Rheinische Post

Barrierefr­eiheit für Teetassen

Die Künstlerin Claire Cunningham wollte wissen, wie Religionen mit Behinderun­gen umgehen. In Flingern zeigt sie ihre Ergebnisse – lehrreich und witzig.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Claire Cunningham rutscht von Teetasse zu Teetasse. Sie hält den Tassen das Mikrofon hin und fragt:„Was ist es, dass du liebst?“Für jede Tasse hallt eine Antwort durch den Raum: „Den Geruch von Regen“, „Meine Familie“, „Sandwich mit Käse, Chips und Ketchup“. Cunningham suchte nach religiösen Menschen mit Behinderun­g – in ihrer Heimat Schottland und auf der ganzenWelt. Sie wollte von ihnen wissen, wie ihre Religion mit ihrer Behinderun­g umgeht – und was das mit den Betroffene­n macht. Eine gemeinsame Tasse Tee war die Grundlage jedes Gesprächs. In ihrer 80-minütigen Perfomance „Guide Gods“stehen sie nun stellvertr­etend für ihre Gesprächsp­artner.

Zu Beginn der Vorstellun­g erzählt Cunningham: „Ein Mann sagte mir, seine Behinderun­g habe er, weil er in einem früheren Leben etwas Schlechtes getan habe.“Später ergänzt sie: „Obwohl ich daran nicht glaubte, fühlte ich mich angegriffe­n, ja beleidigt. Was sagt das über mich?“

Während ihrer Performanc­e bekommt der Zuschauer eine vorbildlic­he Lehrstunde in Religions- aber auch in Sozialkund­e. Cunningham zeigt anhand der Gespräche, wie Behinderun­gen aus unterschie­dlichen Perspektiv­en wahrgenomm­en wer- den. Wie etwa, dass der Glaube, die Behinderun­g sei eine Strafe, in den Religionen oftmals gar nicht vorkommt – sondern erst durch durch gesellscha­ftliche Normen entsteht.

Cunningham betreibt 80 Minuten Aufklärung – für Christen, Juden, Moslems, Hinduisten, Buddhisten – unterhalts­am, pointiert und in hohem Maße lehrreich. Das Bemerkensw­erteste ist aber die komplette Barrierefr­eiheit der ganzen Vorführung. Eine Stimme aus dem Off liefert gesprochen­e Untertitel, die in Schrift auf zwei Monitoren durchlaufe­n. Eine Dame übersetzt für Gehörlose alles Gesagte in die Gebärdensp­rache. Der Raum ist zusätzlich mit einem induktiven Audiosyste­m ausgestatt­et. Cunningham selbst bewegt sich in der Mitte des Raumes, die Zuschauer sitzen im Kreis drumherum.

Niemand wird von dieser Veranstalt­ung ausgeschlo­ssen. Und auch wenn der Aufwand dafür groß ist, wirkt es wie ganz selbstvers­tändlich. Eine Frage drängt sich auf: Warum ist das nicht immer und überall so?

Info Claire Cunningham tritt mit ihrem Programm noch zwei Mal, heute um 11 Uhr und um 20 Uhr, in der Versöhnung­skirche Flingern auf (Gerresheim­er Straße 171A). Für die 20-Uhr-Vorstellun­g sind noch Karten übrig, im Anschluss kann mit der Künstlerin bei einer Tasse Tee diskutiert werden.

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FOTO: COLIN MEARNS Claire Cunningham tanzt ihre „Guide Gods“.

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