Pfaffs Hof
Im feinen Fliesenbad mit der Löwentatzenwanne und dem breiten Waschtisch musste ich jeden Morgen bibbern. Es gab dort zwar einen großen Badeofen für Warmwasser, aber der wurde mit Holz beheizt, das man von der Tenne holen musste.Was so mühselig war, dass Mutter sich nur samstags dazu durchringen konnte. Manchmal, wenn er Zeit hatte, heizte Vater ihn zwischendurch mal an und guckte dann stolz.
An den anderen Tagen gab es nur eiskaltes Wasser, und ich spuckte immer Blut insWaschbecken, wenn ich mir die Zähne putzte.
Seit wir Hühner hatten, kamen die Leute aus der Nachbarschaft zu uns, um Eier zu kaufen.
Deshalb waren die Hühner ja angeschafft worden, damit Mutter für uns etwas dazuverdienen konnte.
Wir hatten zwölf Hennen, weiße Leghorn, und einen braunen Hahn, den man unbedingt haben musste, warum, wusste ich nicht.
In meinen Büchern krähten Hähne immer morgens, wenn die Sonne aufging. Unser Hahn tat das nicht, er krähte einfach, wann er Lust dazu hatte, oft auch nachts.
Mutter musste erst alles über Hühner lernen: was man fütterte, wie man ihnen die Eier wegnahm und dass wir in den dunklen Monaten im Stall Licht brennen lassen mussten, damit die Hennen auch im Winter legten.
Vater konnte ein bisschen was über Hühner sagen, aber wenn Mutter nicht mehr weiterwusste wegen der Mauser und solchen Dingen, rief sie immer Guste an.
Unsere ersten Kunden waren Tante Maaßen und Tante Lehmkuhl.
Lehmkuhls hatten Kühe und Schweine und manchmal ein paar Monate lang auch Gänse.
Hühner waren Frauensache, aber Tante Lehmkuhl hatte keine Zeit dafür, sie wurde im Stall gebraucht und oft auch auf dem Feld.
Unsere dritte Kundin war Fräulein Maslow.
Hinter Maaßens Haus führte ein Feldweg den Hügel hinauf auf die Anstalt zu, und auf halbem Weg stand, hinter einer Wand aus schwarzen Tannen versteckt, ein großes Backsteinhaus.
„DieVilla“nannte Vater es und erzählte, dass der erste Direktor der Anstalt sie nach dem 1. Weltkrieg für sich und seine Familie gebaut hatte.
Jetzt war dieser Direktor tot, und in der Villa lebte Herr Maslow, der Rektor meiner Schule, mit seiner Frau und seinen vier Kindern.
Und mit seiner älteren Schwester, Fräulein Maslow, die der Familie den Haushalt machte.
Fräulein Maslow hatte kurze Haare wie ein Mann und eine braune Warze neben der Nase. Sie trug Röcke aus dickem Loden, die ihr bis zu den Knöcheln reichten, und feste Schnürschuhe.
„Alte Juffer“, hatte Vater sich lustig gemacht, „suure Prumm.“
Aber da war Mutter ganz wild geworden.„Die kommen aus dem Osten, da haben die Russen gehaust. Wer weiß, was die der Frau angetan haben.“
Zuerst kam Fräulein Maslow einmal in derWoche und kaufte immer zwanzig Eier.
Sie brachte auch das Zeitungspapier mit, in dem Mutter die Eier für die Kunden einwickelte – wir hatten ja keine Tageszeitung.
Mutter legte immer zwei Zeitungsbogen übereinander, fünf Eier in einer Reihe darauf, wickelte zwei- mal, schlug die Seiten ein und wickelte noch zweimal.
Das Geld, das die Eierkunden ihr gaben, legte Mutter in eine von Opas Zigarrenkisten. Am Ende einer Woche teilte sie es dann auf: ein paar Münzen für das Hühnerfutter, das Onkel Lehmkuhl vom Futterhandel mitbrachte, die anderen wurden für das Strom- und Wassergeld beiseitegelegt. Mutter hatte im Küchenschrank mehrere alte Tassen, in die sie immer, wenn Vater seinen Lohn mit nach Hause brachte, das Geld für unsere festen Kosten einsortierte: Miete, Strom, Wasser, Telefon.
Bald schon kam Fräulein Maslow zweimal in derWoche und holte immer nur zehn Eier.
„Man hat sie ja gern ganz frisch.“Und Mutter hatte wohl nichts dagegen, sie kochte dann immer Bohnenkaffee und setzte sich mit dem Fräulein an den kleinen Tisch neben dem Küchenherd.
Mutter erzählte ihr meistens Sachen, die ich schon kannte:
Wie Vater sie damals in seine Heimat gebracht hatte, im Krieg, mit Peter, der noch ein Säugling war.
„Mein Mann hatte viel gespart, und ich hatte auch einiges zur Seite legen können. Ich habe Kunststopferin gelernt – in meiner Heimat gab es ja viele Webereien. Und nach unserer Verlobung haben wir uns Möbel angeschafft und ein bisschen Hausrat, es gab ja nicht mehr viel. Ein paar edlere Stücke waren auch dabei, Geschenke von den Großeltern und Tanten für meine Aussteuer, Kristall, Porzellan und Wäsche. All das hatten wir eingelagert. Und dann, als mein Mann schon eine Wohnung für uns gefunden und den Umzug organisiert hatte – ei- nen Lastwagen mit Holzbrenner! –, wurde das Lager ausgebombt. Und ich stand vor dem Nichts. Zwei Teller, zwei Tassen, ein Topf, eine Pfanne, ein bisschen Besteck von meiner Tante, ein Bettgestell mit alten Matratzen, ein Tisch, zwei Stühle. Mehr hatte ich nicht.
Und ich stand mutterseelenallein da in der Fremde. Mein Mann war ja noch an der Front.
Ganz allein in einem katholischen Dorf!“
Fräulein Maslow schnalzte mitleidig. „Sie Ärmste.“Fräulein Maslow war evangelisch.
„Gesprochen hat keiner mit mir, mit dem Finger haben die auf mich gezeigt: die Evangelische! Die Frau, die uns dieWohnung vermietet hatte, wohnte unter uns und hat mich getriezt bis aufs Blut.
Ich hatte schon immer eine Schwäche für schöne Wäsche, ich wollte schneeweiße Bettwäsche und weiße Kindersachen haben und habe alles im Garten auf die Bleiche gelegt und mit der Gießkanne begossen, wenn die Sonne schien. Die Alte ist oft genug einfach darübergetrampelt, bevor alles trocken war – aus „Versehen“natürlich. „Die hält sich wohl für was Besseres, die feine Dame.“
Und im Milchladen wurde ich einfach nicht bedient. Ich musste jeden Tag drei Kilometer bis zum nächsten Bauern laufen, das Kind brauchte ja frische Milch. Das war nicht leicht für mich, weil ich so schwach war, ich hatte sogar eine Sonderkarte wegen Unterernährung. Deshalb mussten die mir im Dorfgeschäft auch etwas geben, aber Sie können sich vorstellen, was da für mich übrig war. (Fortsetzung folgt)