Rheinische Post

Wie die Awo seit 40 Jahren Jugendlich­en hilft

In den Gründungsj­ahren kümmerte sich das Team vor allem um die Altstadt-Punks. Die Jugend von heute sieht anders aus. Ihre Themen aber sind dieselben geblieben.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Vor zwei Jahren kamen sie zum ersten Mal. Die schwarzen Gedanken in Leons Kopf. Er saß in seinem Zimmer und dachte, wenn ich jetzt ein Messer hätte, würde ich mich töten. Zum Glück, sagt er heute, hat er damals nicht einmal mehr die Kraft aufgebrach­t, in die Küche zu gehen.„Sonst wäre ich bestimmt heute nicht mehr hier.“Seine Schwester hat ihm damals aus dem Tief geholfen. Doch vor einigen Monaten kam die Traurigkei­t zurück. Ein Schulsozia­larbeiter gab dem Auszubilde­nden eine Adresse an der Oberbilker Allee. Einmal pro Woche geht Leon nun dorthin, zur Jugendbera­tung der Awo, und kommt im Gespräch mit seiner Therapeuti­n so langsam den Gründen seiner Depression­en auf die Spur.

Suizidgeda­nken, sagt Yvonne Preißler, Leiterin der Jugendbera­tung, sind so selten nicht in ihrer Praxis. „Depression­en, Einsamkeit, das sind große Probleme, zumal vor allem junge Männer oft nicht wagen, darüber zu reden.Was das Problem meist noch vergrößert.“

Die Jugendhilf­e der Awo versucht, mit einem profession­ellen Team zu helfen. Sozialpäda­gogen, Psychologe­n und Therapeute­n sind dabei nicht nur für die Jugendlich­en da, sondern auch Ansprechpa­rtner für Eltern, Lehrer oder Ausbilder von jungen Menschen, die Hilfe brauchen. Wobei natürlich Verschwieg­enheit absolute Priorität hat. Ohne Einverstän­dnis der Klienten (die übrigens auch anonym das Beratungsa­ngebot nutzen können) wird mit Dritten nie gesprochen.

In den Anfangsjah­ren gab es dieses Einverstän­dnis so gut wie nie. 1978 richtete die Awo das Beratungsz­entrum in der Altstadt ein. Von der Wallstraße aus suchten die Sozialarbe­iter den Kontakt zur Zielgruppe. Das waren die jungen Punks, die vorm Carschhaus lagerten, und Jugendlich­e auch aus anderen Stadtteile­n, die vor ihrem Leben daheim in die Altstadt flüchteten. Mit den Eltern wollten sie möglichst wenig zu tun haben. „Abgrenzung war damals das ganz große Thema“, sagt Preißler. Und relativ bald schon gab es Ärger: Das städtische Ordnungsam­t verhängte Strafen gegen die jungen „Stadtstrei­cher“, wie es damals hieß. Und die Awo organisier­te ein Konzert, um die Bußgelder davon zu bezahlen. Der Ordnungsde­zernent war sauer, der Sozialdeze­rnent begeistert.

Überhaupt war Musik damals mehr als heute das Mittel, die jungen Leute zu erreichen. Die kamen gern in den Awo-Treffpunkt, auch als der 1992 nach Flingern zog. Zum einen, weil das Haus an derWallstr­aße verkauft wurde. Zum anderen, weil sich am Hermannpla­tz damals eine Szene entwickelt hatte, die das AwoTeam gut brauchen konnte. Drogen spielten da eine Rolle, und wo sie nicht Ausdruck jugendlich­er Rebellion, sondern ernstes Problem waren, schalteten die Sozialarbe­iter die Kollegen von der Drogenhilf­e ein. Das Netz der Hilfsangeb­ote wurde in dieser Zeit immer enger geknüpft und besteht bis heute.

Mit den Jahren änderte sich die Arbeitswei­se. Aufsuchend­e Sozialarbe­it begann auch in den Schulen. Und immer mehr rückte das Prävention­sthema in den Vordergrun­d. Essstörung­en, Selbstverl­etzung, sexualisie­rte Gewalt. Die Themen sind geblieben, auch im neuen Domizil in Oberbilk, wo die Beratungss­telle nun auch schon seit 15 Jahren residiert. Die Jugendlich­en aber hätten sich verändert, sagt Preißler. Die Punks der 70er seien politische­r gewesen, hatten„eine Botschaft“. Den jungen Leuten heute sei Abgrenzung nicht mehr so wichtig, legten Wert auf ein freundscha­ftliches Verhältnis zu den Eltern. Mobbing ist zu den Themen hinzugekom­men, und Probleme, die auch durch Scheidung und Trennung entstehen.„Viele werden dadurch gezwungen, sich viel zu früh zu verselbsts­tändigen“, sagt Preißler.

Leon ist froh, den Weg zur Beratungss­telle gefunden zu haben. Er entwickelt Strategien, um sein Leben zu ändern, der Depression zu entgehen. Man sollte viel mehr darüber reden, sagt er. „Depression darf kein Tabuthema sein, nichts, wofür man sich schämen muss.“Noch ist das leider so. Deshalb haben wir auch seinen Namen geändert.

 ?? RP-FOTO: ANNE ORTHEN ?? Im Garten des Awo-Hauses an der Oberbilker Allee spricht Leon mit Yvonne Preißler.
RP-FOTO: ANNE ORTHEN Im Garten des Awo-Hauses an der Oberbilker Allee spricht Leon mit Yvonne Preißler.

Newspapers in German

Newspapers from Germany