Düsseldorf riskiert Mangel an Physiotherapeuten
Patienten warten mindestens zwei Wochen auf Termine, Praxis-Chefs finden keine Mitarbeiter. Doch Gesundheitsamt und Krankenkassen in Düsseldorf sehen kein Problem.
Katrin Czarsbon ist die Chefin einer privaten Physiotherapiepraxis nahe der Kö. Eigentlich sollte es ihr leicht fallen, Personal zu finden. Schließlich kann sie im Gegensatz zu ihren Kollegen mit Kassenzulassung relativ gute Gehälter zahlen. Trotzdem: „Zwei Jahre lang habe ich verzweifelt nach Mitarbeitern gesucht“, sagt sie. Dass sie im vergangenen halben Jahr gleich drei Stellen neu besetzen konnte, sei ein totaler Glücksfall. „Viele Kollegen haben mich gefragt, wie ich das gemacht habe.“Gibt es einen Mangel an Physiotherapeuten in Düsseldorf? Sie würde diese Frage klar bejahen. Und so mancher Patient in Düsseldorf vermutlich auch.
Normalerweise dauert es – von Notfällen abgesehen – mindestens zwei Wochen, um einen Termin für eine Behandlung zu bekommen. Wer eine Spezialbehandlung braucht, wartet noch länger. Der Deutsche Verband für Physiotherapie nennt das einen bundesweiten Trend: Im August befragte der Verband über 1000 Praxisinhaber. Knapp 60 Prozent gaben an, dass dieWartezeit für einen Termin aktuell bei drei Wochen und länger liege.
Hinzu kommt: Die Zahl der Physiotherapiepraxen scheint zu stagnieren. Laut der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege waren 2017 in Düsseldorf 303 Unternehmen gemeldet – genauso viele wie 2014. 2015 und 2016 war die Zahl zwischenzeitlich auf 313 Unternehmen gestiegen. Gezählt wurden sowohl Praxen mit Angestellten als auch selbstständige Physiotherapeuten. „Das ist ein Problem“, sagt Jürgen Querbach vom Physiothe- rapeuten-Verband. „Wegen des demografischen Wandels und der alternden Bevölkerung bräuchten wir eigentlich eine wachsende Zahl von Praxen.“
Das Gesundheitsamt sieht das anders. Man habe sich beim Arbeitsamt rückversichert. Von dort werde kein Engpass bei Physiotherapeuten gemeldet, so Referent Michael Dimitrov.„Auch Probleme von Patienten wurden noch nicht an uns herangetragen“, sagt er.„Manchmal muss man etwas warten, aber im Regelfall bekommt man offenbar einen Termin in akzeptabler zeitlicher Nähe.“Das Arbeitsamt bestätigt: In der aktuellen Fachkräfte-Engpassanalyse für NRW (Stand Juli) falle das Rheinland nicht negativ auf. „Das heißt, die Stellenangebote konnten in adäquater Zeit besetzt werden, trotz einer geringen Zahl von arbeitslosen Fachkräften“, schreibt Sprecherin Silke Uellendahl. Sie weist aber auch darauf hin, dass es noch bei der Analyse im Februar „Anzeichen eines Engpasses in moderater Ausprägung im Rheinland“gegeben habe. Eine Analyse speziell für Düsseldorf liegt nicht vor.
Zuständig für die adäquate Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdiensten sind die Krankenkassen. Beim Verband der Ersatzkassen zählt man 274 gemeldete Praxen. „Unser Eindruck ist, dass es keinen Mangel gibt und die Versicherten versorgt sind. Uns liegen keine Beschwerden vor“, so eine Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion.
Unterm Strich bleibt der Eindruck: Noch ist Düsseldorf als wirtschaftsstarke Großstadt nicht so betroffen wie etwa das Bergische Land. Möglicherweise ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis auch die Versorgung hier in Gefahr gerät. Denn die Ursache für den Fachkräftemangel liegt in der Struktur von Ausbildung und Beruf: Physiotherapeuten zah- len für ihre Ausbildung hohe Schulgelder, falls sie nicht das Glück haben, in einer der wenigen öffentlich geförderten Ausbildungsstätten angenommen zu werden – mehrere zehntausend Euro. Dem gegenüber stehen dann magereVerdienstmöglichkeiten. Laut DeutschemVerband für Physiotherapie verdient ein Therapeut in einer freien Praxis durchschnittlich 25.000 Euro im Jahr. Das entspreche einem Umsatz pro Therapiestunde von 32 Euro brutto. Davon müsse der Therapeut alle laufenden Kosten wie Miete, Equipment, Personal und Rücklagen finanzieren – und seinen Lebensunterhalt bestreiten.
„Der Beruf ist einfach unattraktiv“, sagt Katrin Czarsbon von der Privatpraxis Fidelis dazu. „Wenn man als Physiotherapeut etwas verdienen will, muss man Chef werden. Ich kann jeden jungen Menschen verstehen, der keine Lust hat, sich diesem Druck auszusetzen.“