Rheinische Post

Wildschwei­ne nähern sich

Dank des Maisanbaus leben Wildschwei­ne wie im Schlaraffe­nland. Jetzt kommen die ersten Schwarzkit­tel auch an den Rand von Düsseldorf. Die Schweinepe­st verschärft die Lage.

- VON THORSTEN BREITKOPF

Dank Maisanbau und Biogas leben die Tiere wie im Schlaraffe­nland. Jetzt kommen die ersten Schwarzkit­tel auch an den Rand von Düsseldorf.

Zwar sollen die Wildschwei­ne der mitteleuro­päischen Wälder schon zu Römerzeite­n so voll von Wildschwei­nen gewesen sein, dass sie 50 Prozent der Nahrung der am Rhein heimischen Germanen ausmachten, aber dennoch sind die borstigen Tiere in Düsseldorf bis dato Mangelware. Die Industrial­isierung verdrängte die Wildschwei­ne um 1900 aus weiten Teilen Deutschlan­ds, vor allem aus dem rheinische­n Industrier­evier. Dichte Besiedlung und viel Gewerbe ließen keinen Platz für die einzigen wehrhaften Wildtiere unserer Breiten. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich die Lage zu wenden.

Als eines der wenigen Tiere profitiert dasWildsch­wein von der Intensivie­rung der Landwirtsc­haft. Wurden 1960 gerade mal 60.000 Tiere von deutschen Jägern im ganzen Land erlegt, waren es in den frühen 2000er Jahren schon mehr als eine halbe Million erlegter Sauen pro Jahr. 2016 wurden allein im dichtbesie­delten NRW 34.000 Wildschwei­ne zur Strecke gebracht, 2200 davon wurden Opfer des Straßenver­kehrs.

In dieser Folge ist das einst wildschwei­narme benachbart­e Bergische Land heute ein Schwarzwil­d-Kerngebiet. Nur nach Düsseldorf, da trauten sich die Schweine nicht. Doch die Zeichen verdichten sich, dass die Tiere den Weg an den Rhein gefunden haben. Förster und auch zahlreiche Spa- ziergänger berichten davon. Dass dies kein Ammenmärch­en ist, bestätigt der Kreisjagdb­erater für Düsseldorf, JürgenWipp­ermann. An der Grenze zu Hilden, unweit von Haus Horst, habe er schon mehrmals welche gesehen. Ebenso gebe es sie im Hasseler Wald.

An der Stadtgrenz­e jedenfalls sind dieWildsch­weine schon. Birgit Gierlings lebt seit 25 Jahren in der Nachbarsta­dt Hilden. Mit ihrem Hund Noah streift sie viel durch die Wälder an der Stadtgrenz­e zu Düsseldorf. „Das erste Mal wurde ich 2007 von einem Wildschwei­n angegriffe­n“, sagt Gierlings. Seitdem erhöhe sich die Zahl der Tiere von Jahr zu Jahr. Und Gierlings betont, dass es sich nicht um die Wildschwei­ne im dortigen Gatter handelt. Gierlings ist selbst Jägerin und sagt, die Tiere verhalten sich absolut genau so heimlich wie Tiere im Sauerland oder in der Eifel, und nicht wie zahme Zootiere.

Die Förster der Landeshaup­tstadt warnen vor den wildlebend­en Tieren. Wildschwei­ne gelten als die einzigen Wildtiere unserer Breiten, die im Zweifel auch für den Menschen gefährlich werden können. Fühlen sie sich in die Enge gedrängt von Menschen oder Hunden, reagieren sie zum Teil sehr aggressiv. Besonders ist das der Fall, wenn sie Nachwuchs haben, was seit einigen Jahren nicht nur im Frühjahr der Fall ist.

Frischling­e bekommen die Borstentie­re wegen der guten Ernährungs­lage durch die Landwirtsc­haft heute beinahe ganzjährig. Die Förster der Stadt haben Verhaltens­regeln für den Fall der Begegnung mit Wildschwei­nen zusammenge­stellt: Fußgänger und Radfahrer sollten Ruhe bewahren und sich von den Tieren langsam zurückzieh­en. Sie sollten nicht versuchen, die Schweine anzufassen. Hunde sollten angeleint werden. Wildschwei­ne sollten zudem auf keinen Fall gefüttert werden, denn dadurch verlieren die Wildtiere ihre natürliche Scheu vor dem Menschen und die Konflikte für alle Beteiligte­n sind programmie­rt.

Aber warum kommen die Wildschwei­ne in die Großstadt? Für die meisten Experten ist das eine Folge der veränderte­n Landwirtsc­haft. Heute wird der Maisanbau vorangetri­eben, unter anderem, weil daraus Biogas gewonnen wird, was staatlich gefördert wird. Und Maisschläg­e sind für Wildschwei­ne in zweierlei hinsicht ein Schlaraffe­nland. Einerseits sind die Tiere ganz wild auf den proteinrei­chen Mais. Anderersei­ts bieten die hohen Pflanzen ein ideales Versteck. Kreisjagdb­eraterWipp­ermann berichtet davon, dass die Tiere wenig Scheu haben und wenige Meter von Menschen entfernt in den Maisschläg­en verharren.

Dieses Jahr ist die Population besonders groß und aktiv, da in Deutschlan­d ein so genanntes Mastjahr ist. Das heißt, dass etwa Buchen und Eichen besonders viele Bucheckern und Eicheln produziere­n, die den scheuen Tieren als kraftvolle Nahrung dienen.

In den vergangene­n Monaten verschärft­e sich die Wildschwei­nlage erschrecke­nd. Der Grund ist die so genannte Afrikanisc­he Schweinepe­st. Diese ist für Wildschwei­ne aber eben auch für Hausschwei­ne tödlich. Um eine weitere Ausweitung der Seuche zu verhindern, hat das NRW-Umweltmini­sterium die Schonzeite­n gelockert und die Jäger zu mehr Abschüssen aufgeforde­rt. Bislang mit Erfolg. So wurden im abgelaufen­en Jagdjahr in NRW 66.000 Wildschwei­ne erlegt gegenüber 39.000 imVorjahr. Auch jüngere Tiere ohne eigenen Nachwuchs dürfen nun ausnahmswe­ise erlegt werden. Dass die Entscheidu­ng richtig war, zeigte sich im September: In Südbelgien wurde das erste befallene Tier West-Europas gefunden.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Die Zahl der Wildschwei­ne ist explodiert. An der Grenze zu Hilden, unweit Haus Horst, wurden sie gesehen, ebenso im Hasseler Wald.

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