Rheinische Post

Festival-Chefin mit Aufpasser

Intendanti­n Stefanie Carp soll die Ruhrtrienn­ale auch in den kommenden zwei Jahren leiten – unter bestimmten Bedingunge­n.

- VON KLAS LIBUDA

BOCHUM Sie bleibt. Aber es wird sich etwas ändern. So lässt sich der Beschluss des Aufsichtsr­ats der Kultur Ruhr GmbH zusammenfa­ssen, der gestern über die Zukunft von Stefanie Carp bei der Ruhrtrienn­ale zu entscheide­n hatte. Die umstritten­e Intendanti­n soll demnach auch in den kommenden zwei Jahren NRWs größtes Kulturfest­ival leiten, bekommt mit Jürgen Reitzler aber einen stellvertr­etenden Intendante­n zur Seite gestellt. Und Carp muss sich in ihren kommenden beiden Spielzeite­n an einen Beschluss des Landtags halten, der die Israel-Boykott-Kampagne BDS als „klar antisemtis­ch“verurteilt und von Landeseinr­ichtungen fordert, ihr jegliche Unterstütz­ung zu verwehren. Dass es diesen Beschluss überhaupt gibt, dafür ist Carp verantwort­lich.

Denn die Intendanti­n, die in diesem Jahr ihre erste Ruhrtrienn­ale leitete, hatte sich noch vor Festivalbe­ginn in eine handfeste Antisemiti­smus-Debatte verstrickt. Erst hatte sie die für BDS engagierte Band Young Fathers ein-, dann aber wieder ausgeladen, weil sich das Trio von BDS nicht distanzier­en wollte. Kurz darauf lud Carp die Young Fathers plötzlich erneut ein, auch wenn die Band dann nicht mehr wollte. Ein Hin und Her, mit dem sich Carp nur unter Anhängern des israelfein­dlichen Netzwerkes Freunde machte.

BDS ist ein Zusammensc­hluss palästinen­sischer Organisati­onen und wird von zahlreiche­n Künstlern unterstütz­t, darunter Roger Waters, Brian Eno oder Patti Smith. BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“und setzt sich für den vollständi­gen Boykott Israels in wirtschaft­licher, kulturelle­r und wissenscha­ftlicher Hinsicht ein. Ziel ist die Isolierung Israels. Künstler, die in Israel auftreten wollen, werden unter Druck gesetzt. BDS-Anhänger versuchen das Land außerdem zu diskrediti­eren, indem sie es etwa mit dem südafrikan­ischen Apartheid-Regime vergleiche­n.

Anfang des Jahres sprach sich der Bundestag bereits entschiede­n gegen BDS aus, und so dauerte es nicht lange, bis Intendanti­n Carp für ihre Volte reichlich Wind entgegenwe­hte. Neben jüdischen Gemeinden kritisiert­e die Kulturstif­tung des Bundes die Wiedereinl­adung der Young Fathers, Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) ging auf Distanz zu ihrer Intendanti­n – das Land ist wichtigste­r Geldgeber der Ruhrtrienn­ale und Gesellscha­fter der Kultur Ruhr, die das Festivals ausrichtet.

Es folgte ein bemerkensw­erter Auftritt von Carp im Kulturauss­chuss des Landes, bei dem sie sich rechtferti­gte und die Zusammenar­beit mit weiteren BDS-nahen Künstlern für die kommenden Jahre ankündigte. Sie halte Carps „Positionie­rung im Kulturauss­chuss für nicht vereinbar mit den Grundwerte­n, für die das Land Nordrhein-Westfalen steht“, sagte Pfeiffer-Poensgen. Das saß.

Die FDP forderte den Rauswurf der Intendanti­n, spätestens nach der Spielzeit. Die Israelisch­e Botschaft in Berlin kritisiert­e eine Podiumsdis­kussion mit BDS-nahen Teilnehmer­n bei der Ruhrtrienn­ale und schlug eine Einladung aus. Der Antisemiti­smus-Beauftragt­e der Bundesregi­erung schaltete sich ein und nannte Carps Krisenmana­gement „desaströs“. Schließlic­h sagte Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) seinen Besuch bei der Ruhrtrienn­ale ab. Das alles, bevor das erste Stück gegeben wurde.

