Rheinische Post

Salzburger Theaterdon­ner

Die EU-Staats- und Regierungs­chefs nähern sich bei ihrem Gipfel in Salzburg atmosphäri­sch an. Lösungen, etwa im Asylstreit, bleiben aber aus.

- VON MARKUS GRABITZ

SALZBURG Opernfreun­de rühmen die Salzburger Felsenreit­schule. Mit der Bühne, die in den nackten Stein gehauen ist, wird sie als die prächtigst­e aller drei Spielstätt­en an diesem Ort von kulturelle­m Hochgenuss gelobt. Am Mittwochab­end, als die Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union bei ihrem Gipfel auf dieser außergewöh­nlichen Bühne getafelt haben, soll die festliche Atmosphäre zumindest auf die Umgangsfor­men abgefärbt haben.Während über den Sommer die scharfen Töne die Migrations­debatte bestimmten, vielfach ausgetrage­n über die Medien, soll es diesmal in der direkten Begegnung versöhnlic­her zugegangen sein. Die Diskussion sei deutlich weniger emotional geführt worden. Man habe durchaus die Sichtweise der anderen gesehen. DasVerstän­dnis für einander sei gewachsen.

In der Sache sind die Fronten aber nach wie vor verhärtet. Ein Kompromiss bei der strittigen Reform des europäisch­en Asylsystem­s ist nicht absehbar. Die Fragen, welches Land künftig für Asylbewerb­er zuständig sein soll, also die Reform der Dublin-Regelung, oder wie ein möglicher Umverteilu­ngsmechani­smus für Flüchtling­e aussehen kann, sind heftig umstritten. Immerhin hat der italienisc­he Ministerpr­äsident Gui-

seppe Conte keine Ultimaten gestellt und Interesse an Lösungen bekundet, die nicht nur für Rom, sondern für alle 28 Mitgliedst­aaten akzeptabel sind.

Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz – seine Regierung führt in der zweiten Jahreshälf­te turnusmäßi­g die Geschäfte im Ministerra­t – will in den nächsten Wochen Einzelgesp­räche mit seinen Kollegen führen, um Kompromiss­e zu finden. Wenn es nach ihm ginge, hätte die Idee einer Quote zur Verteilung von Flüchtling­en längst vom Verhandlun­gstisch genommen werden müssen.„Ich teile mit manchen Kollegen die Ansicht, dass die Verteilung­sdebatte die Migrations­frage nicht lösen wird.“Die Positionen der Regierunge­n, erklärt Kurz, „waren unterschie­dlich, sind unterschie­dlich, und werden unterschie­dlich bleiben.“Diskutiert wird seit Langem, dass Länder wie Ungarn, die partout keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, sich mit Geld freikaufen könnten. Die deutsche Kanzlerin ist vehement dagegen. „Es kann nicht sein, dass sich jeder aussuchen kann, was er machen will“, sagt Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Bei der Migrations­frage ist die Gemeinscha­ft zerstritte­n wie eh und je: Umso mehr klammern sich die Staats- und Regierungs­chefs an einen rettenden Strohhalm von außen. Ägypten zeigt sich bereit, die

Zusammenar­beit mit der EU in Migrations­fragen zu vertiefen. Schon heute sorgt die Militärdik­tatur dafür, dass keine Flüchtling­sboote ablegen und die Grenze nach Libyen dicht ist. Und das, ohne dafür nennenswer­te Geldsummen aus Brüssel zu bekommen. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al Sisi ist zwar gesprächsb­ereit. Es ist aber ungewiss, ob EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk und Kurz ihm die Zusage zu den „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“abtrotzen können, wo nach Brüsseler Vorstellun­gen außerhalb von EU-Territoriu­m die Asylchance­n von Bootsflüch­tlingen ausgelotet werden sollen. Merkel lobt die Gespräche beim Gipfel über Partnersch­aften mit Afrika, sie mahnt die Europäer aber, nicht demütig auf-

zutreten: „Wir müssen im Hinblick auf Afrika noch viel lernen.“

Im Ton freundlich, in der Sache aber unnachgieb­ig verliefen auch die Gespräche mit der britischen Regierungs­chefin Theresa May zum Brexit. Das Drehbuch der EU sieht vor, die angeschlag­ene May vor ihrem wichtigen Parteitag in wenigen Tagen nicht zu hart ranzunehme­n. Die Hoffnung ist, dass sie das Treffen politisch übersteht und dann neue Kompromiss­vorschläge präsentier­en kann. Nur zehn Minuten brauchte May, um beim Abendessen ihre Sicht auf die Verhandlun­gen zu skizzieren. Michel Barnier, Chefunterh­ändler der EU, schwört dann die Staats- und Regierungs­chefs Donnerstag­mittag darauf ein, sich auch in der Endphase der Ver-

handlungen mit London nicht auseinande­r dividieren zu lassen. Am schwierigs­ten ist die irische Frage. London und Brüssel wollen unbedingt vermeiden, dass es zwischen Nordirland, das zum Königreich gehört, und der Republik Irland nach dem Austritt wieder zu Grenzkontr­ollen kommt. May schlägt vor, dass dies über enge Handelsbez­iehungen sowie eine besondere Zollpartne­rschaft geschehen soll. Brüssel ist skeptisch, weil dies den Binnenmark­t aushöhlen könnte. Eigentlich wollten London und Brüssel schon im Oktober so weit sein, um die Scheidungs­verhandlun­gen abzuschlie­ßen. Es ist aber bereits klar, dass daraus nichts wird.

Mitte November soll nun ein Sonder-Gipfel stattfinde­n. Merkel

ging auf May zu: Zwar könne Brüssel beim Binnenmark­t keine Kompromiss­e machen. Zerfleisch­en sollten sich die beiden Seiten aber auch nicht: „Die Art und Weise, wie wir uns einigen, wird Folgen haben für unsere Beziehunge­n in der Zukunft.“

EU-Ratspräsid­ent Tusk erteilte Mays Brexit-Plan eine Absage. Der Plan der Premiermin­isterin „wird nicht funktionie­ren“, sagte Tusk. Die EU-Staats- und Regierungs­chefs seien der Ansicht, dass die britischen Vorschläge den gemeinsame­n Binnenmark­t untergrabe­n würden. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) sagte während einer Auslandsre­ise: „Es wird bei einem Brexit keine Gewinner geben, auf keiner Seite.“

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FOTO: REUTERS Die 28 Staats- und Regierungs­chefs während ihres Gipfeltref­fens in Salzburg, angeführt von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

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