Merkel in Algier und Haifische in Berlin
Die Bundeskanzlerin will zwei Signale senden: Algerien wird für die Stabilität in Nordafrika gebraucht und Deutschland bekommt die Flüchtlingspolitik in den Griff. Allerdings ist da auch noch der Fall Maaßen.
ALGIER Angela Merkel hat den Deutsch-Schülerinnen des Mädchengymnasiums in Algier ein Buch mitgebracht.„Haifische in der Spree.“Die 18-Jährigen sind verlegen. Sie verstehen nicht auf Anhieb, was die Raubfische in der Großstadt Berlin zu suchen haben. Ohnehin haben sich Wissam, Melissa, Nour El Houda und Assala, die an einem von drei Tischen in dem schmucklosen Klassenraum sitzen, etwas viel Aufregenderes vorgenommen. Sie wollen die Bundeskanzlerin danach fragen, ob sie schon immer von diesem Amt geträumt hat und was es ihr für Probleme bereitet. Als wüssten sie von Merkels Dauerkrise mit CSU-Chef Horst Seehofer und der fragilen Koalition mit der SPD. Die Mädchen interessiert aber etwas ganz anderes:Wie wird man als Frau Regierungschefin und wie hält man die Belastung auf Dauer aus?
Die 64-Jährige erzählt ihnen von ihrem Leben in der DDR, und dass sie schon deshalb als Mädchen nicht vom Kanzleramt habe träumen können. Dann sei aber die Wiedervereinigung gekommen, sie sei Vorsitzende der Volkspartei CDU geworden und konnte für das Kanzleramt kandidieren. „Und dann habe ich gewonnen.“Die Arbeit sei manchmal schwer, mache aber Freude. Man müsse eben Kompromisse schließen. Wissam sagt: „Es gibt immer eine Lösung.“Merkel ist begeistert.
Es hört sich so einfach an. Ist es aber nicht. Erst recht nicht, wenn es um das auf Dienstagnachmittag vertagte Gespräch mit Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles über die umstrittene Haltung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zum Rechtsextremismus geht. Die Kanzlerin antwortet nicht auf die Frage, ob der Bericht der „Welt“stimme, wonach sie Maaßen nicht mehr für tragbar halte. Sie bleibt nur bei ihrer Linie, dass an einer solchen Frage die Regierung nicht zerbrechen werde. Aber die Zeiten in Deutschland sind stürmisch, so dass nach dem Beinahe-Bruch von Unionsfraktionsgemeinschaft und Koalition im Sommer ein Scheitern der Regierung für möglich gehalten wird.
Dieser Kurztrip in das nordafrikanische Land ist für Merkel eine klei- ne Ablenkung von dem politischen Drama zu Hause. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Algerien und die beiden anderen Maghreb-Staaten Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, was Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern erleichtern würde. Die Anerkennungsquote liegt derzeit bei nur zwei Prozent. Die Grünen blockieren das aber im Bundesrat, weil sie Freiheitsrechte in Algerien für stark eingeschränkt halten.
Amnesty International beklagt Repressalien gegen Demonstranten, Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten, Journalisten und Blogger. Seit 2017 hätten die algerischen Behörden auch ihr Vorgehen gegen Migranten aus den Ländern südlich der Sahara verschärft. Tausende Menschen seien in derWüste ausgesetzt worden. Premierminister Ahmed Ouyahia bestreitet die Vorwürfe. Es gebe zum einen eine viel- fältige Medienlandschaft mit Kritik an der Regierung und zum anderen einen menschenwürdigen Umgang mit Migranten. Es gebe aber auch kein Land auf der Welt, das Amnesty nicht kritisiere. Algerien stehe für Zusammenhalt und Versöhnung.
Eine Errichtung der beim EU-Gipfel im Sommer in die Debatte gebrachten Aufnahmezentren für Flüchtlinge auf algerischem Boden lehnt er geradezu empört ab. Algerien ist ein Transitland für Flüchtlinge, aber kein „Ablandungsland von der Küste“, wie auch die Europäer wissen. Der Premierminister sagt es nicht so scharf, aber er betont, er vertraue in der Debatte auf „sehr zivilisierte Länder“in Europa. Er verspricht, die – ohnehin schon stark verbesserte – Rücknahme von in Deutschland abgelehnten algerischen Asylbewerbern weiter zu intensivieren. Algerien werde „seine Kinder“wieder aufnehmen, wenn sie denn zweifelsfrei Algerier seien. Aber das werde inzwischen auch durch digitale Fingerabdrücke geklärt. Das begrüßt auch Deutschland.
Merkel will mit ihrem Besuch in Algerien zweierlei Signale senden: Algerien ist ein wichtiger Staat für die Stabilität Nordafrikas. Bei allem Unbehagen über den seit fast 20 Jahren amtierenden, inzwischen schwerkranken und öffentlich nicht mehr auftretenden 81-jährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika gilt seine Autorität vor denWahlen 2019 als Sicherheitsfaktor. Und die Botschaft an Deutschland ist: direkte Absprachen mit Herkunfts- und Transitländern, konsequente Abschiebungen, aber auch Bemühungen um legale Migration durch Visa für Studenten und Fachkräfte.
Und für Mädchen des Gymnasiums in Algier. Assala spricht schon jetzt Arabisch, Französisch fließend, Englisch sehr gut und Deutsch recht gut. Sie möchte Dolmetscherin werden. Was die Haifische betrifft, gibt Merkel den Mädchen übrigens noch Entwarnung: „In Berlin gibt es keine Haifische“, sagt sie. Die Kanzlerin lacht. Vielleicht, weil sie sich diesen Halbsatz verkneifen muss: Die gibt es nur in der Berliner Politik.