Scheitert Bouffier, scheitert Merkel
Bei hohen Verlusten der CDU in Hessen wird am Sonntag eine Debatte über die Zukunft der Kanzlerin losbrechen. Kramp-Karrenbauer und Spahn bringen sich in Stellung. Laschet wartet.
BERLIN Machtkampf. Seit fast 20 Jahren. Seitdem Angela Merkel sich aufmachte, die CDU zu erobern, gehört das zu ihrem Leben: kämpfen. Erst um die Loslösung der Partei von Helmut Kohl, dann um den Vorsitz, danach um die Kanzlerkandidatur und schließlich um die Kanzlerschaft. Und seither muss die Pfarrerstochter aus dem Osten ihre Macht verteidigen. Gegen ihreWidersacher im In- und Ausland, in der Regierung und in der Opposition – und in ihrer eigenen Partei. Als „Mutti“wurde die kinderlose Physikerin aus der DDR belächelt und als„Zonenwachtel“verunglimpft. Aber Männer, die sich selbst für die besseren Parteichefs oder Kanzler hielten, hat Merkel abserviert und andere so davon abgehalten, auch nur den Versuch zu wagen, ihr in die Quere zu kommen. Das ändert sich jetzt.
Der Ausgang der Landtagswahl in Hessen am Sonntag wird über ihre Zukunft als CDU-Vorsitzende und Kanzlerin entscheiden. So oder so. Da sind sich inzwischen alle Flügel der Partei sicher. So wie die Sozialdemokraten Gerhard Schröder und Franz Müntefering 2005 nach der für die SPD verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen eine Neuwahl im Bund ausriefen, so könnte nun eine für die CDU verlorene Wahl in Hessen die Axt an die Bundesregierung anlegen. Wenn auch mit einer ganz anderen Ausgangslage.
In diesen Tagen der großen Anspannung vor derWahl mit dem großen Fragezeichen, ob sich CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier in Wiesbaden halten kann, halten die Merkel-Kritiker nach außen noch still. Doch sollte es zu schmerzhaften Verlusten kommen, wird es eine Auseinandersetzung geben, „die sich gewaschen hat“, sagt einer. Dann werde es darum gehen, ob Merkel beim Bundesparteitag im Dezember in Hamburg nach 18 Jahren und 8 Monaten noch einmal als Parteivorsitzende antreten könne.
Schon jetzt hat Merkel erstmals Gegenkandidaten, wenngleich alle drei nicht von Gewicht. Vielleicht er- klärt aber auch schon bald ein Kaliber seine Kandidatur, zum Beispiel Gesundheitsminister Jens Spahn. Das macht im politischen Berlin jetzt jedenfalls die Runde. Das wäre der Fehdehandschuh. Selbst wenn Merkel die Wahl noch einmal gewinnen sollte, ihr Ergebnis wäre schlecht wie nie. Ihr Rückhalt auch. Zur Ruhe käme die angeschlagene Volkspartei nicht. Merkel könnte noch ihr Grundprinzip aufgeben und genau das machen, was sie Schröders größten Fehler nannte: den Parteivorsitz abgeben und „nur“das Kanzleramt behalten. Ihre Glaubwürdigkeit wäre aber ziemlich dahin.
Wie fragil die Situation ist, zeigt ein überraschender und bemerkenswerter Satz der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag im Wahlkampf in Frankfurt: „Sollte diese Regierung jetzt auseinanderbrechen, wird es auf Neuwahlen herauslaufen.“Kramp-Karrenbauer knallte damit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (beide CDU) eins um die Ohren, die wohl nicht zufällig über eine Minderheitsregierung spekuliert hatten, sollte die SPD die Koalition verlassen. Wohlwissend, dass Merkel das nicht macht. Sollte Kramp-Karrenbauer ihr nachfolgen, wäre eine Minderheitsregierung also keine Option. Ihr Subtext:Wenn schon etwas Neues, dann richtig. Keine Minderheitsregierung mit dem 76-jährigen Schäuble an der Spitze.
Der Saarländerin werden größere Chancen als Spahn bei einerWahl an die CDU-Spitze eingeräumt. Zumal NRW-Ministerpräsident Armin La- schet, an der Seite Merkels, mit seinem großen Landesverband Spahn verhindern wollen würde. Spahn gehört zu NRW, ist Laschet aber immer wieder in die Parade gefahren. Offen ist, ob Laschet selbst antreten würde.
Dass das alles so weit kommen konnte, schreiben die Merkel-Anhänger auch zwei Politikern zu, die gar nicht der CDU angehören: Christian Lindner, FDP, und Horst Seehofer, CSU. Würde Seehofer die Kanzlerin nicht seit drei Jahren wegen der Flüchtlingspolitik in die Knie zwingen wollen und hätte Lindner die Jamaika-Sondierungen vor fast einem Jahr nicht platzen lassen, wären alle weiter: das Land, die Parteien, die Politiker. Vielleicht wäre sogar die AfD nicht zu ihrem Höhenflug gekommen. Hätte, wenn und aber.
Merkel äußerte sich im Hessi-
schen Rundfunk auch selbst zur Frage der Nachfolge: „Alle Versuche, dass diejenigen, die heute oder in der Vergangenheit tätig waren, ihre Nachfolge bestimmen wollen, sind immer total schiefgegangen – und das ist auch richtig so.“Will heißen: Sie hält sich raus. Das muss sie auch, wenn ihre Favoritin Kramp-Karrenbauer eine Chance und nicht als zweite Merkel wahrgenommen werden soll. Merkels zweite Botschaft: Sie weiß, dass der Wechsel näherrückt.
Die Generalsekretärin sagt noch, die Lage von CDU, CSU und SPD sei angespannt.„Deswegen kann, glaube ich, niemand zu 100 Prozent sagen, wie stabil das bleibt, was sich vor allem an Dynamiken in den einzelnen Parteien entwickelt.“Eine solche Dynamik wäre zum Beispiel diese: Stürzt Bouffier, stürzt Merkel.