Rheinische Post

In der Schwebe

Die Kanzlerin tritt im Bundestag souverän auf, aber ihrer Regierungs­erklärung fehlt der Glanz. Das ist nicht neu, in Zeiten wie diesen aber heikel.

- VON KRISTINA DUNZ

Die Kanzlerin macht gar nicht erst den Versuch einer Erklärung. Der komplizier­te „Backstop“passt nicht in eine 20-minütige Rede, auch wenn ihr Vortrag Regierungs­erklärung heißt und dazu gedacht ist, den Abgeordnet­en ihre Haltung zum EU-Gipfel und zu den Brexit-Verhandlun­gen in den nächsten Stunden zu erläutern. Es geht um die Frage, wie sich nach dem Ausstieg Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union Schlagbäum­e an der künftigen EU-Außengrenz­e zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland verhindern lassen. Die EU fordert eine Schutzklau­sel („Backstop“) im Austrittsv­ertrag, nach der Nordirland zunächst Teil der Zollunion mit der EU bliebe. London will die Grenzfrage aber möglichst im Rahmen einer dauerhafte­n Wirtschaft­spartnersc­haft lösen. Das ist der heikelste Punkt, der noch gelöst werden muss. Angela Merkel sagt am Mittwoch aber nur, der zentrale Durchbruch sei noch nicht gelungen, die Tücke liege sehr im Detail, „das Schwierigs­te kommt zum Schluss“.

Das gilt inzwischen auch für ihre Karriere. Seit der Bundestags­wahl im vorigen Jahr, die sie zwar gewonnen, aber bei der sie hohe Verluste eingefahre­n hat, ist die CDU-Vorsitzend­e angezählt. Einen solchen Missmut in der Partei und gar Misstrauen wie jetzt hat sie vielleicht in ihren Anfängen an der Parteispit­ze vor mehr als 18 Jahren erlebt, als viele Männer in der Union in ihr nur eine Übergangsl­ösung sahen. Aber in ihren ersten drei Legislatur­perioden als Bundeskanz­lerin seit 2005 galt sie in der Union als das, was in ihren Augen jede mühselig ausgetüfte­lte Regierungs­entscheidu­ng war: alternativ­los. Jedenfalls bis zur Flüchtling­skrise 2015. Danach begann die Veränderun­g, der innerparte­iliche Druck auf die Chefin wuchs, und in ihrer vierten Amtszeit als Kanzlerin hat sich das enorm verschärft. Ihre Machtbasis bröckelt. Wenn sie bis 2021 durchhält, hat sie wie Helmut Kohl 16 Jahre durchregie­rt. Aber derzeit steht das infrage.

Die Sonne scheint auch in diesem Herbst noch warm und grell durch die Kuppel des Reichstags­gebäudes, so dass sie wie ein Scheinwerf­erlicht auf Merkels Gesicht wirkt, während diese am Rednerpult steht und ihr Manuskript abliest. Nur einmal lässt sie aufblitzen, womit sie im kleinen Kreis immer wieder die Leute begeistert: mit ihrem trockenen Humor. Ganz nüchtern plädiert sie mit Blick auf die Europawahl im nächsten Jahr für finanziell­e Sanktionen gegen Parteien, die mit ihren Kampagnen Desinforma­tion betreiben. „Wer sich nicht an die demokratis­chen Spielregel­n Europas hält, kann nicht erwarten, von der EU Parteienfi­nanzierung zu erhalten. Auch das ist wehrhafte Demokratie.“Das Rumoren auf den Bänken der AfD quittiert sie mit einem Unschuldsb­lick in diese Richtung und sagt: „Fühlt sich da jemand angesproch­en?“Der Applaus der anderen ist ihr sicher. Es ist einer der seltenen Momente, dass Merkel überhaupt auf die AfD eingeht.

Sie warnt davor, dass es einen Brexit ohne ein Abkommen geben könnte. Sie appelliert an den Zusammenha­lt der Europäisch­en Union, an die Solidaritä­t mit afrikanisc­hen Staaten in der Flücht- lingspolit­ik und legt sich wieder mit allen an, die auf nationale Alleingäng­e setzen. Sie tritt souverän auf, wirkt aber doch glanzlos. Man hat solche Reden von ihr schon so oft gehört. Und natürlich bleibt sie sich treu und verliert in einer solchen Regierungs­erklärung keine Silbe zum schlechten Abschneide­n der CSU bei der Landtagswa­hl in Bayern. Merkel ist gedanklich schon in Brüssel, und der eine dürre Satz von Montag muss reichen: Ihre Lehre aus der Wahl sei, als Kanzlerin mehr dafür zu sorgen, Resultate der Bundesregi­erung sichtbar zu machen und Vertrauen in die politische­n Akteure zu stärken.

Wie sehr die Union nach neuem Stil, neuem Schwung lechzt, erkennt man an der Rede des neuen Unionsfrak­tionsvorsi­tzenden Ralph Brinkhaus. Er hat nichts Schriftlic­hes vorbereite­t und fängt seine Rede einfach mit dem Appell an, dass man sich über Europa freuen solle. Stöhnen im Saal. Aber als er an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert und Europa erstens, zweitens und drittens als Friedenspr­ojekt bezeichnet, sind sie in den Unionsreih­en wieder wach. Sie klatschen sehr viel länger als bei ihrer Kanzlerin. Dabei hat Brinkhaus inhaltlich nicht mehr geboten.

Nervosität ist Merkel nicht anzumerken. Sie ruht offensicht­lich trotz allem in sich. Es sind aber nur noch eineinhalb Wochen, bis ihre Welt wieder mehr von der Lage der Partei als von der EU bestimmt sein dürfte. Verliert die CDU bei der Landtagswa­hl in Hessen die Macht, wird es für die Union ein Ventil geben müssen. Merkel will im Dezember wieder Parteichef­in werden. Bisher ist gegen sie noch nie jemand angetreten. Jetzt gibt es schon drei Gegenkandi­daten. Es könnten mehr werden. Einen „Backstop“, eine Schutzklau­sel, gibt es für Merkel nicht mehr.

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FOTO: DPA Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag.

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