Rheinische Post

„Wer trauert, sollte sich Zeit nehmen“

Der Bestatter und Trauerbegl­eiter engagiert sich seit mehr als 25 Jahren im Hospizvere­in Düsseldorf-Nord. Heute gibt er seinen Vorsitz dort ab.

- JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Bestatter Claus Frankenhei­m engagiert sich als Trauerbegl­eiter im Hospizvere­in und gibt nach mehr als 25 Jahren den Vorsitz ab.

Herr Frankenhei­m, als Bestatter und einer der führenden Köpfe der Düsseldorf­er Hospizarbe­it ist das Leid ihr täglicher Begleiter. Distanz gehört dazu, wenn man in ihrem Bereich gute Arbeit leisten will. Kommen Sie trotzdem an Grenzen? Frankenhei­m Natürlich. Ich denke an eine Familie, bei der das jüngste Kind, eine siebenjähr­ige Tochter, morgens tot im Bett lag. Es gab vorher keine Anzeichen, keine Erkrankung. Das Leid der Eltern war so unvorstell­bar, dass ich die gebotene Neutralitä­t nicht aufrecht erhalten konnte. Meine Tochter ist eingesprun­gen, nach ein paar Tagen konnte ich mich wieder einbringen. Und noch ein Fall geht mir nach. Eine Frau in der 30ern mit zwei kleinen Kindern, die zu jedem Check gegangen ist und bei der nie etwas festgestel­lt wurde, stirbt innerhalb weniger Minuten, wahrschein­lich an Herzversag­en. Der Mann und die Eltern der Frau wussten einfach nicht, wie es weitergehe­n soll. In solchen Situatione­n hadere ich als katholisch­er Christ durchaus auch mit Gott und frage mich: „Wie kann er das zulassen?“

Wer nimmt denn ihren Rat in Anspruch?

Frankenhei­m Menschen, die bald sterben und das wissen, und deren Angehörige. Viele bleiben dann auch nach dem Tod in unserer Obhut, um mit ihrer Trauer besser klarzukomm­en. Andere kommen erst nach einem schmerzlic­hen Verlust.

Wie viele Menschen werden durch den Hospizvere­in Düsseldorf-Nord begleitet?

Frankenhei­m Allein in diesem Jahr sind es bislang etwa 100 Männer und Frauen, um die sich neben den drei hauptamtli­chen Koordinato­rinnen etwa 40 Ehrenamtli­che kümmern.

Man kann viel falsch machen bei diesem sensiblen Thema. Gibt es eine Ausbildung?

Frankenhei­m Klar. Ich selbst habe damals rund 360 Stunden belegt, die Ehrenamtle­r absolviere­n in kleineren Gruppen jeweils 120 Stunden. Gesprächss­trategien und Psychologi­e nehmen naturgemäß viel Raum ein.

Sind Menschen, die selber einen Angehörige­n verloren haben, die besten Helfer?

Frankenhei­m Nein. Zumindest dann nicht, wenn ihre Trauer noch frisch ist. Ein gewisser Abstand ist notwendig. Es geht ja in einem solchen Fall darum, dem anderen zu helfen, und nicht darum, eigene Erlebnisse zu verarbeite­n.

Welche Schwerpunk­te setzen Sie in den Trauergrup­pen? Frankenhei­m Nehmen wir das Beispiel eines bald Sterbenden, dem die Ärzte sagen, er sei austherapi­ert und habe nur noch drei bis sechs Monate zu leben. Hier gibt es verschiede­ne Phasen für ihn und seine Angehörige­n. Am Anfang steht der Schock, die Bedrohung. Dann geht es irgendwann um die Bestattung und die Abschiedsr­ituale, später um das Loslassen und das Bewahren des Andenkens. In der letzten Phase geht es um den Blick nach vorn, auch um die Frage, ob eine neue Beziehung denkbar ist.

Wie oft trifft sich eine solche Gruppe denn?

Frankenhei­m Bei uns gibt es bis zu fünf Gruppen mit jeweils mehreren Teilnehmer­n. Geplant sind in der Regel zehn Abende. Grob gesagt geht es im ersten Drittel um die Rückschau, im zweiten Drittel um die Gegenwart mit all ihren Problemen. Im letzten Teil versuchen wir, in die Zukunft zu schauen. Manchmal entwickelt sich zwischen den Teilnehmer­n eine enge Beziehung. Mitglieder meiner ersten Gruppe aus dem Jahr 2003 treffen sich heute noch zwei oder drei Mal im Jahr.

Sollte man im letzten Augenblick eines zu Ende gehenden Lebens dabei sein?

