Wir Deutschen und die Nachbarn
Wenn drei sich streiten, können alle recht haben. Disput über Merkels Land.
Neulich wurde ich Zeuge eines sich streitig, also lebhaft entwickelnden Disputs zwischen einem hier lebenden Skandinavier und einem deutschen Ehepaar. Es ging um das Ansehen der Kanzlerin, im Grunde wohl generell um die Reputation von uns Deutschen im benachbarten Ausland. Die drei zählten zu den bürgerlichen, älteren Semestern, die noch gelernt haben, nicht rhetorisch aus dem Leim zu gehen. Man ging zwar mit angezogener Handbremse aufeinander los, aber die Meinungs-Motoren dröhnten, so dass ein Beobachter zwischen Neugier und Amüsement denken mochte: Hoppla, gleich kracht’s. Der Skandinavier befand mit herausforderndem Blick, Angela Merkel sei im Ausland längst nicht mehr angesehen, und zwar nirgendwo. Das deutsche Ehepaar widersprach empört und verteidigte die Kanzlerin und mit dieser zugleich die Deutschen, die sie von einem hier lebenden Nicht-Deutschen nicht an den Pranger gestellt sehen mochten.
Was denken Sie, liebe Leser? Ist es ungehörig oder legitim, wenn ein Hausgast offen die Qualitäten der Hausherrin in Zweifel zieht und behauptet, deren Ruf sei in der Nachbarschaft ramponiert? Dürfen wir Deutschen einem Zugereisten Mäßigung bei der Kritik an uns zumuten, ihm leise Ser- vus zurufen, etwa: „Wenn Du so viel an uns auszusetzen hast, dann geh doch wieder?“
Ich neige dazu, beiden Streitparteien Recht zu geben: dem provozierenden Skandinavier, weil Merkel tatsächlich mit ihrem teutonischen Hang zur Oberlehrerin-Attitüde antideutsche Gefühle wiederbelebt hat; und dem deutschen Ehepaar, weil es, wenn auch bloß anlässlich eines kleinen Partyzwistes, der eingeübten deutschen Unart widerstanden hat, von dem Kakao, durch den man uns gelegentlich zieht, auch noch zu trinken.
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