Es ist feuchtwarm, nachts hat es geschüttet. Sommergewitter sind typisch für das Klima
Ende Juni auf diesem Abschnitt überall Alpenrosen blühen, ist das einmalig schön“, schwärmt Shaw.
Wer weit oben Gämsen und Steinadler beobachten und die Viertausender des Schweizer Wallis in der Ferne anhimmeln möchte, muss allerdings zwei bis drei Tage Zeit einplanen; und Essen, Isomatte, Schlafsack dabei haben. Die Biwaks des Nationalparks, romantisch in alten Alphäuschen eingerichtet, eignen sich nur für Selbstversorger. Gaudi-Hütten mit Kaiserschmarrn auf der Karte gibt es nicht.
Das Tal scheint gottverlassen.
Wie eine Mauer schirmen ringsum Berge ab – heute ein
Segen, früher ein Fluch.
Über Jahrhunderte plagten sich Bauern mit Ackerbau, Viehwirtschaft, Holzschlag. Im Zweiten Weltkrieg verschanzten sich Partisanen in dem unwegsamen Gelände. „1944 wurden sie von Nazis und Faschisten nieder gemetzelt“, erzählt Rolf Platen, der seit 30 Jahren durch das Val zieht und ein Buch darüber geschrieben hat. Viele Bauern seien mit getötet und ihre Häuser verbrannt worden, berichtet der 76-Jährige. Die Ruinen entdeckt man häufig. Als auch der Forstbestand erschöpft war, wurde die letzte Alp aufgegeben: 1969 war das. Seitdem regiert die Natur. Heute ist das Val Grande das größte Wildnis-Schutzgebiet der Alpen.
Wir sitzen mit Platen in Cannero, einem beschaulichen Örtchen am Lago Maggiore mit dem schönsten Strand weit und breit und blicken auf die gleich hinter dem Ufer steil aufragenden Hügel. Von der Ostseite ist das Tal, das seit 2013 Unesco-Geopark ist und für nachhaltigen Tourismus ausgezeichnet wurde, kaum zu erreichen. „Ich kenne kein Gebiet in den Alpen, das vergleichbar ist“, sinniert der ehemalige Lehrer und streicht sich über den Bart. „Wildbäche, verwunschene Wege, üppige Flora, viele Tiere, prähistorische Felszeichen, kein Trubel.“Die Liste ist lang.
Natürlich hat auch Platen einen Tipp. Er empfiehlt einen Nachmittagsspaziergang auf den Monte Faiè.Wieder sind es 30 Minuten Fahrt vom See aus, dann steigen wir an der Alpe Ompio auf 980 Metern aus. Über den Naturlehrpfad„L’uomo albero“(Baummensch) kraxeln wir durch Birkenhaine und dichte Buchenwälder knapp 400 Höhenmeter hoch. Es ist feuchtwarm, nachts hat es geschüttet. Sommergewitter sind typisch für das Klima des Parks. Ganz oben ziehen sich die knorrigen Bäume zurück. Die Augen schweifen weit über Lago Maggiore und Luganer See. Direkt vor uns fällt der Blick 1300 Meter tief ins Tal. Hinter uns ragen die Berghünen des Parks auf.
Wir sitzen, schauen, genießen lange.