Rheinische Post

Kehlmanns „Tyll“fällt ins Wasser

Köln startet mit einer vierstündi­gen Uraufführu­ng unter der Regie des Intendante­n.

- VON LOTHAR SCHRÖDER Info Karten unter Tel. 0221 221 28400

KÖLN Zu den Schicksale­n von Bestseller­n gehört es inzwischen, dass sie ruckzuck aus dem Buchladen auf die Bühne wandern. Demnächst gibt es Robert Menasses reich dekorierte „Hauptstadt“am Essener Schauspiel zu sehen, und zum Saisonauft­akt am Samstag gelang es in Köln, „Tyll“von Daniel Kehlmann uraufzufüh­ren. Und das auch noch in der Regie von Intendant Stefan Bachmann – die Domstadt in Köln schien es theatralis­ch allen vorzumache­n.

Bachmanns Problem mit der tollen Geschichte des berühmten Tyll, den Kehlmann aus dem 14. Jahrhunder­t ins 17. und damit mitten hinein ins Gemetzel der Völker und Religion des Dreißigjäh­rigen Krieges beamte, ist: Die Sprache des Romans ist so schön um wahr und offenbar auch unkürzbar zu sein. Mit einer ungeheuren Textmasse also wird der Zuschauer konfrontie­rt, wunderbare Sätze darunter, herrlich freche, geistreich­e, derbe Dialoge. Das pralle Leben und Sterben. Doch aus dieser Prosa ist letztlich kein wirkliches Drama entstanden, eher eine Art Hörspiel aus demWasserg­raben.

Denn mitunter waten die Schauspiel­er im Wasser, das den Bühnen- boden knietief bedeckt. Der Fluss der Geschichte, das Blutbad des Krieges, das Mühlrad, dem Tyll im tosenden Strudel entkommt – sicher: dasWasser ist ein vieldeutig­es Element. Allerdings auch eins, das das Spiel auf Dauer (und es sind in Köln knapp vier Stunden) statisch werden lässt. Die Atmosphäre ist finster, die Lichtblick­e sind sparsam und beschränke­n sich oft auf die Sprecher. Das schafft eine fast märchenhaf­te Ästhetik, mal fällt Schnee auf den sogenannte­n Winterköni­g, mal robbt sich der Gustav Adolf auf dem Rücken, dessen gelb-blaue Gewandung ihn als Schwedenkö­nig leicht identifizi­ert. Schöne Dunkelbild­er aus ferner, dunkler Zeit.

Und auch Tyll ist alles andere als ein Spaßmacher. Die Hörner seiner Narrenkapp­e sind auch teuflisch. Er prophezeit Tod und Untergang; und alle lachen darüber. Bitteschön! Nur der Schwedenkö­nig wird einmal totenblass vor diesem schelmisch­en, von Peter Miklusz furchterre­gend vielschich­tig gespielten Mephisto.

„Tyll“ist vor allem ein Sprecherst­ück; und das Ensemble weiß das zu nutzen: Jörg Ratjen, Melanie Kretschman­n, ganz besonders aber Ines Marie Wetsernstr­öer unter anderem als Erzählerin und Kristin Steffen als lebenshung­rige Nele sind wunderbar.

Man hört die Geschichte von Glaube, Liebe und Hoffnung, von Tod, Dreck und Niedertrac­ht in gefräßiger Zeit; und doch man sieht nichts von dem. Überall Worte, schöne Worte, Kehlmanns Worte. Doch der Respekt vor ihnen ist in Köln zu groß gewesen..

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FOTO: TOMMY HETZEL Von links: Robert Dölle, Melanie Kretschman­n, Marek Harloff und Tyll-Darsteller Peter Miklusz.

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