Die etablierte AfD
2017 zog sie als Alternative zu den traditionellen Parteien in den Bundestag ein, am Sonntag folgt in Hessen wohl der letzte Landtag. Wie die Bilanz für die Af D aussieht – und wie sehr sie selbst Teil des Systems geworden ist.
Es dauert ein wenig, bis sich die neue Partei nach zähem Ringen auf ihr erstes Programm verständigen kann. Dann gibt der allererste Satz die Richtung vor: „Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien.“Diese Partei distanziert sich ausdrücklich von den „etablierten Parteien“und will in die Landtage und den Bundestag einziehen, um dort „unseren Alternativen Öffentlichkeit und Geltung zu verschaffen“. Allerdings will sich die neue Partei „nicht an einer Regierung beteiligen, die den zerstörerischen Kurs fortführt“.
Klingt ziemlich vertraut und könnte am Anfang einer Ein-Jahres-Bilanz der AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag stehen. Doch tatsächlich ist dieses Programm schon 38 Jahre alt und von den Gründern der Grünen geschrieben worden, die erste Wahlerfolge als „Anti-Parteien-Partei“(Petra Kelly) und unter der Bezeichnung einer „Alternativen Liste“feierte. Damals wie heute gehörten enttäuschte CDU-Mitglieder zu den Protagonisten der ersten Stunde. Lässt sich also anhand der Grünen-Entwicklung der Weg der AfD vorhersagen? Und wie etabliert ist die AfD nach einem Jahr im Bundestag bereits?
Die Zahl der Ordnungsrufe hat stark zugenommen, seit die AfD das Mittel der Provokation gezielt einsetzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Oft tun ihr die anderen Fraktionen den Gefallen, über ihre Aufreger-Stöckchen zu springen. Einer wie Martin Schulz von der SPD zeigt dann, wie schnell zunächst konstruktive Kritik nach hinten losgeht, wenn er AfD-Politiker auf den „Misthaufen der Geschichte“wünscht.
Doch auf der Rangliste der Gerügten im Parlament hat sich auch der frühere Verbal-Rabauke und spätere Vizekanzler Joschka Fischer weit oben eingerichtet. Die Mechanismen funktionieren also nicht zum ersten Mal. Und auch den Unwillen, den Neuen bei der Platzierung im Parlament entgegenzukommen, gab es bereits beim Einzug der Grünen 1983. Nach Anlaufschwierigkeiten nutzen die AfD-Abgeordneten lebhaft die parlamentarischen Mittel der Anfragen an die Regierung. 443 hat die größte Oppositionsfraktion inzwischen gestellt – Platz zwei nach den Linken.
Aus den vorwiegend nichtöffentlichen Ausschusssitzungen kommen unterschiedliche Rückmeldungen. Mal werden AfD-Politiker dort einsilbig bis teilnahmslos wahrgenommen, mal mit überwiegend bürgerlicher Argumentation. Jedenfalls hat die AfD noch keinen ihrer 14 Gesetzentwürfe durchbekommen. Diese befassen sich häufig mit der Beschränkung der Rechte von Ausländern.
Die langen Koalitionssondierungen zum Start der Legislaturperiode begünstigten die populäre Wahrnehmung als Abgeordnete mit großer Plenums-Präsenz. Allmählich lichten sich auch bei der AfD im Routinebetrieb die Reihen. Als die AfD jüngst die Beschlussfähigkeit feststellen ließ, fehlten ihr besonders viele Mitglieder. Außerdem ist den AfD-Politikern klar geworden, dass das tagelange Rumsitzen im Plenarsaal nicht viel mit den wirklichen Anforderungen zu tun hat, sich als Fachabgeordnete tief in die Materie einzuarbeiten und in zahlreichen Terminen für die eigene Position zu werben.
Noch nicht etabliert ist die AfD im Präsidium des Bundestages, nachdem sie auf ihrem (von den anderen abgelehnten) Vizepräsidenten-Kandidaten Albrecht Glaser bestanden hatte. Doch nach der Hessen-Wahl will die Fraktion einen neuen Anlauf unternehmen.
Dass die AfD in drei Ausschüssen den Vorsitz hat, war für die anderen Fraktionen gewöhnungsbedürftig. Im wichtigen Haushaltsausschuss sagt Grünen-Obmann Sven-Christian Kindler zur Arbeit desVorsitzenden Peter Boehringer: „Konkrete Sacharbeit, wofür der Ausschuss ja bekannt ist, ist nicht das Ding von Herrn Boehringer und der AfD.“Seine Vorgänger seien „deutlich souveräner und stringenter“gewesen. „Sehr problematisch“sei vor allem seine Doppelrolle als Ausschussvorsitzender und haushaltspolitischer Sprecher der AfD. Deshalb unterscheidet auch FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke: „Amtsangemessen“sei die Erledigung der Formalien durch Boehringer, bei seinen Einlassungen zu Europa ernte er jedoch „den entschiedenen Widerstand des Ausschusses“.
Nächsten Sonntag wird die AfD wohl in den letzten von 16 Landtagen einziehen. Auch wenn es in etlichen Landtagen und auch im Bundestag bereits Abspaltungen gab, hat dies der Zustimmung in den Umfragen keinen Abbruch getan. 12,6 Prozent der Wähler schickten die AfD vor einem Jahr in den Bundestag. Wäre am nächsten Sonntag Neuwahl, käme die AfD auf 14 Prozent. Insofern hat sie sich nicht nur für einen Augenblick „festsetzen“können, was nichts anderes als „etablieren“bedeutet. Selbst wo sie sich anfangs von den anderen abheben wollte (Steuergeld für parteinahe Stiftungen), hat sie inzwischen beigedreht. Zieht sie 2021 oder früher zum zweiten Mal in den Bundestag ein, wird ihre Erasmus-Stiftung die Hand aufhalten.
Eine überwiegend positive Bilanz zieht der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Die AfD scheine inzwischen die Grundzüge parlamentarischer Arbeit erlernt zu haben und bringe vorher unvertretene Sichtweisen zu Gehör. Allerdings verfehle sie so manchmal den angemessenen Ton und gebe sich weiterhin Blößen mit unzulänglich ausgearbeiteten Anträgen. Allerdings leide die AfD-Fraktion unter dem Problem der Gesamtpartei. Diese habe noch nicht geklärt, ob sie eine systemablehnende Protestpartei oder eine vertrauenswürdig mitspielende Partei sein wolle. „Falls Letzteres ihr Wunsch wäre, müsste die AfD ihre rechtsdemagogischen Lautsprecher abstellen“, unterstreicht Patzelt.
Danach sieht es nach einem Jahr nicht aus. Sie versucht sich im und gegen das System zu etablieren.
„Konkrete Sacharbeit ist nicht das Ding der AfD“ Sven-Christian Kindler Grünen-Obmann im Haushaltsausschuss über die dortige Zusammenarbeit