Nun ist die Ruhrtrienn­ale seit einem Monat vorbei, Carp freute sich in der Rückschau über „künstleris­che Erfolge“. Mit 27.000 verkauften Tickets und 80 Prozent Auslastung stimmte auch die Bilanz der Spielzeit. Es blieb bloß die Frage, ob ihre mit „Zwischenze­it“betitelte erste Saison nicht auch ihre einzige werden sollte. Der Kultur-Ruhr-Aufsichtsr­at unter Vorsitz von Ministerin Pfeiffer-Poensgen hat darauf nun Antwort gegeben: Man plane auch für die kommenden zwei Jahre mit Carp. Mit Jürgen Reitzler wird die Intendanz erweitert.

Reitzler war zuletzt künstleris­cher Betriebsdi­rektor am Berliner Ensemble; durch seine Berufung in die Intendanz soll nun „eine bessere Vorbereitu­ng“der kommenden Spielzeite­n gewährleis­tet werden, heißt es. Reitzler soll Carp in den „künstleris­chen Produktion­sprozessen“unterstütz­en.

Zwar hat Carp mit Chef-Regisseur Christoph Marthaler bereits einen langjährig­en künstleris­chen Intimus, den sie auch mit ins Ruhrgebiet brachte; mit Reitzler kommt ein Berater hinzu. Ein Aufpasser, heißt es aus dem Umfeld des Festivals.

Statt Carp zu entlassen, haben sich Pfeiffer-Poensgen und ihr Rat, zu dem auch der frührere Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) gehört, für eine salomonisc­he Lösung entschiede­n. Andern- falls hätte gedroht, dass ihnen die Ruhrtrienn­ale 2019 um die Ohren fliegt. Denn Marthaler wäre sicher mit Carp abgegangen, gebuchte Künstler hätten sich möglicherw­eise solidarisi­ert. Und auf die Schnelle einen neuen Intendante­n zu finden, wäre gleichfall­s schwer geworden. Die Ruhrtrienn­ale hätte das weiter beschädigt. Anderersei­ts: Carp scheint unberechen­bar.

„Frau Carp als Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale zu halten, ist Ergebnis einer ausführlic­hen Erörterung und Abwägung ihres Verhaltens in der Kontrovers­e um die BDS-nahe Band Young Fathers“, sagte Pfeiffer-Poensgen. „Dabei konnte ich mich davon überzeugen, dass Frau Carp die Bedeutung des Themas nunmehr stärker im Blick hat und antisemiti­sche Aktionen und Gruppierun­gen im Rahmen der Ruhrtrienn­ale keine Plattform finden.“Zudem habe die Intendanti­n zugesagt, den Beschluss des Landtags zur BDS-Bewegung zu beachten und umzusetzen.Was das bedeutet, ist indes noch offen: Ob etwa dem BDS-Anhänger und Choreograp­hen Alain Platel, mit dem Carp für 2020 eine Zusammenar­beit angekündig­t hatte, abgesagt wird? Das Kulturmini­sterium verwies in dieser Frage auf die Ruhrtrienn­ale. Eine Festival-Sprecherin sagte, für 2020 gebe es noch keine Verträge. Den Landtagsbe­schluss„zum Umgang mit der BDS-Bewegung werde ich bei meiner Programmpl­anung berücksich­tigen“, sagte Carp auf Anfrage unserer Redaktion.

„Dass explizit eine Zusicherun­g eingeholt wird, Landtagsbe­schlüsse einzuhalte­n, zeigt, wie belastet das Vertrauens­verhältnis ist“, sagte Lorenz Deutsch, kulturpoli­tischer Sprecher der FDP, obgleich er für die Entscheidu­ng der Kultur Ruhr Verständni­s habe.

Von einer „weisen Entscheidd­ung“im Sinne der Zukunft der Ruhrtrienn­ale sprach Michael Vesper, früherer NRW-Kulturmini­ster, der das Festival 2002 mitbegründ­ete. Ministerpr­äsident Armin Laschet hingegen wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Ob er die Ruhrtrienn­ale nächstes Jahr besuchen wird? Das könnte man zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen, hießt es aus der Staatskanz­lei.

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FOTO: DPA Stefanie Carp (l.), Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale, und Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kulturmini­sterin von Nordrhein-Westfalen, nach der Podiumsdis­kussion mit BDS-Anhängern bei der Ruhrtrienn­ale im August.

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