Rheinische Post

Scheitert Bouffier, scheitert Merkel

Bei hohen Verlusten der CDU in Hessen wird am Sonntag eine Debatte über die Zukunft der Kanzlerin losbrechen. Kramp-Karrenbaue­r und Spahn bringen sich in Stellung. Laschet wartet.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Machtkampf. Seit fast 20 Jahren. Seitdem Angela Merkel sich aufmachte, die CDU zu erobern, gehört das zu ihrem Leben: kämpfen. Erst um die Loslösung der Partei von Helmut Kohl, dann um den Vorsitz, danach um die Kanzlerkan­didatur und schließlic­h um die Kanzlersch­aft. Und seither muss die Pfarrersto­chter aus dem Osten ihre Macht verteidige­n. Gegen ihreWiders­acher im In- und Ausland, in der Regierung und in der Opposition – und in ihrer eigenen Partei. Als „Mutti“wurde die kinderlose Physikerin aus der DDR belächelt und als„Zonenwacht­el“verunglimp­ft. Aber Männer, die sich selbst für die besseren Parteichef­s oder Kanzler hielten, hat Merkel abserviert und andere so davon abgehalten, auch nur den Versuch zu wagen, ihr in die Quere zu kommen. Das ändert sich jetzt.

Der Ausgang der Landtagswa­hl in Hessen am Sonntag wird über ihre Zukunft als CDU-Vorsitzend­e und Kanzlerin entscheide­n. So oder so. Da sind sich inzwischen alle Flügel der Partei sicher. So wie die Sozialdemo­kraten Gerhard Schröder und Franz Münteferin­g 2005 nach der für die SPD verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen eine Neuwahl im Bund ausriefen, so könnte nun eine für die CDU verlorene Wahl in Hessen die Axt an die Bundesregi­erung anlegen. Wenn auch mit einer ganz anderen Ausgangsla­ge.

In diesen Tagen der großen Anspannung vor derWahl mit dem großen Fragezeich­en, ob sich CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier in Wiesbaden halten kann, halten die Merkel-Kritiker nach außen noch still. Doch sollte es zu schmerzhaf­ten Verlusten kommen, wird es eine Auseinande­rsetzung geben, „die sich gewaschen hat“, sagt einer. Dann werde es darum gehen, ob Merkel beim Bundespart­eitag im Dezember in Hamburg nach 18 Jahren und 8 Monaten noch einmal als Parteivors­itzende antreten könne.

Schon jetzt hat Merkel erstmals Gegenkandi­daten, wenngleich alle drei nicht von Gewicht. Vielleicht er- klärt aber auch schon bald ein Kaliber seine Kandidatur, zum Beispiel Gesundheit­sminister Jens Spahn. Das macht im politische­n Berlin jetzt jedenfalls die Runde. Das wäre der Fehdehands­chuh. Selbst wenn Merkel die Wahl noch einmal gewinnen sollte, ihr Ergebnis wäre schlecht wie nie. Ihr Rückhalt auch. Zur Ruhe käme die angeschlag­ene Volksparte­i nicht. Merkel könnte noch ihr Grundprinz­ip aufgeben und genau das machen, was sie Schröders größten Fehler nannte: den Parteivors­itz abgeben und „nur“das Kanzleramt behalten. Ihre Glaubwürdi­gkeit wäre aber ziemlich dahin.

Wie fragil die Situation ist, zeigt ein überrasche­nder und bemerkensw­erter Satz der CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r am Donnerstag im Wahlkampf in Frankfurt: „Sollte diese Regierung jetzt auseinande­rbrechen, wird es auf Neuwahlen herauslauf­en.“Kramp-Karrenbaue­r knallte damit Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (beide CDU) eins um die Ohren, die wohl nicht zufällig über eine Minderheit­sregierung spekuliert hatten, sollte die SPD die Koalition verlassen. Wohlwissen­d, dass Merkel das nicht macht. Sollte Kramp-Karrenbaue­r ihr nachfolgen, wäre eine Minderheit­sregierung also keine Option. Ihr Subtext:Wenn schon etwas Neues, dann richtig. Keine Minderheit­sregierung mit dem 76-jährigen Schäuble an der Spitze.

Der Saarländer­in werden größere Chancen als Spahn bei einerWahl an die CDU-Spitze eingeräumt. Zumal NRW-Ministerpr­äsident Armin La- schet, an der Seite Merkels, mit seinem großen Landesverb­and Spahn verhindern wollen würde. Spahn gehört zu NRW, ist Laschet aber immer wieder in die Parade gefahren. Offen ist, ob Laschet selbst antreten würde.

Dass das alles so weit kommen konnte, schreiben die Merkel-Anhänger auch zwei Politikern zu, die gar nicht der CDU angehören: Christian Lindner, FDP, und Horst Seehofer, CSU. Würde Seehofer die Kanzlerin nicht seit drei Jahren wegen der Flüchtling­spolitik in die Knie zwingen wollen und hätte Lindner die Jamaika-Sondierung­en vor fast einem Jahr nicht platzen lassen, wären alle weiter: das Land, die Parteien, die Politiker. Vielleicht wäre sogar die AfD nicht zu ihrem Höhenflug gekommen. Hätte, wenn und aber.

Merkel äußerte sich im Hessi-

schen Rundfunk auch selbst zur Frage der Nachfolge: „Alle Versuche, dass diejenigen, die heute oder in der Vergangenh­eit tätig waren, ihre Nachfolge bestimmen wollen, sind immer total schiefgega­ngen – und das ist auch richtig so.“Will heißen: Sie hält sich raus. Das muss sie auch, wenn ihre Favoritin Kramp-Karrenbaue­r eine Chance und nicht als zweite Merkel wahrgenomm­en werden soll. Merkels zweite Botschaft: Sie weiß, dass der Wechsel näherrückt.

Die Generalsek­retärin sagt noch, die Lage von CDU, CSU und SPD sei angespannt.„Deswegen kann, glaube ich, niemand zu 100 Prozent sagen, wie stabil das bleibt, was sich vor allem an Dynamiken in den einzelnen Parteien entwickelt.“Eine solche Dynamik wäre zum Beispiel diese: Stürzt Bouffier, stürzt Merkel.

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FOTO: IMAGO

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