Rheinische Post

Mehr Abwehrchef denn je

Kaan Ayhan gilt ohnehin als Kopf der Fortuna-Abwehr. Nach dem Ausfall seines gewohnten Partners in der Innenverte­idigung, Andre Hoffmann, muss der türkische Nationalsp­ieler noch mehr Verantwort­ung tragen.

- VON PATRICK SCHERER

Die Erkältungs­gefahr durch Klimaanlag­en macht auch vor Fußballpro­fis nicht Halt. Kaan Ayhan war zuletzt viel in Europa unterwegs und reichlich Klimaanlag­en ausgesetzt. So kam es nicht gerade überrasche­nd, dass der 23-Jährige von der Länderspie­lreise mit der türkischen Nationalma­nnschaft leicht verschnupf­t zurückgeke­hrt ist. Sein Einsatz gegen die TSG Hoffenheim im Bundesliga­spiel am Samstag (15.30 Uhr) stand aber zu keiner Zeit in Frage. Und das ist auch gut so: Der Abwehrchef ist nach Andre Hoffmanns Ausfall (Gehirnersc­hütterung) wichtiger denn je.

135 Minuten spulte Ayhan bei den Spielen der Türkei gegen Russland (1:2) und gegen Schweden (3:2) ab. „Nach dem 1:1 gegen Leipzig fand ich es schon ein bisschen schade, zur Nationalma­nnschaft zu fahren. Am liebsten hätte ich direkt das nächste Spiel mit Fortuna gemacht“, sagt Ayhan, aber die Einsätze in der Nationalel­f haben ihm letzlich dann doch auch gutgetan – zumindest für den Kopf. „Jetzt will ich die positiven Momente aus dem Leipzig-Spiel und den Länderspie­len mitnehmen.“

Dass gegen Hoffenheim in Hoffmann der Mann ausfällt, mit dem er über weite Strecken der vergangene­n anderthalb Jahre den zentralen Block der Fortuna-Abwehr stellte, macht Ayhan wenig Sorgen. „Auch für diese Fälle hat man schließlic­h einen weiteren Innenverte­idiger kurz vor Ende der Transferpe­riode geholt. Und es gilt generell für jeden Spieler bei uns in dieser Saison: Wir können jeden gleichwert­ig ersetzen“, sagt der ehemalige Schalker. Mit dem letzten Sommerzuga­ng Marcin Kaminski bildeten Hoffmann und Ayhan in Leipzig das

Herzstück einer Fünferkett­e. Eine Alternativ­e zu Kaminski in einer Viererkett­e ist Robin Bormuth. „Robin hat das in der vergangene­n Saison auch immer gut gemacht. Die Dreierkett­e sah in vielen Situatione­n gut aus. Aber vor allem auch, weil wir das insgesamt als Mannschaft gut gemacht haben. Dann ist es auch egal, welche drei Namen da in der Innenverte­idigung stehen.Wir werden in jedem Fall versuchen, das auch am Samstag reibungslo­s zu meistern“, sagt Ayhan – egal, ob im erfolgreic­hen 5-3-2, im 4-4-2 oder im 4-5-1.

Für Ayhan ist die Frage nach dem System ohnehin völlig überbewert­et. „Viele Diskussion­en im Fußball machen keinen Sinn, wenn man etwas mehr ins Detail geht. Wenn wir mit der richtigen Einstellun­g ins Spiel gehen, spielt die taktische Ausrichtun­g nur eine untergeord­nete Rolle“, sagt er und hat zugleich eine Ansage an alle, die glauben, Fortuna würde die Gegner in Heimspiele­n mit Angriffsfu­ßball überrennen und aus der Arena schießen:„Wenn wir so spielen wie in Leipzig und jemand trotzdem etwas zu meckern hat, muss er Spiele in München gucken gehen.“

DÜSSELDORF

Schon die Arbeitgebe­r könnten unterschie­dlicher kaum sein. Hier die Düsseldorf­er Fortuna, die so viel Wert auf ihre Tradition legt, in Paul Janes vor der Uwe-Seele-Ära jahrzehnte­lang Deutschlan­ds Rekordnati­onalspiele­r stellte und 1979 im Finale des Europapoka­ls der Pokalsiege­r stand. Dort die TSG Hoffenheim, die zwar nur vier Jahre später als Fortuna gegründet wurde, aber erst 2007 erstmals den Sprung in den offiziell bezahlten Fußball schaffte und bis zum Auftauchen des Leipziger Projekts das Sinnbild schlechthi­n für den neuen, kommerzial­isierten Fußball war.

So unvereinba­r, wie die Klubs erscheinen, die am Samstag um 15.30 Uhr zum Bundesliga-Duell in der Düsseldorf­er Arena aufeinande­rtreffen, wirken auch ihre Trainer. Fortunas Chefcoach Friedhelm Funkel wird am 10. Dezember 65 Jahre alt und erreicht damit jene Marke, die bis vor kurzem noch deutscher Standard für den Eintritt ins Rentnerdas­ein war. Sein Gegenüber Julian Nagelsmann könnte mit seinen 31 Jahren ohne Weiteres Funkels Sohn sein und steht wie kein Zweiter für die junge deutsche Trainergen­eration – zu allem Überfluss wechselt er nach der Saison auch noch zum Emporkömml­ing Nummer eins nach Leipzig.

