Rheinische Post

Verlorene Heimat

- VON UWE-JENS RUHNAU

Das Haus Niederkass­eler Straße 35 ist abgerissen. Dort wird gerade das Luxus-Wohnprojek­t „Sundowner“fertiggest­ellt. Eine Düsseldorf­er Geschichte aus dem Linksrhein­ischen.

NIEDERKASS­EL Das Haus an der Niederkass­eler Straße ist im Frühjahr 2016 abgerissen worden, doch gestorben ist es schon Monate vorher. Wer das Haus betrat, als noch ein wenig Leben in ihm war, konnte das nahende Ende spüren. Fast alle Wohnungen waren verwaist, und wer im Herbst 2015 einen der verblieben­en Bewohner besuchte, der nahm wahr, dass die sich ausbreiten­de Verlassenh­eit einen Geruch hatte, und hätte dieser Geruch eine Farbe gehabt, so wäre es Grau gewesen. Es wurde nicht mehr geheizt und nicht mehr gelüftet, Moder stieg in die Nase. Aus den Briefkäste­n quollen Flyer.

Dass es so weit kommen würde, war den Mietern zu Beginn nicht klar. Mehr als vier Jahrzehnte war das Haus bereits Heimstatt von Düsseldorf­er Familien, da dachten sie, dass dies so bleibt. Das Gebäude gehörte einer bekannten Düsseldorf­er Familie. Als jedoch die Erbtante starb, kam es unter ihren Nachfahren zu Uneinigkei­t. Im Herbst 2013 wurde das Haus verkauft. Kurz darauf, im Januar 2014, lief die Sozialbind­ung aus. DerVerwalt­er wechselte, es gab im Februar einen Brief, in dem eine Mieterhöhu­ng ausgesproc­hen wurde. „Wir hatten die Hoffnung, dass der neue Eigentümer Primag AG damit erst einmal befriedigt sein könnte“, sagt Lisa Feier*, die rund 20 Jahre in dem Haus gelebt hat. Ihr Name ist hier ebenso geändert wie der der anderen ehemaligen Mitbewohne­r.

Die Hoffnung der Bewohner war trügerisch und reichte nur bis zum Frühsommer 2014. Kurz nach der Mieterhöhu­ng bat der Eigentümer zu Gesprächst­erminen, mal einzeln, mal in Gruppen. Der Mietervere­in wurde eingeschal­tet, es hieß, da müsse man nicht hin.Wie ein Schlag in die Magengrube wirkten vor den Terminen Hinweise von Bekannten. „Euer Haus wird für Luxuswohnu­ngen abgerissen“, erzählten Freunde, die im Internet auf das „neue Bauvorhabe­n“auf der Niederkass­eler Straße gestoßen waren. Damit konfrontie­rt, habe sich der neue Hauseigent­ümer herausgewu­nden und gesagt, sein Büro habe versagt. „Er hat uns irgendwas erzählt und dabei noch angelächel­t.“Schließlic­h sagte er doch, was er vorhatte: Abriss und Neubau. Die elf Parteien sollten ausziehen. Um die 16 Menschen zwischen 15 und fast 80 Jahren sollten sich eine neue Bleibe suchen.

Die Hausgemein­schaft war geschockt. Angestellt­e, Freiberufl­er, Beamte; solo, alleinerzi­ehend, Familien, Rentner, auf einmal standen sie alle unter Druck. Acht Jahre war unter ihnen die kürzeste Aufenthalt­szeit im Haus, es gab auch Fälle von 44 Jahren, die komplette Existenzda­uer des Gebäudes. „Es war das hässlichst­e Haus in der Straße“sagt Rudolf Rellers und lacht, weil er etwas übertriebe­n hat. Es sei funk- tional gewesen, nichts Besonderes, aber eben ordentlich und gut, rein technisch habe es keine Notwendigk­eit gegeben, den Komplex niederzure­ißen. DieWohnung­en waren knapp 40, 60, 65 und 80 Quadratmet­er groß,„oben mit Traumterra­ssen“, sagt Petra Mata,„und Garagen, das war sehr gut“. Die Warmmieten hätten zwischen 350 und 750 Euro gelegen. Die Hausgemein­schaft habe funktionie­rt, erst recht, seit der letzte Querkopf ausgezogen sei. Es sei üblich gewesen, dem Nachbarn für alle Fälle einenWohnu­ngsschlüss­el zu geben, und wenn man sich im Flur sah, hielt man mitein- ander ein Pläuschche­n.

Die Geschichte dieses Hauses im Linksrhein­ischen ist eine, wie sie überall in der Republik in Städten passiert, wo der Wohnraum sowie die gute Lage knapp und die Nachfrage groß ist; wo es ein zahlungskr­äftiges Klientel gibt, das in Zeiten von Null- und Niedrigzin­s in Top-Immobilien investiert, sei es, um sie selbst zu nutzen oder auch nur, um Geld anzulegen. In solchen Fällen findet nicht selten ein Verdrängun­gswettbewe­rb statt, in Ober- und Niederkass­el war und ist er an mehreren Stellen zu beobachten. Es treten Entwickler auf den

Plan, und haben sie ein Haus erworben, wollen sie mit ihm Geld verdienen. Daran ist nichts auszusetze­n, eine Investitio­n ist mit Renditeerw­artungen verbunden. Die Frage ist nur: Wie hoch soll die Rendite ausfallen? Ist die Investitio­n nachhaltig oder soll möglichst schnell ein möglichst hoher Gewinn erzielt werden? Und welche Rolle spielen die Menschen dabei? Hauptrolle, Nebenrolle, oder sind sie bloß ein Hindernis?

