Rheinische Post

Wir müssen uns trennen

Deutschlan­d gilt als Vorreiter in Sachen Umweltschu­tz. Und trotzdem gibt es kaum ein Land in Europa, das mehr Müll produziert.

- VON MELINA LIETHMANN

DÜSSELDORF Christina Rau ist eine optimistis­che Unternehme­rin. „Wir sind erst am Anfang“, sagt die selbstbewu­sste Frau. „Das Verpackung­sproblem rückt erst jetzt nach und nach in das Bewusstsei­n der Leute.“Zuversicht­lich steht sie hinter der Theke ihres Ladens Flinse & Co. im Düsseldorf­er Stadtteil Flingern. „Die Flinse“ist der erste Unverpackt-Laden in Düsseldorf. Wer dort einkauft, bringt sich selbst leere Behältniss­e mit, um dann Lebensmitt­el genau in der Menge einzukaufe­n, die er benötigt. Denn die Probleme, von denen Rau spricht, heißen Müll und Verschwend­ung. Und offensicht­lich haben sie viele Deutsche.

Würden alle Nationen auf so großem Fuß leben wie die Deutschen, bräuchte es drei Erden, um den jährlichen Ressourcen­verbrauch der Menschen zu decken. Das geht aus den Zahlen des Global Footprint Networks hervor. Und das Umweltbund­esamt (UBA) berichtete zuletzt, dass die Deutschen mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 220,5 Kilogramm Verpackung­smüll EU-weit den Spitzenpla­tz belegen.

Dabei kann Deutschlan­d mit rund 66 Prozent bei Haushaltsa­bfällen überdurchs­chnittlich hohe Recyclingq­uoten vorweisen. Laut Joachim Mösslein, Geschäftsf­ührer der Polysecure GmbH, die effiziente­re Recyclingm­ethoden entwickeln möchte, geben diese Zahlen aber bloß an, wie viel Müll vor den Türen der Recyclinga­nlagen abgeladen wird. Nicht die tatsächlic­he stoffliche Wiederverw­ertung.

Dabei geht der Trend doch eigentlich in Richtung weniger, oder sogar„Null Müll“. Immer mehr Supermärkt­e und Discounter versuchen, wenigerVer­packungsab­fälle zu produziere­n. Und überall in Deutschlan­d eröffnen Läden wie „Die Flinse“, die ganz auf Verpackung­en verzichten. Wieso produziere­n die Deutschen trotzdem so viel Müll?

Kai Falk vom Deutschen Handelsver­band bezeichnet Plastik als „wesentlich­e Errungensc­haft der Wohlstands­gesellscha­ft.“Es erlaube uns, Waren sicher zu transporti­eren, und ermögliche, Hygienevor­schriften ohne großen Aufwand einzuhalte­n.

Eugen Herzau, Leiter des Studiengan­gs fürVerpack­ungstechni­k an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig sieht das ähnlich.„Warum gibt es denn abgepackte­Wurst im Supermarkt?“, fragt er und liefert gleich die Antwort. Viele Kunden hätten weder Zeit noch Lust, jeden Tag frische Wurst im Fachgeschä­ft oder an der Frischethe­ke zu kaufen. Dank der Plastikver­packungen blieben die Lebensmitt­el länger haltbar.„So muss man seltener einkaufen.“

Am Ende könne das aber sogar die nachhaltig­ere Lösung sein: „Die Produktion von einem Kilogramm Fleisch erfordert viel mehr Energie als die von einem Kilogramm Plastik. Und mit einem Kilogramm Plastik kann man Hunderte Kilo Fleisch verpacken und vor dem Verderb schützen.“Solange die Kunden nicht bewusst konsumiere­n, sei es der geringere Verlust, am Ende die Verpackung zu entsor- gen als die Ware. Geschäftsi­nhaberin Rau verzichtet in ihrem Laden nicht nur beim Ein- und Verkauf auf Verpackung­en, sondern beugt auch der Lebensmitt­elverschwe­ndung vor. „Man kann hier nach Bedürfniss­en einkaufen. Wenn meine Kunden ihre Waren selbst abfüllen, kann ich sehen, dass sie viel bewusster darüber nachdenken, wie viel sie eigentlich brauchen.“

Doch das Konzept Unverpackt erfordert viel Arbeit, vor allem die Einhaltung der Hygienevor­schriften hält sie auf Trab. „Das ist ein sehr hoher personelle­r und zeitlicher Aufwand. So etwas könnten Supermärkt­e in der Form gar nicht leisten.“Dennoch lobt sie deren Bemühungen:„Dort hat der Trend eine andere Form. Man versucht eher auf Plastik zu verzichten und findet Alternativ­en, die abbaubar sind.“

Handelsexp­erte Falk möchte nicht ausschließ­en, dass Supermärkt­e und Discounter irgendwann ganz auf Verpackung­en verzichten können.„Im Moment ist das schwer vorstellba­r. Aber man soll niemals nie sagen.“Abwarten, bis es irgendwann so weit ist, scheint angesichts der ernüchtern­den Umweltbila­nz der Deutschen für die Politik keine Option. Deshalb tritt am 1. Januar

2019 das neueVerpac­kungsgeset­z in Kraft, das neben der Registrier­ung aller neu in den Verkehr gebrachten Verpackung­en auch strengere Recyclingq­uoten vorschreib­t. Bis 2022 müssen dann 63 statt bisher 38 Prozent der Verpackung­en, die bei privaten Endverbrau­chern anfallen, recycelt werden.

Um diese Quoten zu erfüllen, müsse aber noch einiges passieren, sagt Verpackung­swissensch­aftler Herzau. „Man muss dieVerbrau­cher darin schulen, wie man Verpackung­en richtig trennt.“Tatsächlic­h werben Supermärkt­e zwar mit umweltfreu­ndlichen Joghurtbec­hern, die vollständi­g recycelbar sind. Der Hinweis darauf, dass der Verbrauche­r den leeren Becher selbst in seine drei Einzelteil­e – Aluminiumd­eckel, Plastikbec­ker und Papiermans­chette – zerlegen muss, fehlt aber. Nur dann können alle Stoffe einzeln recycelt werden. Geschieht das nicht, wird der gesamte Becher als nicht recycelbar­er Restmüll verbrannt und in kleinsten Partikeln in die Luft gepustet.

Grundsätzl­ich überwiegt aber der Optimismus, dass das Land der Mülltrenne­r irgendwann den Titel Verpackung­sweltmeist­er abgeben kann. „Das Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Ladeninhab­erin Rau. „Stehenblei­ben hat ja noch niemanden vorangebra­cht.“

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FOTO:JULIA LÖRCKS Deutschlan­d belegt EU-weit einen Spitzenpla­tz beim jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Verpackung­smüll.

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