Vor 35 Jahren: Festakt und Krefelder Appell
1983 blickte die Weltöffentlichkeit nach Krefeld. Proteste gegen neue Atomraketen und Nachrüstung machten vor den Feierlichkeiten zum 300. Jahrestag der Auswanderung Krefelder Siedler nach Amerika nicht halt. Vier Millionen Menschen hatten zu dem Zeitpunkt den Krefelder Appell für Frieden und Abrüstung unterschrieben. Ein Zeitzeuge erinnert sich.
Ab Dezember 1983 wurden neue Atomraketen in Deutschland stationiert. Der Bundestag hatte sich kurz zuvor mit einer Mehrheit für die Nachrüstung entschieden. Das ist 35 Jahre her. Mehr als vier Millionen Menschen hatten zu diesem Zeitpunkt den so genannten Krefelder Appell unterschrieben, der sich unter anderem gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen und gegen das Wettrüsten der Supermächte aussprach. Auf Krefeld war in diesem Jahr direkt oder indirekt der Blick der Weltöffentlichkeit gerichtet: US-Vize-Präsident George W. Bush, Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Karl Carstens besuchten die Seidenstadt und nahmen an einem Festakt zur 300-Jahr-Feier der Auswanderung Krefelder Siedler in die USA teil. Bushs Besuch mitten in der Nachrüstungsdebatte sorgte für Zündstoff und hohe Sicherheitsvorkehrungen.
Gefeiert wurde hüben wie drüben. Wenn bei den Festreden von Frieden die Rede war, standen diese Äußerungen unter einem besonderen Stern. In Germantown nutzen Gert Bastian, Petra Kelly und Erhard Eppler die Gelegenheit, um vor 15.000 Amerikanern ihreVorstellungen von Frieden und Abrüstung zu vermitteln. Das Trio hat drei Jahre zuvor bei einem zweitägigen Forum im Seidenweberhaus maßgeblich an der Formulierung des Krefelder Appells mitgewirkt. Die 1958 im Crefelder Hof entstandene Gemeinschaft „Kampf dem Atomtod“hatte eingeladen, und zur Überraschung der Initiatoren waren gut 1500 Vertreter außerparlamentarischer Initiativen gekommen.
Die Stadt Krefeld war mit dem „Krefelder Appell“nie glücklich. Der Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung stand im Verdacht, von Moskau und der Deutschen Demokratischen Republik aus beeinflusst und gelenkt worden zu sein. In einem Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung erinnert sich der Petra-Kelly-Weggefährte und Grünen-Pionier Roland Vogt. Auf die Frage, in welchem Ausmaß DKPund DFU-nahe (beide Parteien wurden von der SED finanziell unterstützt, die Redaktion) Autoren an dem Krefelder Appell mitgeschrieben hätten, antwortete er wörtlich: „Beim Krefelder Appell war immer dieser Verdacht, dass das einen Drall hat, was DKP, Ost-Berlin oder Moskau angeht. Aus eigener Beobachtung habe ich mitbekommen, dass die letztgültige Fassung des Krefelder Appells die Handschrift von Gert Bastian trug und dass alle damit zufrieden waren.“
Vogt stand damals im Seidenweberhaus in vorderster Reihe. Sein Eindruck: „Da waren unglaubliche Demagogen dabei. Zwei davon waren pro forma bei einem DDR-freundlichen Verlag angestellt, aber in Wirklichkeit für das Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit freigestellt. Die hatten eigentlich gar nichts mehr zu melden. Es war ihnen aber wichtig, auf die Bühne zu kommen und dort zu stehen. Warum? Wegen der Fotos. Und weil sie damit ihren Auftraggebern den Eindruck vermitteln konnten, ganz wichtig zu sein und dazuzugehören. Da gab es zum Teil sogar ein körperliches Gerangel, um dort oben zu stehen. Das war eine kuriose Geschichte.“
Der ehemalige Bundeswehr-general Bastian beging 1992 einen erweiterten Suizid. Zuerst tötete er seine Lebensgefährtin Petra Kelly und anschließend sich selbst.