Rheinische Post

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Im feinen Fliesenbad mit der Löwentatze­nwanne und dem breiten Waschtisch musste ich jeden Morgen bibbern. Es gab dort zwar einen großen Badeofen für Warmwasser, aber der wurde mit Holz beheizt, das man von der Tenne holen musste.Was so mühselig war, dass Mutter sich nur samstags dazu durchringe­n konnte. Manchmal, wenn er Zeit hatte, heizte Vater ihn zwischendu­rch mal an und guckte dann stolz.

An den anderen Tagen gab es nur eiskaltes Wasser, und ich spuckte immer Blut insWaschbe­cken, wenn ich mir die Zähne putzte.

Seit wir Hühner hatten, kamen die Leute aus der Nachbarsch­aft zu uns, um Eier zu kaufen.

Deshalb waren die Hühner ja angeschaff­t worden, damit Mutter für uns etwas dazuverdie­nen konnte.

Wir hatten zwölf Hennen, weiße Leghorn, und einen braunen Hahn, den man unbedingt haben musste, warum, wusste ich nicht.

In meinen Büchern krähten Hähne immer morgens, wenn die Sonne aufging. Unser Hahn tat das nicht, er krähte einfach, wann er Lust dazu hatte, oft auch nachts.

Mutter musste erst alles über Hühner lernen: was man fütterte, wie man ihnen die Eier wegnahm und dass wir in den dunklen Monaten im Stall Licht brennen lassen mussten, damit die Hennen auch im Winter legten.

Vater konnte ein bisschen was über Hühner sagen, aber wenn Mutter nicht mehr weiterwuss­te wegen der Mauser und solchen Dingen, rief sie immer Guste an.

Unsere ersten Kunden waren Tante Maaßen und Tante Lehmkuhl.

Lehmkuhls hatten Kühe und Schweine und manchmal ein paar Monate lang auch Gänse.

Hühner waren Frauensach­e, aber Tante Lehmkuhl hatte keine Zeit dafür, sie wurde im Stall gebraucht und oft auch auf dem Feld.

Unsere dritte Kundin war Fräulein Maslow.

Hinter Maaßens Haus führte ein Feldweg den Hügel hinauf auf die Anstalt zu, und auf halbem Weg stand, hinter einer Wand aus schwarzen Tannen versteckt, ein großes Backsteinh­aus.

„DieVilla“nannte Vater es und erzählte, dass der erste Direktor der Anstalt sie nach dem 1. Weltkrieg für sich und seine Familie gebaut hatte.

Jetzt war dieser Direktor tot, und in der Villa lebte Herr Maslow, der Rektor meiner Schule, mit seiner Frau und seinen vier Kindern.

Und mit seiner älteren Schwester, Fräulein Maslow, die der Familie den Haushalt machte.

Fräulein Maslow hatte kurze Haare wie ein Mann und eine braune Warze neben der Nase. Sie trug Röcke aus dickem Loden, die ihr bis zu den Knöcheln reichten, und feste Schnürschu­he.

„Alte Juffer“, hatte Vater sich lustig gemacht, „suure Prumm.“

Aber da war Mutter ganz wild geworden.„Die kommen aus dem Osten, da haben die Russen gehaust. Wer weiß, was die der Frau angetan haben.“

Zuerst kam Fräulein Maslow einmal in derWoche und kaufte immer zwanzig Eier.

Sie brachte auch das Zeitungspa­pier mit, in dem Mutter die Eier für die Kunden einwickelt­e – wir hatten ja keine Tageszeitu­ng.

Mutter legte immer zwei Zeitungsbo­gen übereinand­er, fünf Eier in einer Reihe darauf, wickelte zwei- mal, schlug die Seiten ein und wickelte noch zweimal.

Das Geld, das die Eierkunden ihr gaben, legte Mutter in eine von Opas Zigarrenki­sten. Am Ende einer Woche teilte sie es dann auf: ein paar Münzen für das Hühnerfutt­er, das Onkel Lehmkuhl vom Futterhand­el mitbrachte, die anderen wurden für das Strom- und Wassergeld beiseitege­legt. Mutter hatte im Küchenschr­ank mehrere alte Tassen, in die sie immer, wenn Vater seinen Lohn mit nach Hause brachte, das Geld für unsere festen Kosten einsortier­te: Miete, Strom, Wasser, Telefon.

Bald schon kam Fräulein Maslow zweimal in derWoche und holte immer nur zehn Eier.

„Man hat sie ja gern ganz frisch.“Und Mutter hatte wohl nichts dagegen, sie kochte dann immer Bohnenkaff­ee und setzte sich mit dem Fräulein an den kleinen Tisch neben dem Küchenherd.

Mutter erzählte ihr meistens Sachen, die ich schon kannte:

Wie Vater sie damals in seine Heimat gebracht hatte, im Krieg, mit Peter, der noch ein Säugling war.

„Mein Mann hatte viel gespart, und ich hatte auch einiges zur Seite legen können. Ich habe Kunststopf­erin gelernt – in meiner Heimat gab es ja viele Webereien. Und nach unserer Verlobung haben wir uns Möbel angeschaff­t und ein bisschen Hausrat, es gab ja nicht mehr viel. Ein paar edlere Stücke waren auch dabei, Geschenke von den Großeltern und Tanten für meine Aussteuer, Kristall, Porzellan und Wäsche. All das hatten wir eingelager­t. Und dann, als mein Mann schon eine Wohnung für uns gefunden und den Umzug organisier­t hatte – ei- nen Lastwagen mit Holzbrenne­r! –, wurde das Lager ausgebombt. Und ich stand vor dem Nichts. Zwei Teller, zwei Tassen, ein Topf, eine Pfanne, ein bisschen Besteck von meiner Tante, ein Bettgestel­l mit alten Matratzen, ein Tisch, zwei Stühle. Mehr hatte ich nicht.

Und ich stand mutterseel­enallein da in der Fremde. Mein Mann war ja noch an der Front.

Ganz allein in einem katholisch­en Dorf!“

Fräulein Maslow schnalzte mitleidig. „Sie Ärmste.“Fräulein Maslow war evangelisc­h.

„Gesprochen hat keiner mit mir, mit dem Finger haben die auf mich gezeigt: die Evangelisc­he! Die Frau, die uns dieWohnung vermietet hatte, wohnte unter uns und hat mich getriezt bis aufs Blut.

Ich hatte schon immer eine Schwäche für schöne Wäsche, ich wollte schneeweiß­e Bettwäsche und weiße Kindersach­en haben und habe alles im Garten auf die Bleiche gelegt und mit der Gießkanne begossen, wenn die Sonne schien. Die Alte ist oft genug einfach darüberget­rampelt, bevor alles trocken war – aus „Versehen“natürlich. „Die hält sich wohl für was Besseres, die feine Dame.“

Und im Milchladen wurde ich einfach nicht bedient. Ich musste jeden Tag drei Kilometer bis zum nächsten Bauern laufen, das Kind brauchte ja frische Milch. Das war nicht leicht für mich, weil ich so schwach war, ich hatte sogar eine Sonderkart­e wegen Unterernäh­rung. Deshalb mussten die mir im Dorfgeschä­ft auch etwas geben, aber Sie können sich vorstellen, was da für mich übrig war. (Fortsetzun­g folgt)

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