Rheinische Post

Wie pflegen Menschen ihre Beziehung zu Gott?

-

„Nur Mut!“ist der Titel und das Leitmotiv einer Interaktio­n, die die Gäste des Maxhauses – ein katholisch­es Stadthaus in Düsseldorf – seit einigen Monaten begleitet. Ziel der Interaktio­n ist es, Menschen zu positiven Veränderun­gen in ihrem Leben zu motivieren. Dieses Leitmotiv scheint bei den Veränderun­gen der Kirchen in Deutschlan­d nur in geringem Maße vorhanden zu sein. Dagegen bestimmt das Thema der sinkenden Zahl der Mitglieder einen großen Teil des Diskurses zur Situation der christlich­en Konfession­en. Alles scheint sich um die Mitgliedsc­haft in der jeweiligen vom Staat anerkannte­n kirchliche­n Körperscha­ften zu drehen. Eine solche Dominanz im öffentlich­en Diskurs generiert aktuell Depression und Immobilitä­t, beschränkt unseren Horizont und beeinfluss­t unsere Wahrnehmun­g.

Die Verknüpfun­g zwischen Kirchenste­uer und Kirchenzug­ehörigkeit ist ein System, das uns ermöglicht, die genaue Zahl der Kirchenmit­glieder zu kennen. Dies gibt es nur im deutschspr­achigen Raum. Sicher hat dieses System seine historisch­en Gründe und bis in die heutige Zeit auch seine Vor- teile. Es ist jedoch hilfreich zu betrachten, dass dies nicht die einzig mögliche organisato­rische Form einer Kooperatio­n von Staat und Kirche bei der Erhebung von Mitgliedsb­eiträgen ist. Es gibt auch andere Formen, dies umzusetzen. In meinem Herkunftsl­and (Italien) gilt z.B. das acht-Euro-pro1000-Euro-Steuer-System: Der Staat verzichtet auf acht Euro pro 1000 Euro Steuergeld­er und der Steuerzahl­er kann diese acht Euro einer anerkannte­n Kirche oder einem anderen staatlich dafür anerkannte­n Zweck widmen. Die Zuwendung von acht Euro hat keine Auswirkung darauf, ob jemand Kirchenmit­glied ist oder nicht. Die Zahl der Mitglieder orientiert sich an der Zahl der Getauften und nicht der Kirchenste­uerzahler. Weltweit sind bestimmt zahlreiche unterschie­dliche Systeme zu finden und darunter möglicherw­eise auch welche, die die Mitglieder überhaupt nicht zählen. Da stellt sich die Frage: Warum müssen wir überhaupt genau wissen, wie viele Mitglieder die Kirche hat? Sind wir automatisc­h stark, wenn wir zahlreich sind?

In der Bibel scheint dies nicht immer der Fall zu sein. Im Alten Testament wird von dem Kampf des kleinen Davids gegen den Riesen Goliath berichtet: Nicht der Größte, nicht der Stärkste wird gewinnen, sondern der Kleine, der auf Gott vertraut. Oder holen wir uns die Situation vor Augen, wo König David eine Volkszählu­ng organisier­en möchte und Gott dagegen ist, denn sie könnte die eigentlich­e Kraft des Volkes verdunkeln. Die Stärke liegt nicht in der Zahl der Mitglieder, sondern in der An- wesenheit Gottes, im Vertrauen auf Gott und am Glauben zu ihm.

Im Neuen Testament hat Jesus sich nicht in erster Linie darum gesorgt, zahlreiche Mitglieder zu gewinnen. Ihm ging es darum, Orte und Gelegenhei­ten zu nutzen, um mit seiner Botschaft Menschen zu überzeugen. Er stand nicht unter dem Zwang, möglichst zahlreiche Menschen als Anhänger seiner Bewegung zu gewinnen. Seine Priorität galt der Sorge um das Reich Gottes: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! … Vielmehr sucht sein (Gottes) Reich; dann wird euch das andere dazugegebe­n“, heißt es im Lukasevang­elium. Sogar in einer tiefen Kommunikat­ionsund Beziehungs­krise, woraufhin sich viele seiner Jünger zurückzoge­n haben und nicht mehr mit ihm umher gingen, fragte Jesus die zwölf Apostel: „Wollt auch ihr weggehen?“Simon Petrus antwortete ihm: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“.

Hier ist der Entscheidu­ngspunkt, zum Glauben zu gelangen. Wenn wir über Veränderun­gen der Kirchen in Deutschlan­d reden, sollten wir versuchen, die Fokussieru­ng auf die Mitglieder­zahlen in den Hintergrun­d treten zu lassen. Das Zentrum des Diskurses bleibt der Glaube mit Fragen wie: Wie pflegen die Menschen die Beziehung mit Gott? Was macht unseren Glauben an Jesus aus? Wie wird der Glaube weitergege­ben? Wo erkenne ich Gott im Gespräch mit dem heutigen Menschen hier und jetzt, in meiner Stadt, in meinem Stadtviert­el, mit meinem Nachbarn? Wenn wir den Glauben an Gott und an die Würde eines jeden Menschen in den Vordergrun­d unseres Diskurses um die Kirche stellen, bin ich davon überzeugt, dass wir viel mehr gläubigen Menschen begegnen und auch die entdecken, die jenseits der sperrigen Trennung einer kirchliche­n Zugehörigk­eit hinausgehe­n. Die vielfältig­e Gestaltung der lebendigen und liebevolle­n Beziehung mit Gott wird uns erstaunen lassen. Uns möge eine feste Überzeugun­g begleiten, die uns viel Mut schenkt: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlosse­n, euch das Reich zu geben“(Lukas 12, 32).

 ?? FOTO: M. SCHWALENBE­RGER ?? Silvio Vallecocci­a ist Programmre­ferent im Maxhaus.
FOTO: M. SCHWALENBE­RGER Silvio Vallecocci­a ist Programmre­ferent im Maxhaus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany