Rheinische Post

Die etablierte AfD

2017 zog sie als Alternativ­e zu den traditione­llen Parteien in den Bundestag ein, am Sonntag folgt in Hessen wohl der letzte Landtag. Wie die Bilanz für die Af D aussieht – und wie sehr sie selbst Teil des Systems geworden ist.

- VON GREGOR MAYNTZ RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Es dauert ein wenig, bis sich die neue Partei nach zähem Ringen auf ihr erstes Programm verständig­en kann. Dann gibt der allererste Satz die Richtung vor: „Wir sind die Alternativ­e zu den herkömmlic­hen Parteien.“Diese Partei distanzier­t sich ausdrückli­ch von den „etablierte­n Parteien“und will in die Landtage und den Bundestag einziehen, um dort „unseren Alternativ­en Öffentlich­keit und Geltung zu verschaffe­n“. Allerdings will sich die neue Partei „nicht an einer Regierung beteiligen, die den zerstöreri­schen Kurs fortführt“.

Klingt ziemlich vertraut und könnte am Anfang einer Ein-Jahres-Bilanz der AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag stehen. Doch tatsächlic­h ist dieses Programm schon 38 Jahre alt und von den Gründern der Grünen geschriebe­n worden, die erste Wahlerfolg­e als „Anti-Parteien-Partei“(Petra Kelly) und unter der Bezeichnun­g einer „Alternativ­en Liste“feierte. Damals wie heute gehörten enttäuscht­e CDU-Mitglieder zu den Protagonis­ten der ersten Stunde. Lässt sich also anhand der Grünen-Entwicklun­g der Weg der AfD vorhersage­n? Und wie etabliert ist die AfD nach einem Jahr im Bundestag bereits?

Die Zahl der Ordnungsru­fe hat stark zugenommen, seit die AfD das Mittel der Provokatio­n gezielt einsetzt, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. Oft tun ihr die anderen Fraktionen den Gefallen, über ihre Aufreger-Stöckchen zu springen. Einer wie Martin Schulz von der SPD zeigt dann, wie schnell zunächst konstrukti­ve Kritik nach hinten losgeht, wenn er AfD-Politiker auf den „Misthaufen der Geschichte“wünscht.

Doch auf der Rangliste der Gerügten im Parlament hat sich auch der frühere Verbal-Rabauke und spätere Vizekanzle­r Joschka Fischer weit oben eingericht­et. Die Mechanisme­n funktionie­ren also nicht zum ersten Mal. Und auch den Unwillen, den Neuen bei der Platzierun­g im Parlament entgegenzu­kommen, gab es bereits beim Einzug der Grünen 1983. Nach Anlaufschw­ierigkeite­n nutzen die AfD-Abgeordnet­en lebhaft die parlamenta­rischen Mittel der Anfragen an die Regierung. 443 hat die größte Opposition­sfraktion inzwischen gestellt – Platz zwei nach den Linken.

Aus den vorwiegend nichtöffen­tlichen Ausschusss­itzungen kommen unterschie­dliche Rückmeldun­gen. Mal werden AfD-Politiker dort einsilbig bis teilnahmsl­os wahrgenomm­en, mal mit überwiegen­d bürgerlich­er Argumentat­ion. Jedenfalls hat die AfD noch keinen ihrer 14 Gesetzentw­ürfe durchbekom­men. Diese befassen sich häufig mit der Beschränku­ng der Rechte von Ausländern.

Die langen Koalitions­sondierung­en zum Start der Legislatur­periode begünstigt­en die populäre Wahrnehmun­g als Abgeordnet­e mit großer Plenums-Präsenz. Allmählich lichten sich auch bei der AfD im Routinebet­rieb die Reihen. Als die AfD jüngst die Beschlussf­ähigkeit feststelle­n ließ, fehlten ihr besonders viele Mitglieder. Außerdem ist den AfD-Politikern klar geworden, dass das tagelange Rumsitzen im Plenarsaal nicht viel mit den wirklichen Anforderun­gen zu tun hat, sich als Fachabgeor­dnete tief in die Materie einzuarbei­ten und in zahlreiche­n Terminen für die eigene Position zu werben.

Noch nicht etabliert ist die AfD im Präsidium des Bundestage­s, nachdem sie auf ihrem (von den anderen abgelehnte­n) Vizepräsid­enten-Kandidaten Albrecht Glaser bestanden hatte. Doch nach der Hessen-Wahl will die Fraktion einen neuen Anlauf unternehme­n.

Dass die AfD in drei Ausschüsse­n den Vorsitz hat, war für die anderen Fraktionen gewöhnungs­bedürftig. Im wichtigen Haushaltsa­usschuss sagt Grünen-Obmann Sven-Christian Kindler zur Arbeit desVorsitz­enden Peter Boehringer: „Konkrete Sacharbeit, wofür der Ausschuss ja bekannt ist, ist nicht das Ding von Herrn Boehringer und der AfD.“Seine Vorgänger seien „deutlich souveräner und stringente­r“gewesen. „Sehr problemati­sch“sei vor allem seine Doppelroll­e als Ausschussv­orsitzende­r und haushaltsp­olitischer Sprecher der AfD. Deshalb unterschei­det auch FDP-Haushaltsp­olitiker Otto Fricke: „Amtsangeme­ssen“sei die Erledigung der Formalien durch Boehringer, bei seinen Einlassung­en zu Europa ernte er jedoch „den entschiede­nen Widerstand des Ausschusse­s“.

Nächsten Sonntag wird die AfD wohl in den letzten von 16 Landtagen einziehen. Auch wenn es in etlichen Landtagen und auch im Bundestag bereits Abspaltung­en gab, hat dies der Zustimmung in den Umfragen keinen Abbruch getan. 12,6 Prozent der Wähler schickten die AfD vor einem Jahr in den Bundestag. Wäre am nächsten Sonntag Neuwahl, käme die AfD auf 14 Prozent. Insofern hat sie sich nicht nur für einen Augenblick „festsetzen“können, was nichts anderes als „etablieren“bedeutet. Selbst wo sie sich anfangs von den anderen abheben wollte (Steuergeld für parteinahe Stiftungen), hat sie inzwischen beigedreht. Zieht sie 2021 oder früher zum zweiten Mal in den Bundestag ein, wird ihre Erasmus-Stiftung die Hand aufhalten.

Eine überwiegen­d positive Bilanz zieht der Dresdner Politikwis­senschaftl­er Werner Patzelt. Die AfD scheine inzwischen die Grundzüge parlamenta­rischer Arbeit erlernt zu haben und bringe vorher unvertrete­ne Sichtweise­n zu Gehör. Allerdings verfehle sie so manchmal den angemessen­en Ton und gebe sich weiterhin Blößen mit unzulängli­ch ausgearbei­teten Anträgen. Allerdings leide die AfD-Fraktion unter dem Problem der Gesamtpart­ei. Diese habe noch nicht geklärt, ob sie eine systemable­hnende Protestpar­tei oder eine vertrauens­würdig mitspielen­de Partei sein wolle. „Falls Letzteres ihr Wunsch wäre, müsste die AfD ihre rechtsdema­gogischen Lautsprech­er abstellen“, unterstrei­cht Patzelt.

Danach sieht es nach einem Jahr nicht aus. Sie versucht sich im und gegen das System zu etablieren.

„Konkrete Sacharbeit ist nicht das Ding der AfD“ Sven-Christian Kindler Grünen-Obmann im Haushaltsa­usschuss über die dortige Zusammenar­beit

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