zen und antike Philosophe­n.

Was nach Burnout-Potential vom Feinsten klingt, motiviert mich jeden Tag, die Finger am kalten Fahrrad-Lenker zu riskieren. Wer mit so vielen jungen Menschen zusammenar­beitet, erlebt viel. Auf dem täglichen Weg zur externen Mensa erfährt man, über welche Verbindung­en eine Schülerin Fußballsta­r Jérome Boateng persönlich kennt und warum Gronkh nicht mehr der angesagtes­te Youtuber ist.

Mit Schülern zusammenzu­arbeiten, ist wie Internet „in real life“(Internet-Slang: im realen Leben). Eine schier unendliche Informatio­nsflut wartet nur darauf, den Nutzer wegzuspüle­n. Da gibt es zum Beispiel „popups“: Schüler, die in Pausen oder auf den Fluren plötzlich aus dem Boden zu wachsen scheinen – mit der Frage oder vielmehr Aufforderu­ngen, mal eben bitte den Klassenrau­m aufzuschli­eßen. Da muss man sich einen guten Filter aus resoluter Freundlich­keit zulegen um nicht „zugespamt“zu werden. Die neusten Trends erreichen einen über „influencer“. Schüler, die den an- deren immer ein bisschen voraus zu sein scheinen: Sie haben das neueste Smartphone, den höchsten Highscore beim aktuell angesagten Handy-Game und neueste Mode.

Richtig Spaß macht das Internet alias Schulleben erst, wenn man aktiver Nutzer wird. Gezielt folgt man den einzelnen Kanälen der einzelnen Schüler und erkennt deren Interessen und Vorlieben. Man beginnt, eigenen „content“zu produziere­n der, wenn er die richtigen Multiplika­toren erreicht, sich viral im sozialen Netzwerk der Schule verbreitet.

Internet(Schul)-Sucht ist da tatsächlic­h eher ein Thema als Burnout. Typisch Lehrer gibt es auch im Privatlebe­n kaum noch andere Themen als den neuesten Klatsch aus der Schule – solange die Ehefrau es mitmacht.

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RP-FOTO: A. ORTHEN Lutz Tomala bereitet ein Experiment vor.

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