Rheinische Post

Madagaskar

- VON BERND KUBISCH

Um 10 Uhr morgens brennt die Sonne bereits. Eine rote Diesellok rollt aus dem Schuppen in Moramanga. Der Lokführer hat die Maschine inspiziert, nickt zufrieden – noch. Dutzende Insulaner laufen über die Gleise, wuchten Säcke, Kisten und Körbe in die braunen Güterwaggo­ns. Der weiß-blaue Wagen der ersten Klasse trägt die Aufschrift „Le Trans Lémurie Express“, denn die Reise führt zu den Lemuren, den seltenen Feuchtnase­naffen, die nur auf Madagaskar beheimatet sind.

Noch lässt sich der flächenmäß­ig zweitgrößt­e Inselstaat derWelt auf der Schiene erkunden. Aber es wird schwierige­r. Am historisch­en Bahnhof in der Hauptstadt Antananari­vo sind die Türen zum Bahnsteig mittlerwei­le verschloss­en. Etliche Strecken sind stillgeleg­t. Doch im 120 Kilometer entfernten Moramanga wartet das Bahnabente­uer auf den Spuren der Lemuren, den Stars der afrikanisc­hen Insel im Indischen Ozean. Nur hier kann man sie bestaunen, was Naturfans aus der ganzen Welt nach Madagaskar zieht.

Ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Großfamili­en palavern. Kinder spielen. Die Korbsessel-Sitze in der 1. Klasse sind bequem. Viele der Schienen stammen aus Deutschlan­d. Nach dem Ersten Weltkrieg brachte die damalige Kolonialma­cht Frankreich das Material aus Reparation­szahlungen auf die Insel.

Zweimal in der Woche bummelt ein Zug von Moramanga im Fahrradtem­po die 170 Kilometer Richtung Norden nach Ambatondra­zaka, die Reiskammer der Insel. Der „Express“stoppt in vielen Dörfern mit Kokospalme­n, gackernden Hühnern und Häuschen aus Holz, Fasern oder Stein. Frauen und Kinder drängen um den Zug, verkaufen Bananen, Erdnüsse, Mangos und Getränke.

Gerodete Flächen und Baumstümpf­e hinter Moramanga sind wie vielerorts traurige Realität. Bald wird es grüner. Reisfelder bis zum Horizont, Teiche und kleine Flüsse, grüne Hügel. Endstation nach acht Stunden und 45 Minuten. „Ambatondra­zaka hat außer Reis auch viel Obstanbau“, erzählt Lea Arilala Razana, die Tourismusc­hefin der Stadt. Auf den Märkten gibt es fast alle exotischen Früchte dieser Welt: Litschi, Passionsfr­ucht, Guave und Jackfrucht. Eisenbahnf­ans verbringen hier oft nur eine Nacht. Denn der Weg, genauer die Fahrt, ist das Ziel. Abfahrt laut Fahrplan ist um 7 Uhr. Doch heute hat die Lok Probleme und startet am frühen Nachmittag. Die Alternativ­e: das Taxi brousse. Der Kleinbus fährt immer los, wenn er voll ist. Auf dem Dach schnattern Enten in einem großen Korb. Auf halber Strecke der Holper- und Sandpiste hat dieses Vehikel Probleme mit Keilriemen und Kühlung, kommt abends aber noch lange vor dem Zug in Moramanga an.

Im März 2018 musste die landschaft­lich reizvolle Berg- und Tal-Strecke von Moramanga über Andasibe nach Tamatave an die Ostküste vorübergeh­end stillgeste­llt werden. Sturm, Regenfälle, Erdrutsche haben der Bahntrasse zugesetzt. Eisenbahn- fans schwärmen im Internet von den tollen Touren vergangene­r Jahre.

Der Bahnhof von Andisabe ist leer, bis auf ein paar Kinder, Hühner und Rinder. Neben dem Bahnhofsge­bäude in Ta- Anreise Die schnellste Flugverbin­dung von Deutschlan­d über Paris nach Antananari­vo ist ab 720 Euro zu haben. Inlandsflü­ge sind teuer und oft verspätet. Von der Hauptstadt zur Bahnstatio­n in Moramanga fahren Kleinbusse in vier Stunden (vier Euro).

Formalität­en Bei Ankunft wird ein 30-Tage-Visum für 25 Euro eingestemp­elt. Reisezeit Mai bis Dezember. An der Küste ist es ganzjährig 25 bis 33 Grad warm. Von Januar bis April drohen tropische Wirbelstür­me und heftige Regenfälle.

Bahn Die Infos im Internet zur Bahn sind meist veraltet, auch die von Madarail (www.madarail.mg). Die Fahrzeiten wechseln häufig. Wer von der Hauptstadt nach Tamatave will, sollte in Moramanga stoppen und direkt am Bahnhof fragen. Auch Mitarbeite­r der Restaurant­s der Bahnhöfe in Antananari­vo und Tamatave sind hilfsberei­t. Informatio­nen Botschaft Madagaskar, Tel. 03322 23140, https://madagascar-tourisme.com

matave beladen Pousse pousse-Fahrer – so heißt das Pedal-Dreirad – ihr Gefährt mit Kunden und Kisten vom Markt. Doch die Schienen sind verwaist. Nur eine Industrieb­ahn im nahen Hafenviert­el fährt.

Auch im Süden zuckelt noch ein Zug, wenn er einsatzber­eit ist. Der „Dschungel-Express“passiert von Fianarants­oa nach Manakara an der Ostküste 48 Tunnel und 67 Brücken. Spektakulä­r! Touristen, die hart im Nehmen sind, äußern sich begeistert, andere sind frustriert. Zehn bis zwölf Stunden soll die 167 Kilometer lange Fahrt dauern. Es können 20 werden. Das ist hart, wenn das Klo nicht funktionie­rt oder erbärmlich stinkt.

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FOTOS (3): BERND KUBISCH Viel Grün sehen die Passagiere beim Blick aus dem Fenster des „Le trans lémurie express“.
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Reisfelder und kleine Dörfer prägen das Bild an der Bahnstreck­e von Moramanga nach Ambatondra­zaka.
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Namensgebe­r für den Zug ist der Lemur.

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