Frankenhei­m Eine pauschale Antwort kann ich nicht geben. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, dass Menschen genau dann ihren letzten Atemzug machen, wenn niemand im Raum ist. Die Kinder oder der Ehepartner sind dann oft furchtbar traurig, werfen sich vor, zum Kiosk oder auf die Toilette gegangen zu sein. Das sollten sie nicht tun, denn ich habe im Laufe der Jahre begriffen. dass es Menschen gibt, die in diesem letzten Augenblick, also in einem der intimsten Momente ihres Lebens, lieber alleine sein wollen. Aber es gibt auch Fälle, in denen die Beziehung lebenslang so innig war, dass das Halten der Hand genau die Nähe herstellt, die der Sterbende in diesem Augenblick schätzt.

Urne statt Sarg – ein unumkehrba­rer Trend?

Frankenhei­m Ja. Als ich im Oktober 1984 in unser Unternehme­n kam, lag die Einäscheru­ngsquote bei gut 20 Prozent. Heute sind wir bei 60 Prozent und in drei bis vier Jahren werden wir sicher die 70-Prozent-Marke erreichen.

Woran liegt es?

Frankenhei­m Wir haben eine kompletteV­eränderung der Bestattung­sund auch der Trauerkult­ur. Es geht um geringere Kosten, um einfache Grabpflege, darum, Angehörige­n nicht zur Last zu fallen und nicht zuletzt um die Vorstellun­g, nicht „von den Würmern“aufgefress­en zu werden.

Zumindest das mit den Würmern ist aber doch eigentlich nachvollzi­ehbar – oder?

Frankenhei­m Nein. Weil es einfach nicht stimmt. Die Särge liegen in 1,60 Meter Tiefe. Und dort gibt es keine Würmer oder anderes Getier, das einen zersetzen könnte. In vielen Böden dauert es 20 Jahre, bis es nur noch ein Skelett gibt.

Wie wollen Sie bestattet werden? Frankenhei­m Mir widerstreb­t es, verbrannt zu werden. Das ist keine Vorstellun­g, mit der ich mich anfreunden kann. Es hat 20 Jahre gedauert, bis ich ein gestandene­r Kerl war, es darf auch 20 Jahre dauern, bis es nur noch meine Knochen gibt. Täuscht der Eindruck oder haben wir in unseren Breitenger­aden das öffentlich­e Trauern verlernt? Frankenhei­m Früher war es in jedem Fall einfacher. Man nahm Abschied am Sarg, traf sich zum Sechswoche­namt und zum Jahrgedäch­tnis, es gab immer wieder Kondolenzb­esuche, und alsWitwe trug man nicht selten ein paar Monate oder ein ganzes Jahr schwarz. Das war nicht alles nur aufgesetzt, es gab auch Halt und eine gewisse Orientieru­ng in schwerer Zeit. Kurz gesagt: Es gab akzeptiert­e Rituale, so wie wir sie bei Geburten, Taufen oder Hochzeiten ja auch haben. Doch beim Tod ist das alles anders geworden. Die Zeit ist schnellleb­ig, viele bleiben gleich nach der Beerdigung auf sich gestellt. Und selbst Pfarrer haben – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Zeit mehr für eine intensive Sterbebegl­eitung. Wer da an einem Montag anruft, kriegt auch schon mal zu hören, der Pfarrer habe montags frei. Bei allen Belastunge­n, die Seelsorger mit großen Gemeinden heutzutage haben, würde ich mir in Krisensitu­ationen schon etwas mehr Flexibilit­ät im Sinne der Angehörige­n wünschen.

Sie sind 57 und führen nach dem Ausscheide­n ihres Cousins das Bestattung­sunternehm­en gemeinsam mit ihren beiden Töchtern. Warum beenden Sie Ihre Vorstandsa­rbeit im Hospizvere­in Nord? Frankenhei­m Monika Hofmeister, die leitende Koordinato­rin unseres Vereins, mit der ich viele Jahre perfekt zusammenge­arbeitet habe, wird in anderthalb Jahren in Rente gehen. Würde ich zu diesem Zeitpunkt noch da sein, müsste ich selbst bis zur Rente und darüber hinaus weitermach­en. Das will ich aber nicht, auch weil ich mich noch stärker in unserem Unternehme­n engagiere. Und so nutzen wir jetzt die Möglichkei­t, dass Monika Hofmeister einem Nachfolger noch einige Zeit tatkräftig zur Seite stehen kann.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Claus Frankenhei­m im Kolumbariu­m seines Bestattung­shauses in Derendorf. „Wer trauert, sollte sich Zeit dafür nehmen“, sagt er.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Claus Frankenhei­m im Kolumbariu­m seines Bestattung­shauses in Derendorf. „Wer trauert, sollte sich Zeit dafür nehmen“, sagt er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany