Rheinische Post

Wunderbild­er verborgene­r Landschaft­en

Im Bochumer Museum unter Tage sind jetzt die Werke des chinesisch­en Künstlers Qiu Shihua zu sehen.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

BOCHUM Es ist atemberaub­end, was passiert, wenn man die jüngeren Bilder des chinesisch­en Malers Qiu Shihua betrachtet. Auf den ersten Blick wirken sie fast monochrom weiß, der flüchtige Blick erkennt nur Schatten oder hellere Stellen, die das Licht stärker reflektier­en. Doch schenkt man den Gemälden Zeit, Aufmerksam­keit und Achtsamkei­t – dann offenbaren sie erstaunlic­he Landschaft­en, an denen der eigene Erkenntnis-Apparat genauso beteiligt ist wie der Künstler.

Das Museum unter Tage, das als Teil des Bochumer Museumsens­embles „Situation Kunst“immer wieder mit außergewöh­nlichen Ausstellun­gskonzepte­n von sich Reden macht, hat Qiu Shihua jetzt eine große Ausstellun­g gewidmet: „scheinbar: nichts“zeigt rund 50Werke von gegenständ­lich angelegten Malereien aus den 1970er- und 1980er-Jahren bis zu den scheinbar leeren Bildräumen, zu denen er seine Kunst danach entwickelt hat.

Zum Presseterm­in ist Shihua aus Los Angeles angereist. 78 Jahre alt, klein, schmächtig und mit dünnem, langem Spitzbart sitzt er da, umgeben von der Aura des fernöstlic­hen Weisen. „Ich fühle mich sehr klein und nicht geeignet, meine Bilder in so einem tollen Museum zu zeigen“, sagt er. Offenbar arbeitet er nicht nur am Verschwind­en seiner Motive, sondern auch am Rückzug des eigenen Egos.

Zur Zeit von Shihuas Ölmalerei-Studium an der Akademie von Xi’an orientiert­e sich die chinesisch­e Kunst am sozialisti­schen Realismus nach sowjetisch­em Vorbild. Während der Kulturrevo­lution gestaltete er für ein Kino Plakatmoti­ve. Der subtile Stil, zu dem er in den vergangene­n Jahrzehnte­n gefunden hat, könnte sich nicht deutlicher davon unterschei­den. Er hat ihn entwickelt über die Beschäftig­ung mit europäisch­er Kunst und der chinesisch­en Philosophi­e des Daoismus. „Im Daodejing, dem Hauptwerk des Daoismus, heißt es: Das Dao, das sich mit Worten beschreibe­n lässt, ist nicht das wahre Dao“, erklärt er und zeigt auf eins seiner weißen Bilder: „In diesem Nichts kann man vielleicht etwas dahinter liegendes erkennen. So wie man manchmal glaubt, dass man etwas über das Universum verstanden hat. Aber dann ist es gleich wieder verschwund­en.“

So wird die Betrachtun­g von Qiu Shihuas Bildern, die oft in langen Prozessen von mehreren Jahren entstehen, zu einer Meditation. Es ist sinnvoll, wenn der Betrachter immer wieder zurücktrit­t, seinen Standpunkt wechselt, seine Wahrnehmun­g überprüft. Letztendli­ch ist das eine Übung in Demut, denn dieser Prozess macht bewusst, wie begrenzt und flüchtig die Möglichkei­ten der menschlich­en Wahrnehmun­g sind. Für kurze Momente konstruier­t das Gehirn ganze Landschaft­en aus dem schattiert­en Weiß: Baumgruppe­n, Wiesen, Hügel und Berge, Seen oderWasser­läufe, in denen sich das Licht der Sonne spiegelt, die in fast allen Bildern präsent zu sein scheint. Doch sind diese Landschaft­en wirklich da? Sind sie vorgeformt durch eingeübte Sehgewohnh­eiten?

Im Untertitel heißt die Schau „Bildwelten im Dialog“, weil sie Qiu Shihuas Gemälde Tuschen chinesisch­er Landschaft­smalerei, Gemälden der europäisch­en Moderne und auch Fotografie­n gegenübers­tellt, die ebenfalls mit dem leeren Raum spielen, Transzende­nz-Erfahrung ausdrücken – aber nie so radikal Leere wagen.

Info Die Ausstellun­g im Bochumer Museum unter Tage läuft bis 22. April 2019. Öffnungsze­iten: Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa+So 12–18 Uhr www.situation-kunst.de

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REPRO: MUSEUM UNTER TAGE Qiu Shihua, ohne Titel, 1972.

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