Konzert in karnevalesker Stimmung
Aziz Shokhakimov weiß schon, was da vor ihm auf dem Dirigentenpult liegt: das Adagio aus Rachmaninows 2. Sinfonie. Und so wischt er sich erst einmal den Schweiß aus dem langen Haar, aus Gesicht und Nacken, bevor er den Taktstock wieder hebt und die Düsseldorfer Sinfoniker auf diesen Höhepunkt des Konzerts am Sonntagmorgen in der Tonhalle einschwört.
Der usbekische, noch nicht 30-jährige Dirigent weiß die Musiker mitzureißen in einen nicht bequemen Musikmix. Schon Jürg Baurs „Sinfonischer Prolog“von 1966, der als Geburtstagsgruß zum 100. des nach Worten von Intendant Michael Becker„einflussreichsten Komponisten und Lehrers seiner Generation“auf dem Programm steht, geizt nicht mit harmonischen Schroffheiten. Aber Shokhakimov arbeitet mitreißend genau an den Klangfarben, die nach dem mottohaften Anund Abschwellen der Solotrompete in den folgenden acht Minuten Ohr und Kopf freipusten. Hier winkt die Liedform herein, dort ein Schostakowitsch-Zitat, immer bleiben die Klänge fassbar, nachvollziehbar.
Das ist bei der Neuentdeckung des Programms anders. Zu diesem 2. Klavierkonzert Nikolaj Medtners von 1922 hat der famose PianistYevgeny Sudbin so viele Töne zu spielen, dass man gar nicht weiß, wohin man hinhören soll. 40 Minuten lang wälzt sich der Werk-Koloss in immer neuen, mal hochdifferenzierten, mal banal sequenzierenden Passagen durch die drei Sätze. Ein Gewusel von Themen und Motiven, eingehüllt in Breitwandsound. Allein die rhapsodische, ungemein virtuose Kadenz des 1. Satzes hat Baur’sche „Prolog“-Dimension. Schwere Kost mit großen Aufgaben für den Solisten, der eine wunderbar durchsichtige Skrjabin-Mazurka zugab.
Ja, aber Rachmaninow, die in Dresden entstandene Sinfonie mit dem Donnerschlag im 2. Satz, hat da schon anderes Format. Seine Lust zu schwelgen findet hier einen ersten Höhepunkt. Die Orchestrierungskunst ist großartig, Bassklarinette, Englischhorn sind prominent eingesetzt. Das große Klarinettensolo im Adagio ist ein Genuss. Nach diesem Satz hört man für lange Augenblicke keinen Mucks aus dem ergriffenen Publikum. Als danach das Allegro vivace dem turbulenten Schluss zustrebt, herrscht geradezu karnevaleske Stimmung im Saal.
Aziz Shokhakimov weiß auch die Musiker mitzureißen