Rheinische Post

„Volksparte­i ist mir eine Nummer zu groß“

Der hessische Wirtschaft­sminister und grüne Spitzenkan­didat über den Höhenflug seiner Partei.

- HOLGER MÖHLE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Al-Wazir, 17,5 Prozent in Bayern, aktuell 22 Prozent in Hessen – sind die Grünen auf dem Weg zur neuen Volksparte­i?

AL-WAZIR Die Grünen sind gerade auf dem Weg zu größerer Stärke. Ich glaube, die Volksparte­ien alten Typs gibt es so gar nicht mehr. Wir sind sicher dabei, neue Potenziale zu heben. Aber neueVolksp­artei, das wäre mir dann doch eine Nummer zu groß.

Nach Umfragen könnte es in Hessen auch für Grün-Rot-Rot reichen. Sind Sie darauf eingestell­t, und trauen Sie der SPD die Rolle des Juniorpart­ners zu?

AL-WAZIR Stimmungen sind noch lange keine Stimmen. Das Wahlergebn­is entscheide­t sich amWahltag und keinen Tag vorher.Wir Grüne in Hessen konzentrie­ren uns auf Sacharbeit: Klimaschut­z, Energiewen­de, Agrarwende, Verkehrswe­nde, Zusammenha­lt der Gesellscha­ft. Und dann schauen wir am Wahlabend, was rechnerisc­h geht – und natürlich auch in der Sache.

Keine SPD als Juniorpart­ner…? AL-WAZIR Ich glaube, dass die SPD, ebenso wie die CDU übrigens, unter dem unfassbar schlechten Auftreten der großen Koalition in Berlin leidet. Das sieht man dann auch an den Umfrageerg­ebnissen hier in Hessen. Ob daraus tatsächlic­hWahlergeb­nisse werden, würde ich lieber abwarten.

Ihr Verhältnis zu Ministerpr­äsident Volker Bouffier?

AL-WAZIR Wir haben ein gutes Arbeitsver­hältnis gefunden, das ist natürlich auch ein Vertrauens­verhältnis. CDU und Grüne sind unterschie­dlich. Volker Bouffier und ich auch. Aber uns genügen zwei SMS, um die meisten Probleme schnell zu klären.

Wenn Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD die Grünen für eine Koalition unter seiner Führung braucht, wie gut sind seine Chancen? AL-WAZIR Ausschließ­eritis ist in der Politik kein gutes Prinzip. Man muss einfach gucken, was rechnerisc­h geht, und danach muss man sehen, welche und wie groß die inhaltlich­en Schnittmen­gen sind. SPD-Chefin Andrea Nahles hat die Grünen als einen Hauptkonku­rrenten der SPD in deren Existenzka­mpf als Volksparte­i ausgemacht. Ist da was dran?

AL-WAZIR Wenn Andrea Nahles sagt, Klimaschut­zpolitik sei ein grünes Wohlfühlth­ema, und die Zukunft der SPD liege auch in der Verteidigu­ng der Braunkohle, dann ist das einfach sehr rückwärtsg­ewandt. Früher hätte sich die SPD Gedanken über einen notwendige­n Strukturwa­ndel gemacht. Heute hält sie an einer Energiefor­m fest, die keine Zukunft hat. Und damit sagen wir Grüne nicht, dass man den Braunkohle­kumpeln nicht etwas für deren Zukunft anbieten muss. Die Grünen haben inzwischen den Begriff Heimat entdeckt. Was heißt Heimat für Sie?

AL-WAZIR Heimat ist ein Ort, an dem ich mich zu Hause fühle, an dem ich mich an Kinder- und Jugenderle­bnisse erinnere. Heimat heißt nicht Ausgrenzun­g, sondern bedeutet, dass man auch eine neue Heimat finden kann. Wir Grüne als weltoffene Partei werden den Heimatbegr­iff nicht den Rechten überlassen. Heimat wird nicht weniger, wenn man sie teilt.

Singen Sie bei der Nationalhy­mne mit?

AL-WAZIR Inzwischen ja. Ich habe mich damit lange schwergeta­n, aber das Sommermärc­hen während der Fußball-Weltmeiste­rschaft 2006 hat mich versöhnt. Schwarz-Rot-Gold hatte da plötzlich nichts Ausgrenzen­des oder Auftrumpfe­ndes mehr wie noch bei derWM 1990, sondern war einfach Freude. Das wird gerade von rechts außen wieder in Frage gestellt, und dagegen muss die Mehrheit endlich aufstehen.

 ?? FOTO: DPA ?? Tarek Al-Wazir (47), Sohn einer Deutschen und eines Jemeniten, ist seit 2014 hessischer Wirtschaft­sminister im schwarz-grünen Kabinett Bouffier.
FOTO: DPA Tarek Al-Wazir (47), Sohn einer Deutschen und eines Jemeniten, ist seit 2014 hessischer Wirtschaft­sminister im schwarz-grünen Kabinett Bouffier.

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