So erlebten Düsseldorfer das Konzert in Chemnitz
Sechs Stunden dauert die Fahrt ans andere Ende Deutschlands. Sebastian Cox und Boris Bartels waren trotzdem beim Konzert gegen Rechts.
Mittags, halb eins, der Altmarkt in Dresden: Sebastian Cox hat sich einen Kaffee geholt und telefoniert nach Hause – nach Düsseldorf. „Ich bin einfach wahnsinnig positiv überrascht“, sagt er.
Der 29-Jährige war gerade im Kroatienurlaub, als in Chemnitz nach einem Stadtfest ein Mann durch einen Messerangriff getötet wurde. Er beobachtete von Ferne, wie die Lage eskalierte, Rechte Ausländer jagten, die Polizei Krawallen machtlos gegenüberstand. „Ich habe sofort gewusst:Wenn ich wieder da bin, muss ich ein Zeichen setzen,“sagt er.
Cox, nach mehreren Jahren als Immobilienkaufmann inzwischen wieder Wirtschaftswissenschaftsstudent, bezeichnet sich selbst als „Halbmigrant“: der Vater ist Südamerikaner, die Mutter Deutsche. „Wenn Leute den Hitlergruß zeigen und Jagd auf Leute machen, die anders aussehen, nehme ich das persönlich.“Als er von dem Konzert gegen Rechts in Chemnitz hörte, begann er, seine Reise zu organisieren: lieh sich das Auto seiner Schwester, fragte im Bekanntenkreis und im Internet nach Mitfahrern. Martin aus Haan meldete sich über die Jusos, Leon aus Düsseldorf über die Facebookgruppe „Nettwerk“. Am Montagmorgen traf sich die Truppe zum Plakatebasteln. Gegen 11 Uhr ging es los Richtung Osten.
Zu dieser Zeit sind Boris Bartels und fünf Mitstreiter bereits seit anderthalb Stunden auf der Autobahn. Die Gruppe kennt sich durch Arbeit, Ehrenamt und Freundeskreis. Alle sechs eint, dass sie sofort ent- schlossen waren, nach Chemnitz zu fahren, als das Konzert angekündigt wurde. Bartels (54) ist Chef einer Kommunikationsagentur, in Düsseldorf kennt man ihn unter anderem wegen seines Engagements gegen Dügida. Er benutzt ähnliche Worte wie Sebastian Cox: „Ich füh- le mich einfach persönlich beleidigt durch dieVorkommnisse. Hier wurden Anstand und Respekt mit Füßen getreten.“
Bartels wie Cox ist am Tag nach dem Konzert unter dem Motto #wirsindmehr immer noch anzumerken, wie sehr sie der Abend in
Chemnitz beeindruckt hat. „Denkwürdig“nennt Bartels das Erlebnis. „So viele junge, politisch motivierte Menschen, die ihren Protest auf angenehme, humorvolleWeise zum Ausdruck gebracht haben!“– „Es waren alle Altersklassen da“, sagt Sebastian Cox. „auch viele Chem- nitzer Bürger.“Schauspieler Jimmy Blue Ochsenknecht habe er gesehen, den Grünen-Politiker Anton Hofreiter und später Martin Dulig von der SPD, den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Sachsen. Ganz in Bühnennähe beim Auftritt der Toten Hosen.
Sebastian Cox beschreibt aber auch das mulmige Gefühl bei der Ankunft. Wie die drei jungen Männer am Nachmittag parken, die gebastelten Schilder im Auto lassen, Lage peilen. „Das erste, was wir gesehen haben, war ein Thor-Steinar-Laden.“Die Marke gilt als Erkennungszeichen der rechten Szene. Heruntergelassene Rollläden, Leerstände, „hochgeklappte Bürgersteige“– für Cox ist es der erste Besuch in Ostdeutschland und zunächst scheinen sich alle Klischees zu bestätigen. Auch als die kleine Gruppe später die Schilder aus dem Auto holt und beim Bierkauf im Netto spitze Blicke erntet. „Jetzt gleich wird’s knallen“, sagt ein Mann laut. Was er damit meint, bleibt unklar.
Doch der Abend bleibt friedlich. Cox und seine Freunde lernen interessante Menschen kennen und übernachten im 80 Kilometer entfernten Dresden. „Wir sind schwer überrascht, wie nett hier alle sind“, sagt Cox am Morgen danach.
Nach der politischen Relevanz des Konzerts gefragt, sagen Cox und Bartels wiederum das Gleiche: Es gehe nicht um einen Kampf zwischen Links und Rechts. Es gehe darum, für Anstand und Humanität im Land aufzustehen. „Wir müssen nicht nur nach Chemnitz gucken“, sagt Bartels.„Wir müssen nach ganz Deutschland gucken.“