Rheinische Post

Das Ende von Bullerbü

Bei den Wahlen in Schweden am Sonntag stehen die Rechtspopu­listen vor einem Rekordwahl­ergebnis. Weder die linke Regierung noch die bürgerlich­e Opposition können mit einer absoluten Mehrheit rechnen.

- VON ANDRÉ ANWAR RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Schweden galt dem Rest derWelt lange als tolerantes, sozial ausgewogen­es Bullerbü. Während in den Nachbarlän­dern Finnland, Norwegen und Dänemark längst Rechtspopu­listen mitbestimm­en, konnten sie sich in Schweden lange Zeit nicht dauerhaft etablieren. Bis Jimmie Akesson kam.

Seit 2005 ist er der Chef der Schwedende­mokraten (SD), der 1988 von Neonazis mitbegründ­eten Rechtsauße­npartei Schwedens. Wenn am Sonntag ein neues Parlament in dem skandinavi­schen Land gewählt wird, will die SD mitregiere­n. Und dafür muss sie salonfähig werden – das hat Akesson verstanden. Seither gibt sich der 39-Jährige konsequent als gemäßigt.

Ob er schon mal einen Rassisten getroffen habe, fragt etwa die dunkelhäut­ige Lucy (7) mit ihrem südländisc­hen Akzent Akesson in ihrer Kinder-TV-Sendung „Lucys Wahl“. Akesson ist ganz der liebe Onkel und antwortet: „Gestern traf ich einen Rassisten, und ich sagte ihm, dass er aufhören soll, Rassist zu sein.“Ob er Freunde habe, die Rassisten sind, fragt die Siebenjähr­ige dann. „Nein, ich glaube das nicht. Man kann es nicht wissen. Aber ich glaube nicht. Ich kenne niemanden, der so denkt“, sagt er.

Erst kürzlich musste sich Akesson wieder von offen rassistisc­hen Parteimitg­liedern distanzier­en. Die Mäßigung hat sich gelohnt: Bei den Wahlen vor acht Jahren kam die SD mit knapp sechs Prozent erstmals über die Vierprozen­thürde, vor vier Jahren verdoppelt­e sie ihren Stimmenant­eil dann auf knapp 13 Prozent. Bei den nun anstehende­n Parlaments­wahlen könnte die Partei laut Umfragen mit rund 20 Prozent erstmals größer als die größte bürgerlich­e Opposition­spartei Moderatern­a von Regierungs­chefanwärt­er Ulf Kristersso­n werden. Zudem liegt die SD damit nur wenige Prozentpun­kte entfernt von Ministerpr­äsident Stefan Löf- vens Sozialdemo­kraten. In einigen Umfragen kriegt sie sogar mehr.

„Schweden steht vor einer umwälzende­nVeränderu­ng seiner politische­n Landschaft“, sagte Mats Knutson, Kommentato­r beim öffentlich-rechtliche­n Fernsehen SVT, unlängst. Es sei nicht einmal ausgeschlo­ssen, dass Akessons SD die Sozialdemo­kraten erstmals seit 100 Jahren als stärkste Partei im Lande ablösen könnte. Der Erfolg der SD beruhe teils auf der Mäßigung der Partei, sagt auch Nicholas Aylott, Politikpro­fessor an der Stockholme­r Hochschule Södertörn. „Zudem hatte Schweden eine generöse Einwanderu­ngspolitik in den letzten zwölf bis 15 Jahren. Die ist ziemlich radikal gewesen im Vergleich zu allen anderen Ländern in Europa und hat viele Bürger beunruhigt.“Heute seien rund 18 Prozent der Bürger Schwedens im Ausland geboren, wenn man Bürger mit ausländisc­hen Eltern hinzuzähle, seien es 24 Prozent. „Für ein Land, das historisch gesehen sehr homogen war, ist das eine große Veränderun­g“, sagt er. Gleichzeit­ig sei es im Establishm­ent lange ein Tabu gewesen, darüber zu reden, dass durch Migration auch Probleme entstehen. „Das hat lange nur die SD getan.“

Am Rande der schwedisch­en Großstädte sind Migrantenw­ohnviertel mit teils hoher Arbeitslos­igkeit und Kriminalit­ätsrate entstanden. Immer wieder geraten sie durch Krawalle und Bandenschi­eßereien in die Schlagzeil­en. Gleichzeit­ig hätten sozialdemo­kratische und bürgerlich­e Regierunge­n seit den 90er Jahren den Wohlfahrts­staat, der zuvor als der engmaschig­ste der Welt galt, immer weiter zugunsten einer neoliberal­en Politik beschnitte­n: „Eine zuvor den Menschen unbekannte soziale Unsicherhe­it ist in Schweden eingezogen, gerade auch in den unteren und mittleren sozialen Schichten“, sagt Daniel Suhonen, Chef der gewerkscha­ftlichen Denkfabrik Katalys. „Das härtere soziale Klima konnte die SD dann erfolgreic­h mit der Einwanderu­ng verbin- den, obwohl es nichts damit zu tun hat“, so Suhonen.

Die rot-grüne Regierung sowie der bürgerlich­e Block standen zudem lange hinter der generösen Einwanderu­ngspolitik. „Öffnet eure Herzen“, sagte der bürgerlich­e Ministerpr­äsident Fredrik Reinfeldt vor seiner Abwahl 2014. Es war das schwedisch­e„Wir schaffen das“. Im Jahr 2015 flüchteten dann über 160.000 Menschen nach Schweden. Relativ zu seinen zehn Millionen Einwohnern hat Schweden mehr Flüchtling­e pro Kopf aufgenomme­n als jedes andere europäisch­e Land. Die Kommunen waren überforder­t. Erst Ende 2015 kündigte die rot-grüne Regierung die Schließung der Grenzen und deutlicheV­erschärfun­gen der Asylrichtl­inien an. „Das kam viel zu spät. Die SD konnte sich bis dahin als einzige einwanderu­ngskritisc­he Partei im Parlament etablieren“, sagt Aylott.

Seit der Kehrtwende der Regierung und den guten Umfragewer­ten der SD hat sich auch die politische Debatte stark nach rechts verlagert. Noch nie zuvor war Einwanderu­ng und die verstärkte Bekämpfung von Kriminalit­ät auch von den großen etablierte­n Parteien und teils auch von den Medien so ins Zentrum der Debatte gerückt worden. Man zahle nun den Preis für 20 Jahre erfolglose Integratio­nspolitik, sagte etwa der Chef der bürgerlich­en Moderatern­a Ulf Kristersso­n. Noch 2014 wäre eine solche Äußerung aus seiner Partei im politisch korrekten Schweden fast undenkbar gewesen.

Unklar bleibt, wie die etablierte­n Parteien nach der Wahl mit der SD umgehen werden. Eine direkte Regierungs­beteiligun­g der SD schließen Links- und Rechtsbloc­k aus. Doch es ist nicht klar, inwieweit Teile des Rechtsbloc­ks die SD zumindest als Stützparte­i aktivieren könnten. Obwohl der Linksblock derzeit in Umfragen einen leichten Vorsprung zum bürgerlich­en Opposition­sblock hat, wird er wohl keine absolute Mehrheit erhalten. „Was passieren wird, ist unmöglich vorherzusa­gen. Denn es ist unwahrsche­inlich, dass einer der Blöcke eine eigene Regierung bildet“, so Politologe Aylott. Und dann kommt die SD ins Spiel.

„Schweden steht vor einer umwälzende­n Veränderun­g seiner politische­n Landschaft“ Mats Knutson Kommentato­r im schwedisch­en TV

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