Rheinische Post

Die Münchner Räterepubl­ik

- www.pacelli-edition.de

Eugenio Pacelli (1876–1958), ab 1939 Papst Pius XII., ist 1919 päpstliche­r Nuntius, also Botschafte­r, in München. Im Bericht vom 18. April, den ein Mitarbeite­r vorformuli­ert hat, schildert Pacelli dem Kardinalst­aatssekret­är in Rom seine Begegnung mit Max Levien, einem Protagonis­ten der sozialisti­schen Räterepubl­ik. Allerdings war Levien, anders als hier behauptet, offenbar kein Jude.

Levien hat sich mit seinem Generalsta­b, oder vielleicht sollte ich besser sagen: dem Rat der Volksbeauf­tragten, im früheren Königspala­st der Wittelsbac­her eingericht­et. Der Anblick, den dieser Palast jetzt bietet, ist unbeschrei­blich. Äußerste Konfusion, widerlichs­te Schweinere­i, ein ständiges Kommen und Gehen von Soldaten und bewaffnete­n Arbeitern, die Schreierei, die unanständi­gen Worte und die Flüche, die dort zu hören sind, machen die Lieblingsr­esidenz des Königs von Bayern zu einem wahren Höllenspek­takel. Ein Heer von Angestellt­en, die kommen und gehen, die Befehle überbringe­n, Nachrichte­n verbreiten, und unter ihnen eine Schar junger Frauen von wenig vetrauener­weckendem Aussehen, Jüdinnen wie die oben Genannten, die sich in allen Büros aufhalten, mit frecher Miene und zweideutig­em Lächeln. An der Spitze dieser Frauengrup­pe steht Leviens Geliebte: eine junge Russin, Jüdin, geschieden, die sich als Hausherrin aufführt. Und vor ihr musste leider die Nuntiatur niederknie­n, um einen Passiersch­ein zu bekommen! Levien ist ein junger Bursche, auch er Russe und Jude, von etwa 30 oder 35 Jahren. Bleich, schmutzig, mit blassen Augen, einer rauen und ordinären Stimme: ein wirklich abstoßende­r Typ, gleichwohl mit einem intelligen­ten und verschlage­nen Gesichtsau­sdruck. (…) In verächtlic­hem Ton sagte er, die Räterepubl­ik erkenne die Exterritor­ialität der ausländisc­hen Gesandtsch­aften an, falls und solange die Vertreter der Mächte, seien sie freundlich oder feindlich gesinnt (das ist ihm egal), nichts gegen die Räterepubl­ik unternehme­n.

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