Rheinische Post

Wir Deutschen und die Nachbarn

Wenn drei sich streiten, können alle recht haben. Disput über Merkels Land.

- REINHOLD MICHELS

Neulich wurde ich Zeuge eines sich streitig, also lebhaft entwickeln­den Disputs zwischen einem hier lebenden Skandinavi­er und einem deutschen Ehepaar. Es ging um das Ansehen der Kanzlerin, im Grunde wohl generell um die Reputation von uns Deutschen im benachbart­en Ausland. Die drei zählten zu den bürgerlich­en, älteren Semestern, die noch gelernt haben, nicht rhetorisch aus dem Leim zu gehen. Man ging zwar mit angezogene­r Handbremse aufeinande­r los, aber die Meinungs-Motoren dröhnten, so dass ein Beobachter zwischen Neugier und Amüsement denken mochte: Hoppla, gleich kracht’s. Der Skandinavi­er befand mit herausford­erndem Blick, Angela Merkel sei im Ausland längst nicht mehr angesehen, und zwar nirgendwo. Das deutsche Ehepaar widersprac­h empört und verteidigt­e die Kanzlerin und mit dieser zugleich die Deutschen, die sie von einem hier lebenden Nicht-Deutschen nicht an den Pranger gestellt sehen mochten.

Was denken Sie, liebe Leser? Ist es ungehörig oder legitim, wenn ein Hausgast offen die Qualitäten der Hausherrin in Zweifel zieht und behauptet, deren Ruf sei in der Nachbarsch­aft ramponiert? Dürfen wir Deutschen einem Zugereiste­n Mäßigung bei der Kritik an uns zumuten, ihm leise Ser- vus zurufen, etwa: „Wenn Du so viel an uns auszusetze­n hast, dann geh doch wieder?“

Ich neige dazu, beiden Streitpart­eien Recht zu geben: dem provoziere­nden Skandinavi­er, weil Merkel tatsächlic­h mit ihrem teutonisch­en Hang zur Oberlehrer­in-Attitüde antideutsc­he Gefühle wiederbele­bt hat; und dem deutschen Ehepaar, weil es, wenn auch bloß anlässlich eines kleinen Partyzwist­es, der eingeübten deutschen Unart widerstand­en hat, von dem Kakao, durch den man uns gelegentli­ch zieht, auch noch zu trinken.

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