Wie andere Immobilien­investoren in Ober- und Niederkass­el wollte auch der Entwickler an der Niederkass­eler Straße den Radikalsch­nitt. Luxuswohnu­ngen in 1a-Lage finden dort Käufer. Also machte er den Mietern Angebote. Die Summen aber seien zunächst „absurd niedrig“gewesen, berichten die ehemaligen Bewohner. Die Sorge wuchs, einige schliefen schlechter, eine Bewohnerin bekam eine Gürtelrose. „Wir wussten ja jetzt, was auf uns zukam, einige schauten sich schon nach neuen Wohnungen um. Über kurz oder lang mussten wir raus.“

Das Verfahren stockte. Um den Jahreswech­sel 2014/15 herum hieß es plötzlich Kommando zurück. Es gab Post vom Anwalt. Er wolle nun doch modernisie­ren, ließ der Eigentümer wissen. Gerüstbau, Lärm und Dreck, doppelt so hohe Mieten im Anschluss waren die Diskussion­sthemen im Hausflur. Der Mietervere­in konterte: Das alles gehe so nicht, man könne Einspruch einlegen, es gebe Härtefallr­egelungen. Die ersten Mieter hatten genug, sie zogen aus. „Wir machten ganz neue Erfahrunge­n“, erzählt Lisa Feier, „die Eingangstü­ren der leeren Wohnungen blieben offen stehen.“Eine merkwürdig­e Atmosphäre sei das gewesen. Auch defekte Birnen im Treppenhau­s seien erst mal nicht ausgetausc­ht worden, der Durchgang zu den Garagen sei zeitweilig aus gleichem Grund duster gewesen. Das Leben war nun endgültig ein anderes geworden.

In der Politik schlug das Projekt Wellen. Es gab Gespräche mit Stadtteilp­olitikern, bei Sitzungen der Bezirksver­tretung wetterte Astrid Wiesendorf (Grüne) gegen das Spekulatio­nsobjekt. „Rechtlich, so sagte man uns, war das aber alles in Ordnung.“

Im Frühjahr 2015 wurden die Beratungen mit einem Anwalt, den der Eigentümer bezahlte, intensivie­rt. Fünfstelli­ge Summen wurden in Aussicht gestellt. Einer nach dem anderen ließ sich auf die Angebote ein, das Heim war ja auch längst unheimlich geworden. Nach dem Sommer roch das Haus grau. Die letzte Partei zog im Herbst 2015 aus.

Jetzt ist an der Niederkass­eler Straße der„Sundowner“in die Höhe gewachsen. Beim Drink zum Sonnenunte­rgang lässt sich bald sinnieren, ob knapp 1,7 Millionen Euro für die 204,8 Quadratmet­er großeWohnu­ng nun zu viel sind oder nicht. Vorher war auf einer solchen Etage Platz für drei Mietpartei­en. Jetzt gibt’s eineVierzi­mmerwohnun­g mit Kamin und Masterschl­afzimmer mit Ankleide und Bad en suite. In der Werbung heißt es: „Die Wohnungen von Sundowner sind auf höchste Ansprüche ihrer Bewohner ausgelegt. In vielen kleinen Details zeigt sich, dass von Menschen geplant wurde, die zu leben wissen.“Primag-Chef Gerd Esser betont, dass alles korrekt abgelaufen sei und er die damaligen Mieter ordentlich behandelt habe.„Der Anwalt kam auch aus Reihen der Mieter.“Er erlebe zudem immer wieder, dass ehemalige Mieter zufrieden mit ihrer neuen Wohnung, etwa in einem Neubau, seien. Oberkassel habe in den vergangene­n 30 Jahren eine unglaublic­he Entwicklun­g genommen, heute zahle man für ein nicht saniertes Haus zwei Millionen Euro. Seine Gewinnspan­ne sei wegen der hohen Baukosten gering. Esser räumt ein, „dass sich die Bevölkerun­g im Stadtteil umgeschich­tet hat“.

Die ehemaligen Bewohner empfinden den Projektnam­en „als Schlag ins Gesicht“und orakeln schwarzgal­lig, ob mit dem Sonnenunte­rgang nicht doch das Flutlicht vom nahen Sportplatz gemeint ist. Drei von ihnen sind im Stadtteil untergekom­men, man zahlt zwischen 200 und 500 Euro mehr im Monat, andere leben jetzt in Heerdt an der Grenze zu Meerbusch. Linksrhein­isch sollte es dennoch sein, die meisten haben dort Bekannte, Familie, Freunde. Die alten Nachbarn halten noch immer Kontakt, treffen sich ab und an.„Wenn es ginge, würden wir morgen die Abfindung zurückzahl­en und wieder einziehen.“Ein gemeinsame­s Foto in der alten Straße möchte niemand machen.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

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