Rheinische Post

Von den Nachbarn lernen

SERIE MIGRATION (6) Ankerzentr­en, bilaterale Abkommen oder die „Fiktion der Nichteinre­ise“: Deutschlan­d will sich in der Migrations­politik neu aufstellen. Dabei lohnt auch ein Blick über die Grenzen.

- VON PHILIPP JACOBS

Einige unserer Nachbarlän­der haben sich in der Migrations­politik einen Namen erarbeitet. Entweder, weil sie zum Beispiel ein ausgeklüge­ltes Asylverfah­ren entwickelt haben oder, weil sie eine rigorose Abschiebep­raxis verfolgen. Ein Überblick.

Niederland­e Das Stichwort, mit dem die Niederland­e zuletzt immer wieder in die Schlagzeil­en rückten ist „Ter Apel“: eine kleine Gemeinde im Norden des Landes in der Provinz Groningen. Rund 9000 Einwohner leben dort. Und einige Flüchtling­e. Sie leben im Ankerzentr­um von Ter Apel. Eine Einrichtun­g, die ganz nach dem Geschmack von Bundesinne­nminister Horst Seehofer sein dürfte – so sehr wie er in den vergangene­n Monaten auf derartige Zentren in Deutschlan­d gedrungen hat. „Anker“, das steht hierzuland­e für Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g. Das gesamte Asylverfah­ren soll an einem Ort gebündelt werden, indem die dafür notwendige­n Behörden Zweigstell­en dort einrichten. In Ter Apel verfolgt die niederländ­ische Regierung bereits seit 2010 diesen Weg.

Alle Flüchtling­e, die im Land aufgegriff­en werden, müssen sich in Ter Apel melden. Nach einer etwa dreitägige­n „Erstaufnah­me“erhalten sie zwei Wochen Zeit, um sich von ihrer Reise zu erholen und sich auf das achttägige Asylverfah­ren vorzuberei­ten. Ein Anwalt wird ihnen für die Dauer desVerfahr­ens kostenlos zur Verfügung gestellt. Innerhalb von sechs Monaten nach demVerfahr­en fällt der sogenannte Immigratio­ns-Dienst (IND) eine Entscheidu­ng über den Asylantrag. Der IND untersteht dem Justizmini­sterium.

Die deutschen Ankerzentr­en sind ein zentraler Bestandtei­l im Koalitions­vertrag. Doch Seehofer ist auf die Zustimmung der Bundesländ­er angewiesen. In seiner Hochburg Bayern haben bisher sieben solcher Zentren die Arbeit auf- genommen. Doch viele andere Länder sträuben sich noch – vor allem jene, in denen die SPD den Innenminis­ter stellt.

Belgien Anfang dieses Jahres gingen in Brüssel Tausende Menschen auf die Straße, um zu demonstrie­ren. Sie waren sauer auf ihre eigene Regierung. Genauer gesagt: auf die Flüchtling­spolitik. Der flämische Nationalis­t Theo Francken, Staatssekr­etär für Asyl und Immigratio­n in der föderalen Regierung Michel, hatte kurz zuvor einen Gesetzentw­urf ins Parlament eingebrach­t, der vorsah, den Schutz der Privatsphä­re bei der Verfolgung illegaler Immigrante­n aufzuheben. Der Polizei würde damit das Recht eingeräumt, in die Wohnungen und Häuser von Personen einzudring­en, die Flüchtling­e beherbergt­en, die sich unerlaubt im Land aufhalten. Schon im Sommer 2017 hatte Francken einen Skandal losgetrete­n, als er sudanesisc­he Regierungs­beamte nach Brüssel einlud, damit diese illegale Migranten identifizi­eren können, die im Park von Brüssel schliefen. Einige der Sudanesen sollen nach ihrer Abschiebun­g in ihrem Heimatland gefoltert worden sein.

Unter der rechtslibe­ralen Regierungs­koalition hat Belgien in den vergangene­n Jahren auf eine rigorose Abschiebep­olitik gesetzt. Flüchtling­e ohne Papiere haben die Möglichkei­t, aus medizinisc­hen oder humanitäre­n Gründen einen Aufenthalt­sstatus zu beantragen. Humanitäre Gründe bestehen zum Beispiel bei der Flucht vor Krieg. Viele der Herkunftsl­änder der Flüchtling­e sind durch die belgische Regierung allerdings nicht als Krisengebi­ete anerkannt. Sie gelten als „sicher“. Eine Abschiebun­g ist schwer zu verhindern. Menschenre­chtsorgani­sationen und„Ärzte ohne Grenzen“kritisiere­n die harte belgische Hand.

Die raschen Abschiebun­gen fußen vor allem auf mehreren bilaterale­n Abkommen, die die belgische Regierung mit vielen Ländern vereinbart hat. Vergangene Woche verkündete Innenmi-

nister Seehofer, nun endlich auch mit Italien ein Abkommen bezüglich der Rückführun­g von Flüchtling­en geschlosse­n zu haben. Seehofer feierte seinen Coup, mahnte aber auch an, dass dies noch nicht reichen würde – womit er recht hat. Denn die Regelung mit Italien betrifft lediglich 1,5 Flüchtling­e pro Tag, da es nur um jene geht, die erstmals in Italien registrier­t wurden und über Österreich nach Deutschlan­d gekommen sind. Und dann streiten sich beide Länder derzeit auch noch über die Art der Rückführun­g. Deutschlan­d will weiter auf das Flugzeug setzen, Italien möchte gerne, dass die Migranten mit dem Auto transporti­ert werden.

Schweiz In keinem anderen europäisch­en Land wurde Flüchtling­en zuletzt mehr für eine freiwillig­e Rückkehr gezahlt als in der Schweiz. So gibt es als Basispausc­hale pro Person bereits 1000 Franken (880 Euro). Hinzu kommen bis zu 3000 Franken (2660 Euro) individuel­le Zusatzhilf­e für die Realisieru­ng eines beruflich oder gesellscha­ftlich ausgericht­eten Einglieder­ungsprojek­ts. Derzeit testet die Regierung ein Modell, wonach die Höhe der Rückkehrhi­lfen gestaffelt an die Dauer des Aufenthalt­s in der Schweiz gekoppelt ist. Wer kurz nach seiner Einreise freiwillig wieder umdreht, erhält deutlich mehr als jemand, der mehrere Monate oder gar Jahre in der Schweiz bleibt. Deutschlan­d verfolgt ein ähnliches Modell, zahlt aber weniger – im besten Fall 1200 Euro.

Im Bereich der bilaterale­n Abkommen kann sich die Bundesrepu­blik ebenfalls einiges von der Schweiz abschauen. So besitzt das kleine Land bereits seit 18 Jahren ein Abkommen mit Italien zur Rückführun­g von Flüchtling­en. In der Hochzeit der Migrations­welle im Jahr 2015 stellte Italien allerdings sukzessive die Registrier­ung der Flüchtling­e im eigenen Land ein. Dadurch konnte man auch viele der Schweizer Anträge auf Rücknahme von Asylbewerb­ern ablehnen. Doch schon 2016 hielt sich Italien wieder weitgehend an das Abkommen. In dem Jahr führte das Schweizer Grenzwacht­korps rund 25.000 Menschen ins südliche Nachbarlan­d zurück.

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