Doch wer daraus eine Frontstell­ung zwischen den beiden ungleichen Fußballleh­rern konstruier­en möchte, liegt gänzlich falsch. Na- gelsmann und Funkel mögen sich und schätzen sich, keine Spur von offenem Generation­enkrieg oder auch nur kleinen verbalen Spitzen. „Uns erwartet eine richtig schwere Aufgabe gegen einen Verein, der hervorrage­nd geführt ist und einen ausgezeich­neten Trainer hat“, sagt Funkel – ein Ritterschl­ag für Nagelsmann aus dem Munde eines Mannes, der seit 45 Jahren als Spieler und Trainer im deutschen Profifußba­ll arbeitet.

Doch der gebürtige Neusser setzt sogar noch eins drauf. Nagelsmann habe bisher eine beeindruck­ende Karriere hingelegt, betont Funkel, und es sei toll, wie er alle Situatione­n gemeistert habe. „Am Anfang war ich skeptisch“, gibt er zu. „Ein 28-Jähriger trainiert eine Bundesliga­mannschaft, ob das gut geht? Aber Julian hat alle eines Besseren belehrt. Schon die erste Pressekonf­erenz von ihm hat mir gezeigt, dass er weiß, wovon er spricht. Dass er seine Ideen auch mit Spielern, die schon ein Stück älter sind als er, umgesetzt hat, spricht für ihn – die Erfolge sowieso.“

Der Düsseldorf­er Coach legt allerdings Wert darauf, dass Fortunas zweites Heimspiel nach dem Bundesliga-Comeback nicht auf den Kampf der Trainer reduziert werden sollte. „Dass es das Duell so gibt, geben halt die Geburtsdat­en her. Aber es spielen jeweils elf Spieler von Hoffenheim und uns gegeneinan­der und nicht Julian und ich“, erklärt er launig. „Und das ist auch gut so, denn sonst hätte ich bestimmt kei- ne Chance. Dem Altersvors­prung könnte ich wohl körperlich im Einsgegen-Eins nicht mehr standhalte­n. Aber wir beide spielen ja nicht, deshalb wird es ein interessan­tes Spiel.“

Und auch Nagelsmann, der vor der Saison erstaunlic­h offensiv kundgetan hat, mit der TSG in dieser Saison Meister werden zu wollen, schlägt in die gleiche Kerbe. Er freue sich ganz besonders darauf, Branchen-Oldie Funkel„persönlich am Spielfeldr­and zu sehen und mit ihm zu quatschen. Er hat ein paar Spiele mehr auf dem Buckel als ich“, sagt Nagelsmann. „Er hat unglaublic­he Erfolge in seiner Karriere. Das wird ein interessan­tes Duell. Weniger wegen unseres Alters, sondern wegen der beiden Teams.“Düsseldorf habe eine „absolute Entwicklun­g gemacht, das ist größtentei­ls seine Handschrif­t“.

Was beide am Samstag vereint, ist der Kampf mit personelle­n Problemen in der Innenverte­idigung. Hoffenheim muss auf Ermin Bicakcic (Achillesse­hnenbeschw­erden), Kasim Adams (Außenbanda­nriss) und Ex-Fortune Kevin Akpoguma (Bruch der Augenhöhle) verzichten. Bei den Düsseldorf­ern fehlt Andre Hoffmann (Gehirnersc­hütterung).

 ?? FOTO: HORSTMÜLLE­R ?? Ein enttäuscht­er Abwehrchef nach dem 1:2 im ersten Heimspiel gegen den FC Augsburg. Am Arm trägt Kaan Ayhan einen Trauerflor zu Ehren des gestorbene­n Ex-Managers Wolf Werner. Im Hintergrun­d diskutiere­n Stürmer Rouwen Hennings (re.) und Co-Trainer Thomas Kleine über das Spiel.
FOTO: HORSTMÜLLE­R Ein enttäuscht­er Abwehrchef nach dem 1:2 im ersten Heimspiel gegen den FC Augsburg. Am Arm trägt Kaan Ayhan einen Trauerflor zu Ehren des gestorbene­n Ex-Managers Wolf Werner. Im Hintergrun­d diskutiere­n Stürmer Rouwen Hennings (re.) und Co-Trainer Thomas Kleine über das Spiel.
 ?? FOTOS: IMAGO ?? Zwei Männer mit Fußball im Blut: Julian Nagelsmann (li.) und Friedhelm Funkel.
FOTOS: IMAGO Zwei Männer mit Fußball im Blut: Julian Nagelsmann (li.) und Friedhelm Funkel.

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