Nach 40 Jahren wird der ehemalige Pfarrer zum letzten Mal sein berühmtes Papiertheater aufführen. Letzter Akt in Ernst Fenglers Kellertheater
GERRESHEIM Sie sieht richtig unsympathisch aus, das elf Zentimeter große Holzabbild von Molierès Figur des Tartuffe. Der blasse Mann in der dunklen Robe reibt sich verschlagen die Hände, und man kann sich tatsächlich vorstellen, wie das Holzpüppchen Pläne schmiedet, eine rechtschaffene Familie um ihr Eigentum zu bringen.
Geschaffen wurde der kleine Tartuffe vom ehemaligen Gerresheimer Pfarrer Ernst Fengler, der sich das gleichnamige Stück als Abschluss seines fast 40 Jahre bestehenden Papiertheaters ausgesucht hat. Der Theologe hatte von 1971 bis 2000 die Stelle des Gemeindepfarrers im Stadtteil inne. „Ich habe mich immer sehr bemüht, ein sichtbarer Teil der Gemeinde zu sein“, erzählt er heute. Ihm ist bewusst: In der modernen Zeit kommen weniger Menschen in die Kirche. „Die Kirche muss deswegen zu den Menschen kommen“, sagt Fengler. Einen Weg, die Menschen zu erreichen, suchte er auch 1979, als er auf einem Sommerfest der Gemeinde im Keller des Pfarrhauses sein erstes Papiertheater aufführte. Gemeinsam mit seiner Frau Margarete hatte er Figuren gebastelt, eine Bühne gebaut und Text geprobt, um am EndeWagners„Fliegenden Holländer“zu zeigen.
Die Aufführung verlief chaotisch, weil der Pfarrer und seine Frau mit dem gleichzeitigen Sprechen, Spielen der Figuren und dem Bedienen des Tonbands für Geräuscheffekte überfordert waren. Dennoch war das Stück beliebt, und Fengler beschloss, die Sache auszuweiten.
„Am Anfang habe ich noch die Figuren aus Pappe gebaut“, erzählt er, „später aber aus Holz. Das hält besser, auch wenn es schwerer zu bearbeiten ist.“Fast 40 Stücke hat Fengler seither auf die kleine Bühne gebracht. Dafür sucht er sichVorlagen für die Figuren, klebt sie auf Holz und schneidet es aus. Außerdem baut er Kulissen und Bühnen. „Das ist meine Arbeit an kaltenWintertagen“, erzählt er. Die Tradition des Papiertheaters, ursprünglich ein Mittel der frühkindlichen Bildung im Bürgertum des 19. Jahrhunderts, fasziniert den Pfarrer. Und auch andere: Durch seine Kontakte in der Gemeinde konnte Ernst Fengler immer wieder neue Spieler und Sprecher für seine Stücke gewinnen. 40 Personen arbeiteten im Laufe der Jahre mit ihm zusammen.„Ich habe immer versucht, große Stücke der Literatur zu spielen“, sagt der Priester. Dazu gehörten neben dem Holländer und Tartuffe auch „Don Quichotte“, „Aladin und die Wunderlampe“sowie Schillers„Räuber“. „Es ist klassisches Theater für Er- wachsene“, beschreibt Fengler seine Auftritte, bei denen er nie durch das Übertreten von Schamgrenzen provozieren wollte. Die Texte bearbeitet er selbst.„Damit und dem Bau war ich meistens vom Herbst bis ins Frühjahr beschäftigt“, sagt der Pfarrer, der zunächst weiterhin im Keller seines Gemeindehauses die Aufführungen veranstaltete.
Als er 2000 in den Ruhestand ging, wollte er seine Sammlung an das Theatermuseum spenden. „Da bekam ich aber ein anderes Angebot: Der damalige Chef Winrich Meiszies schlug Fengler vor, künftig dort mit seinen Figuren aufzutreten. Und so folgten weitere 18 Jahre, in denen der ehemalige Pfarrer große Literatur auf eine kleine Bühne brachte.
Doch damit soll nach diesem Jahr Schluss sein. „Ich bin inzwischen 80 Jahre alt“, sagt Fengler. „Das Papiertheater macht mir noch Spaß, aber es ist auch sehr anstrengend.“Er wollte aufhören, so lange es noch gut und schön für alle ist. Wie es weiter geht? Das weiß Fengler selbst noch nicht.Vielleicht übernimmt jemand sein Werk, vielleicht werden die über 350 Figuren auch in einem Archiv landen. Aber für die Fans, die zu seinen Aufführungen kamen, gibt es Hoffnung: „Mein Enkel ist 14, künstlerisch begabt und begeistert sich fürs Theater“, erzählt Fengler, der eben auch stolzer Großvater ist. „Ich will dem Jungen nichts vorschreiben, aber wenn er seine Leidenschaft für mein altes Hobby entdecken würde, wäre das wirklich schön.“