Rheinische Post

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Wer den größten Schwachsin­n verbreitet, ist in den digitalen Netzwerken ein König. Weil dieses Prinzip nun in der Politik angekommen ist, droht die Herrschaft der Widerlinge. Weshalb kümmert das keinen?

- VON HENNING RASCHE

Drei Typen der Herrschaft zählt Max Weber in seinem soziologis­chen Standardwe­rk „Wirtschaft und Gesellscha­ft“auf. Die erste basiert auf dem Recht, die zweite auf Tradition und die dritte auf Charisma. Mit Webers Lehre ließ sich jede Regierungs­form über Jahrzehnte treffend analysiere­n. Nun aber, eine digitale Revolution später, wird man die Trilogie um einen weiteren Typus ergänzen müssen: die Herrschaft der Widerlinge.

Zunächst empfiehlt es sich, den Begriff des „sozialen Netzwerks“abzuräumen. Außer an dem Umstand, dass Facebook, Twitter und Instagram Menschen technisch miteinande­r verbinden, ist an ihnen nichts sozial. Sie trotzdem so zu nennen, ist nicht nur falsch, sondern auch euphemisti­sch. Neutraler und treffender ist die Bezeichnun­g „digitale Netzwerke“.

Diese digitalen Netzwerke beherrsche­n die Gesellscha­ft. Gut 46 Millionen Menschen nehmen in Deutschlan­d die Dienste der Internetgi­ganten in Anspruch. Sie sehen dort auf Fotos, wie sich ihre Bekannten eine gute Zeit machen. Sie lesen Nachrichte­n, sofern man das so nennen kann. Sie guckenVide­os, wie Katzen auf Klaviertas­taturen herumtapse­n. Sie kaufen skandinavi­sche Kaffeetass­en, die sie nicht benötigen. Und sie hinterlass­en hier und da einen Kommentar oder ein „Gefällt mir“. Bloß ein profaner Zeitvertre­ib, könnte man meinen.

Seicht ist es indes leider nicht. Die digitalen Netzwerke bedrohen die Demokratie. Sie haben eine gefährlich­e Wende gestartet: Allmählich wird die bewährte Herrschaft des Rechts abgelöst. Sie wird durch ein System ersetzt, das nicht auf der Stärke der Idee beruht, sondern auf deren Lautstärke.

Die Netzwerke sind kostenfrei, ihre Nutzer müssen keine monatliche­n Beiträge zahlen. Weil die Anbieter aber keine karitative­n Einrichtun­gen sind, wollen sie Geld verdienen. Sie handeln nicht nur massiv mit Daten, sie schalten auch kräftigWer­bung. Damit Daten und Werbung in möglichst viel Geld verwandelt werden können, müssen die Nutzer möglichst viel Zeit in den Netzwerken verbringen. Und viel Zeit verbringen sie dort, wenn ordentlich was los ist.

Die Algorithme­n, also die Rechenform­eln, sind deshalb speziell programmie­rt. Die digitalen Netzwerke wollen permanente Aufmerksam­keit. Aufmerksam­keit wiederum zieht vor allem das Extreme auf sich, die Übertreibu­ng, das Populistis­che.

Der Computerwi­ssenschaft­ler Jaron Lanier wurde 2014 mit dem Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net. In seinem sehr eindeutige­n neuen Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“schreibt Lanier: „Die größten Arschlöche­r ziehen die meiste Aufmerksam­keit auf sich.“Deswegen bevorzugen die Algorithme­n sie.

Wer den größten Schwachsin­n verbreitet, ist in den digitalen Netzwerken ein König. Er bekommt Likes, Retweets, Kommentare und wird geteilt. Weil es einfach ist, eingängig, hat jeder sofort eine Meinung dazu. Schwachsin­n! Endlich sagt es mal einer! Damit landet der König in den Timelines und Feeds, dort wo der Nutzer sich durcharbei­tet, an oberster Stelle. Der König gibt den Ton an.

Das war lange ein Problem einer Zielgruppe, die man völlig irreführen­d „Netzgemein­de“genannt hat. Was im Internet oder den sozialen Netzwerken geschah, galt als surreal. Das lässt sich daran erkennen, dass von der „virtuellen Welt“die Rede war. Aber das Internet ist Teil der Realität; die Menschen, die dort handeln und hassen, sind lebendig (bis auf wenige Ausnahmen), sie verfügen über das Wahlrecht.

Nun aber, da das Internet und seine erregten Netzwerke schon ein paar Jahre existieren, ist das Prinzip – die größten Widerlinge ziehen die größte Auf- merksamkei­t auf sich – längst in der Politik angekommen. Das gilt, so meinen Kritiker von Donald Trump, etwa für den Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten, der mit wütenden Tweets die Welt aufmischt.

Auch weite Teile des Erfolgs der AfD haben ihren Ursprung in den digitalen Netzwerken. Einige Politiker dieser rechtspopu­listischen Partei verbreiten Hass und Lügen und erzielen damit eine vorzüglich­e Aufmerksam­keit. Dazu brechen sie – das ist nicht neu, aber wirksam – Tabus, die inhaltlich an dieser Stelle nicht wiederholt werden sollen.

Wie der digitale Erfolg sich in Wählerstim­men auszählt, imponiert längst auch anderen, moderaten Politikern. Sie lassen sich bei Twitter dazu hinreißen, Dinge zu sagen, die ihnen im„Morgenmaga­zin“der ARD eher peinlich wären. Es gibt sie in allen Parteien, sie äußern sich zu Flüchtling­en, zu Straftaten, zu den üblichen Debatten unserer Zeit. Sie übertreibe­n, überdrehen – und erzielen Aufmerksam­keit.

Der Diskurs außerhalb des Internets ist inzwischen von denselben Mechanisme­n geprägt. Und das ist bitter. Nicht nur weil die klugen Argumente der Leiseren kaum einer mehr hört, sondern weil unsere Herrschaft der Vernunft durch die Herrschaft der Aufmerksam­keit ersetzt wird. Wohin das führt, zeigen die nach wie vor steigenden Umfragewer­te der AfD. Die Wähler sind nicht dumm, aber sie halten diesen irren Tonfall inzwischen für normal.

Es gibt ein paar Vorschläge, wie man all dem begegnet. Sie wirken hilflos. Der SPD-Politiker Christophe­r Lauer empfahl, Facebook zu verstaatli­chen. Dabei ist schon beinahe irrelevant, ob diese Maßnahme überhaupt helfen würde, denn: das wird nicht passieren. Jaron Lanier, der abtrünnige Guru aus dem Silicon Valley, rät jedem – bis all die Probleme gelöst sind – seine Konten in den digitalen Netzwerken zu löschen. Er meint das nicht populistis­ch, sondern ziemlich ernst.

Das Zeitalter der Vernunft steht infrage. Die Herrschaft der Widerlinge hat sich in Teilen bereits verwirklic­ht. Und keiner stellt sich ihr in den Weg.

Das neue System beruht nicht auf der Stärke der Idee, sondern auf deren Lautstärke

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