Florian Illies blickt ins Jahr 1913 zurück
Das Jahr 1913 zum zweiten Mal: Der designierte Rowohlt-Verleger schreibt seinen großen Bestseller über das europäische Epochenjahr fort – wenn auch nicht mehr ganz so spannend.
Florian Illies ist erst 47 Jahre alt, hat aber schon etliche Karrierestationen absolviert: Er war Edelfeder bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Gründer der Kunstzeitschrift „Monopol“, Mitherausgeber der „Zeit“, Autor gefeierter Bestseller wie „Generation Golf“und „1913“, zuletzt Leiter des Berliner Aktionshauses Grisebach.
Illies wird allseits geschätzt als kluger, neugieriger Kulturvermittler, aber dass er demnächst nach dem Willen der Holtzbrinck-Gewaltigen die – durchaus erfolgreiche – Rowohlt-Verlegerin Barbara Laugwitz ablösen soll, sorgte doch für erhebliche Unruhe in der Bran-
„Je tiefer ich ins Jahr 1913 hineingetaucht bin, desto schönere Schätze fand ich auf dem Meeresgrund“
Florian Illies
che. Rowohlt-Autoren wie etwa Daniel Kehlmann, Martin Walser und die aktuelle Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, Inger-Maria Mahlke, murrten, Elfriede Jelinek wurde laut und zornig: „Jetzt ist schon wieder eine Frau rausgekippt worden wie Abfall.“
Floran Illies‘ jetzt veröffentlichte Fortsetzung von„1913“heißt im Untertitel „Was ich unbedingt noch erzählen wollte“. Dennoch wollt er er zu seinem neuen Job auf der jüngsten Frankfurter Buchmesse lieber nichts sagen. Nur so viel:„Man muss das Buch nicht schützen, es ist vital und geheimnisvoll und unzerstörbar. Aber es muss seinen Platz behaupten, muss es schaffen, attraktiver zu sein als der Blick zum Handy, ein Gegengift quasi.“
„1913. Der Sommer des Jahrhunderts“war tatsächlich Medizin für eine schwächelnde Lesekultur, aber in seiner kulinarisch-bunten Mosaikform selber ein Produkt aufmerksamkeitsschwacher Netzkultur und Häppchengeschichte à la Guido Knopp. Florian Illies leuchtete das Epochenjahr 1913 nicht mit dem ganz großen Scheinwerfer des Historikers aus, sondern eher mit kleinen, aber erhellenden Schlag- lichtern und impressionistischen Farbtupfern.
In seiner Collage feierte, liebte, malte und dichtete das Europa der Belle Epoque, als gäbe es kein Morgen: Der Untergang des Abendlandes war spürbar nah, aber kühne Erfinder, Revolutionäre und Avantgardisten arbeiteten rastlos am Fortschritt. So klöppelte und puzzelte Illies, gutgelaunt im Ton, lesefreundlich in der Erzählform, sein Porträt des Jahres zusammen, in dem die Moderne laufen lernte.
Kurz und gut, „1913“wurde ein Riesenerfolg, übersetzt in 27 Sprachen; selbst Guido Westerwelle sprach von einer„wunderbaren Lektüre, klug und heiter, immer unterhaltsam, nie banal“.
Jetzt, immerhin sechs Jahre später, hat Illies noch einmal nachge- legt: „Dieses Jahr 1913 lässt mich einfach nicht los. Und je tiefer ich hineingetaucht bin, desto schönere Schätze fand ich auf dem Meeresgrund.“Nun ja, das ist Klappentextpoesie.
Die Originalität und Erkenntnisqualität der geborgenen (oder von Zuträgern geborgten) Fundstücke ist beim zweiten Aufguss jedenfalls nicht mehr ganz so hoch wie beim ersten. Es gibt einige Wiederholungen, und so macht sich, auch weil Illies sich diesmal noch mehr auf ein „Buch der Liebe“kaprizieren wollte, ein gewisser Überdruss breit: So viele Affären, Amouren und Liebschaften zwischen großen Künstlern, ihren Modellen und Musen. Puccini, Caruso und D‘Annunzio liebten natürlich italienisch leidenschaftlich, aber auch andere Völker können mithalten. Proust kauft seinem Chauffeur ein Flugzeug und bringt mit seinen Korrekturwünschen Verleger und Drucker zur Verzweiflung. Eine schöne Polin spannt dem Ballettimpresario Diaghilew den schwulen Startänzer Nijinsky aus. Kafka macht Felice im Konjunktiv den Hof, Hermann Hesses Ehe ist definitiv nicht mehr zu retten. Rilke, mit seinem hypochondrischen Seelenjammer immer schon ein running gag, hat wieder mal Schnupfen und leidet sogar in Bad Rippoldsau groß.
Es gibt auch einige starke Frauen, tollkühne Fliegerinnen, exzentrische Gräfinnen, Mata Hari und Emmy Hennings, aber die MeToo-Debatte hat weder 1913 noch im Blick des Autors größere Spuren hinterlassen.