Rheinische Post

Dem Bundeswirt­schaftsmin­ister geht es in Ankara vorrangig um politische und wirtschaft­liche Interessen Deutschlan­ds – weniger um Menschenre­chte und Rechstssta­ttlichkeit.

- VON BIRGIT MARSCHALL

ANKARA „Hallo, hallo, hier spricht der Wirtschaft­sminister“, rief Peter Altmaier ins Bordmikrof­on. Das eigentlich vorgesehen­e Regierungs­flugzeug sei kaputt, wichtige Leitungen seien von Nagetieren zerfressen. „Deshalb habe ich diesen Flieger gechartert, damit wir alle gemeinsam reisen können“, sagte Altmaier zum Auftakt seiner zweitägige­n Reise in die Türkei. An Bord der Maschine auf dem Flug nach Ankara: 83 Delegation­smitgliede­r, darunter zweieinhal­b Dutzend Geschäftsl­eute.

Er werde die Verletzung von Menschenre­chten, Meinungsfr­eiheit und Rechtsstaa­tlichkeit gegenüber Finanzmini­ster Berat Albayrak, dem Schwiegers­ohn von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, und anderen Ministern ansprechen, aber nicht öffentlich anprangern, weil das weniger wirksam sei, sagt Altmaier. „Mir kommt es darauf an, dass diese Reise geschäftsm­äßig und konkret ist, dass wir wieder Normalität in unseren wirtschaft­lichen Beziehunge­n herstellen dort, wo es vertretbar ist, und dass wir die Probleme der deutschen Wirtschaft in der Türkei klar benennen.“

Damit ist klar umrissen, welchen Charakter diese Mission hat: Nicht Menschenre­chte oder Regimekrit­ik, sondern politische und wirtschaft­liche deutsche Interessen stehen im Fokus des Wirtschaft­sministers. Beim Besuch Erdogans Ende September in Berlin war es noch zum Eklat gekommen, nachdem Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier dieVerletz­ung der Menschenre­chte kritisiert und Erdogan Steinmeier daraufhin angepöbelt hatte. Nur vier Wochen später setzt Altmaier auf po- litisches Tauwetter. „Wir wollen ein neues Kapitel aufschlage­n“, sagt er nach der Landung in Ankara.

Die Chance dafür besteht, weil die Türkei in eine tiefe Wirtschaft­skrise geraten ist und Erdogan unter diesem Druck versöhnlic­here Signale sendet. Die türkische Lira hat seit Jahresbegi­nn 40 Prozent ihres Werts verloren, die Inflation galoppiert, das Wachstum ist erlahmt, weil sich Investoren zurückhalt­en.Viele Probleme sind wegen staatliche­r Eingriffe etwa in die Geldpoliti­k hausgemach­t, doch auch von außen wird die Krise wegen der desolaten Lage in den Nachbarlän­dern verschärft.

Umgekehrt habe Deutschlan­d ein hohes geostrateg­isches Interesse an der Stabilität des Nato-Mitglieds an der Südostflan­ke der EU, sagt Altmaier. Er wolle in der Türkei deshalb Türen öffnen für deutsche Unternehme­n, aber auch deren Probleme offen ansprechen. Dass etwa Exporteure wegen eines Erdogan-Erlasses 80 Prozent ihrer Erlöse in der Türkei in türkische Lira umwandeln müssten, um dieWährung zu stabilisie­ren, mache viele Geschäfte unattrakti­v.

Albayrak, zentrale Figur in Erdogans Regierung, empfängt Altmaier wenig später mit offenen Armen. Deutschlan­d sei wichtigste­r Han- delspatner der Türkei. Man wolle durch noch intensiver­e wirtschaft­liche Kooperatio­n eine „Win-Win-Situation“herstellen, sagt Albayrak. Die Türkei sei das stabilste Land in der Region und seit 200 Jahren enger Verbündete­r Deutschlan­ds. Das Präsidials­ystem sei jetzt fest installier­t, der Ausnahmezu­stand nach dem Putschvers­uch des Militärs Mitte 2016 beendet. Gemeinsam könnten Deutschlan­d und die Türkei„die Welt stabilisie­ren“.

Altmaier antwortet dem „lieben Berat“, es habe zuletzt zwar„schwierige Momente“gegeben, und er persönlich habe sein „heißes Herz“für die Menschenre­chte nie verloren. Aber jetzt sei auch der deutschen Seite an besseren Wirtschaft­sbeziehung­en gelegen. 7500 deutsche Unternehme­n seien in der Türkei aktiv, es sollten noch mehr werden. Eine gemeinsame Handelskom­mission, die Altmaiermi­t der türkischen Handelsmin­isterin Ruhsar Pekcan eröffnet, soll die Prozesse strukturie­ren.

Nach direkten Finanzhilf­en, wie sie SPD-Chefin Andrea Nahles unlängst ins Gespräch gebracht hatte, habe die Türkei nicht gefragt, heißt es. Klar ist jedoch, dass deutsche Unternehme­n der klammen Türkei auch Finanzieru­ngsangebot­e machen müssen, wenn sie neue Milliarden­aufträge wollen. Das interessan­teste Investitio­nsprojekt wäre der Neubau des gesamten türkischen Schnellbah­n-Netzes, ein Auftrag von 35 Milliarden Euro, den Siemens gerne hätte. Die deutsche Hermes-Exportkred­itversiche­rung könnte das Projekt wegen seiner schieren Größe aber nicht komplett absichern. Altmaier und Siemens-Chef Joe Kaeser verhandeln daher über mehr Garantien von türkischer Seite.

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FOTO:DPA Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) steht vor dem Mausoleum des Staatsgrün­ders der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk.

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