Rheinische Post

Der Fall M.

Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen steht unter wachsendem Druck. Dienstag wollen die Spitzen der Koalition über seine Zukunft entscheide­n. Sie basteln an verschiede­nen Szenarien.

- VON GREGOR MAYNTZ

Im Agententhr­iller um James Bond, den Spion Ihrer Majestät, ist „M.“der Chef des Auslandsge­heimdienst­es. Im Kölner Bundesamt für Verfassung­sschutz sprechen Mitarbeite­r auch schon mal von „M.“, wenn sie den Chef der Behörde, Hans-Georg Maaßen, meinen. Seit seinen umstritten­en Feststellu­ngen zu mutmaßlich­en „Hetzjagden“in Chemnitz und zu einem Video, das solche zeigen soll, geht es um die Zukunft von „M.“Aber es geht auch um die Zukunft der Koalition. SPD-Politiker haben denVerblei­b in der Regierung mit dem Nicht-Verbleib Maaßens im Amt verknüpft. Doch die Lösung ist nicht einfach, weil eine andere „M.“im Spiel ist: Angela Merkel.

Bei den Szenarien zur Lösung des Konflikts gibt die CSU zu bedenken, wie es wirken würde, wenn Kritik an Merkel dazu führt, dass der Kritiker gefeuert wird. Die AfD-Anhänger hätten Wasser auf ihre Mühlen und einen neuen Vorzeige-Märtyrer. Denn mit seinen öffentlich­en Zweifeln an „Hetzjagden“hatte sich Maaßen klar gegen die Kanzlerin positionie­rt. Wiederholt hatte er durchblick­en lassen, dass er den Kurs der CDU-Chefin in der Flüchtling­politik äußerst kritisch sieht.

Die jüngste Geschichte um M. ist nicht so klar wie ein typischer 007-Film. Denn es geht auch um den Verdacht einer Sympathie oder gar einer Zuarbeit für die AfD. Hier mischen sich Dementis von Maaßen mit neuen Verdächtig­ungen und scheinbare­n „Belegen“, die dann doch wieder relativier­t werden. Im Innenaussc­huss legte Maaßen dar, dass er sich zwar fünfmal mit AfD-Politikern getroffen habe – aber über 200-mal auch mit Vertretern anderer Parteien, und dass er den AfD-Abgeordnet­en nichts anderes anvertraue als den anderen auch. Damit hat er sich die Rückendeck­ung seines oberstenVo­rgesetzten, Bundesinne­nminister Horst Seehofer, gesichert.

Der Ressortlei­ter und CSU-Chef stellte sich sowohl nach der Sondersitz­ung des Innenaussc­husses am Mittwochab­end als auch in der Haushaltsb­eratung zu seinem Etat am Donnerstag­morgen hinter den Verfassung­sschutzche­f und versichert­e, dass Maaßen ihn„seit Monaten durch seine Arbeit überzeugt“. Das ist um so bemerkensw­erter, als Merkel zuvor bereits den Hinweis gegeben hatte, wonach begrifflic­he Auseinande­rsetzungen um Hetze oder Hetzjagd nicht weiterhelf­en.

Die SPD-Spitze legte sich Donnerstag bei einer Schaltkonf­erenz fest und verlangte die Neubesetzu­ng der Amtsspitze beim Verfassung­sschutz. Ein daraufhin kurzfristi­g anberaumte­s anderthalb­stündiges Krisentref­fen im Kanzleramt blieb jedoch ohne Ergebnis. Die drei Parteichef­s vertagten sich auf Dienstagna­chmittag und vereinbart­en Stillschwe­igen. Es gab allerdings In- terpretati­onshilfe aus SPD-Kreisen. Das Treffen hätte nicht so lange gedauert, wenn Seehofer auf Maaßen bestanden hätte.

Das Stillschwe­igen handhabten die Parteichef­s unterschie­dlich. Merkel machte klar, „dass die Koalition an der Frage des Präsidente­n einer nachgeordn­eten Behörde nicht zerbrechen wird“, und auch Seehofer versichert­e in München: „Die Koalition wird weiterarbe­iten.“Eindeutig äußerte sich SPD-Chefin Andrea Nahles im Wahlkampf in Hessen: „Herr Maaßen muss gehen, und ich sage euch: Er wird gehen.“SPD-Vize Ralf Stegner ergänzte im Vorgriff auf das zweite Krisentref­fen: „Das Ergebnis wird sein, dass Herr Maaßen seinen Posten räumt.“Doch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt rief die SPD auf, von ihrem Baum wieder herunterzu­kommen und nicht weiter denen Zucker zu geben,„die den Kampf gegen den Verfassung­sschutz schon seit Jahren führen“.

Möglicherw­eise braucht Seehofer mehr Zeit, um Maaßens Abgang gesichtswa­hrend hinzukrieg­en. Mit einem Rücktritt würde sich Maaßen selbst eines Großteils seiner Bezüge berauben – und seine Schuld eingestehe­n, wozu er bislang nicht bereit schien. Die Bitte um Entlassung hätte nahezu den gleichen Effekt.

Die FDP wittert die bayerische­n Landtagswa­hlen als Motiv. Nur so sei es zu erklären, dass beim Verfassung­sschutz andere Maßstäbe angelegt würden als zuvor: „Beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat Horst Seehofer nicht gezögert, die Präsidenti­n zu entlassen, als das Vertrauen erschütter­t war“, kritisiert FDP-Innenexper­te Konstantin Kuhle.

Die Grünen sind einen Schritt weiter und meinen, personelle Konsequenz­en reichten nicht aus:„Auch die strukturel­len Probleme der Behörde sind schon seit Jahren offensicht­lich und beeinträch­tigen die Arbeitsfäh­igkeit des Verfassung­sschutzes“, sagt Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic unserer Redaktion. Ihre Forderung: „Wir brauchen einen kompletten Neustart.“Schließlic­h habe Maaßen den Verfassung­sschutz in eine „tiefe Vertrauens­krise gestürzt“. Auf der langen Liste der Verfehlung­en stehe auch eine Blockade bei der Aufklärung des NSU-Skandals, und er habe im Fall Amri über die Aktivitäte­n des Verfassung­sschutzes „getäuscht“.

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