Rheinische Post

Scheitert Schäfer-Gümbel, scheitert Nahles

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Schichtarb­eit. Zumindest im Wahlkampf. Wer gewinnen will, muss früh aufstehen. Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Am Tor des VW-Werks in Baunatal steht Thorsten Schäfer-Gümbel und verteilt Kugelschre­iber. Dass der hessische SPD-Spitzenkan­didat das Arbeitermi­lieu nicht scheut, hatte er schon im Mai 2017 demonstrie­rt. Da arbeitete Schäfer-Gümbel in der E-Motoren-Fertigung des VW-Werks mit. Elektromob­ilität ist in diesen Zeiten ein Thema. Erst recht im Wahlkampf.

Schäfer-Gümbel versucht nach zwei gescheiter­ten Versuchen 2009 und 2013 ein weiteres Mal, hessischer Ministerpr­äsidentzu werden. 2009 musste der seinerzeit noch eher unbekannte Schäfer-Gümbel als Spitzenkan­didat in vorgezogen­e Neuwahlen, nachdem die damalige SPD-Landesvors­itzende AndreaYpsi­lanti mit einer Minderheit­sregierung gescheiter­t war.

Jetzt also sein dritter Anlauf. Dass dieseWahl weit über Hessen hinaus wirken wird, treibt die SPD-Parteispit­ze seitWochen um. Es ist von einer Schicksals­wahl die Rede, denn bei den Genossen dürften die Groko-Gegner erneut für einen Ausstieg aus dem ungeliebte­n Regierungs­bündnis mit der Union trommeln, sollte das Ergebnis auch nur annä- hernd so desaströs sein wie in Bayern. Im Freistaat war die SPD auf unter zehn Prozent gefallen. Auch Schäfer-Gümbel kämpft mit dem Rücken zur Wand. Fragen nach seiner politische­n Zukunft im Land, sollte die Wahl für ihn verloren gehen, lässt er aktuell selbstrede­nd unbeantwor­tet: alles Spekulatio­n. Das Verhältnis zwischen Schäfer-Gümbel und CDU-Spitzenkan­didat Volker Bouffier gilt als angespannt. Grünen-Spitzenkan­didat Tarek Al-Wazir und Schäfer-Gümbel empfinden einander zumindest nicht als Gegner. Mit Linken und FDP pflegt Schäfer-Gümbel ein profession­elles Verhältnis. Das Blatt des SPD-Herausford­erers ist also breit gefächert. Bleibt nur die Frage: Ist Schäfer-Gümbel am Montag nach der Wahl in der Position, die politische­n Mitbewerbe­r zu Sondierung­sgespräche­n einzuladen – oder wird er eingeladen?

Alles, bloß kein weiteres Debakel – hoffen sie nach der Erfahrung bei der Bayern-Wahl auch im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Im Falle eines weiteren Erdrutsche­s könnte in der SPD-Zentrale vieles in Bewegung geraten, befindet sich die deutsche Sozialdemo­kratie ohnehin in einem steten Abwärtstre­nd. Die SPD-Bundesvors­itzende Andrea Nahles, erst im April von den Delegierte­n eines Sonderpart­eitages als erste Frau in der Parteigesc­hichte an die Spitze gewählt, muss nach dem Desaster in Bayern damit rechnen, dass sowohl der Verbleib ihrer Partei in der großen Koalition als auch ihr Posten als Parteichef­in infrage ge- stellt werden könnte. Dann könnten Groko-Gegner erneut mobilmache­n – und dieses Mal weitere Mitstreite­r für einen Ausstieg aus der Koalition mit der Union im Bund finden.

Schicksals­wahl? So weit will Nahles bewusst nicht gehen, denn damit würde sie die Hessen-Wahl zurWahl über ihre eigene Zukunft erklären. „Ich sehe das nicht als Schicksals­wahl für mich. Und auch nicht als Schicksals­wahl insgesamt.“Welche Dynamik am Tag danach einsetzt? Ob die Groko in Berlin bleibt? Sie könne überhaupt nichts garantiere­n, aber wenn sie wetten würde auf die Koalition im Bund, „würde ich sagen: Ja.“

Was soll sie auch sagen?

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FOTO: REUTERS Die Schicksals­genossen Nahles und Schäfer-Gümbel.

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