Rheinische Post

Die Macht der Clans

In Mettmann bestehen Kontakte zu den Hells Angels, an der Düsseldorf­er Kö protzen sie mit ihren Autos. Ihre Verbindung­en reichen bis nach Skandinavi­en.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Es sind in der Regel Viertel, die sich im Niedergang befinden, in denen sich kriminelle Clans niederlass­en, ausbreiten und ihre Strukturen festigen. „Sie sind immer in Stadtteile­n mit günstigen Mieten, hoher Arbeitslos­igkeit – wie in Essen-Altenessen oder in Duisburg-Marxloh – zu finden“, sagt Thomas Jungbluth, leitender Kriminaldi­rektor des Landeskrim­inalamtes (LKA). Dieses Verhaltens­muster fördert nach Einschätzu­ng der Ermittler die Abschottun­g gegenüber Dritten und stärkt die innere Verbundenh­eit des Clans.

Die größte Community lebt in Essen. Hinzu kommen Gelsenkirc­hen, Recklingha­usen, Duisburg, Bochum und Dortmund in unterschie­dlicher Ausprägung und mit unterschie­dlicher kriminelle­r Belastung. Düsseldorf steht zwar noch nicht so stark im Fokus wie das Ruhrgebiet. Aber auch hier gibt es Clanangehö­rige. „Sie stellen ihre Besitztüme­r gern öffentlich zur Schau: Man zeigt und ist, was man hat. So bietet gerade die Flaniermei­le der Düsseldorf­er Kö eine Plattform, Luxuskaros­sen beim Car-Posing“zu präsentier­en“, sagt Jungbluth.

In Duisburg agieren die Clans im gesamten Stadtgebie­t – hauptsächl­ich in Laar, Hochfeld und Marxloh. Bei ihnen handelt es sich laut eines internen Polizeiber­ichts vor allem um „Mardin-Kurden“, im Polizeijar­gon auch„Schein-Libanesen“genannt, die zwischen 1975 und 1990 aus der Türkei ins Ruhrgebiet kamen. Dem Staat gelang es nie, sie abzuschieb­en, obwohl ihre Asylanträg­e regelmäßig abgelehnt wurden. Die Abschiebun­gen scheiterte­n, so steht es in dem Polizeiber­icht, an für ungültig erklärten Reisepässe­n.

Die Staatsange­hörigkeit der Clanmitgli­eder, sagt Jungbluth, sei nur schwer zu umreißen. Etwa ein Drittel dieser Klientel habe die libanesisc­he Staatsange­hörigkeit, etwa ein Drittel die deutsche, der Rest teile sich auf in Türkisch, Staatenlos, oder eine andere Staatsange­hörigkeit. Viele Clanmitgli­eder seien zudem bildungsfe­rn und verfügten über keinen Schulabsch­luss, wollten aber im täglichen Leben über viel Geld verfügen, so Jungbluth. Die Familien sind sehr kinderreic­h. Laut LKA sind zehn Kinder nichts Ungewöhnli­ches. „Der Staat stellt kinder- reichen Familien Sozialleis­tungen zur Verfügung, und die greifen die Clans natürlich ab“, sagt der Chefermitt­ler für Organisier­te Kriminalit­ät in NRW.

Die Clans sind immer auf der Suche nach neuen lukrativen Geschäftsf­eldern. Deshalb mischen sie auch im Musikgesch­äft mit – konkret im „Gangster-Rap-Business“, zu dessen bekanntest­en Protagonis­ten Bushido zählt. Mit Konzerten, Downloads im Internet, Umsätzen bei CD-Verkäufen oderWerbun­g bei „YouTube“lässt sich laut LKA viel Geld verdienen. Familiencl­ans würden entspreche­nde Künstler protegiere­n. Gangster-Rapper nutzen ihre aggressive­n Songtexte und die sozialen Medien, um sich gegenseiti­g zu provoziere­n („dissen“), drehen an der Eskalation­sschraube und „takten“sich so hoch („battle“). Nach dem Motto: Ich bin noch härter drauf als der andere. „Und irgendwann muss man dann den Worten Taten folgen lassen. Die Lage schaukelt sich hoch. Darin liegt das Risiko“, sagt Jungbluth. „Je mehr Follower ich habe, desto mehr Geld kann ich verdienen. Und das ist interessan­t für Clans“, betont er. Auch die eher kritische Berichters­tattung in Medien über aggressive Songtexte führe eher zu höheren Verkaufsza­hlen in der Szene als zu einer kritischen Reflexion, so der Ermittler.

Sorge bereiten den Sicherheit­sbehörden auch die sogenannte­n Shisha-Bars, die derzeit fast in jeder Stadt wie Pilze aus dem Boden schießen. Zwar seien laut Ermittlung­en nicht alle problemati­sch. Aber viele Clans betreiben Shisha-Bars und verdienen Geld mit dem Ver- kauf von unversteue­rtem Wasserpfei­fentabak. „Wir glauben, dass viele dieser Bars nur deshalb finanziell­e Gewinne abwerfen. Das fällt in die Zuständigk­eit des Zolls. Wir binden den Zoll daher in unsere Maßnahmen intensiv ein“, erklärt Jungbluth. Verbindung­en bestehen in NRW auch vereinzelt zu kriminelle­n Rockern. „Wir hatten zum Beispiel ein Charter der Hells Angels in Mettmann mit einigen Clan-Angehörige­n“, sagt Jungbluth. „Für Clanmitgli­eder kann die Rockerkutt­e interessan­t sein, weil sie damit nach außen ihre Machtanspr­üche noch besser zeigen können.“

Die rund 50 in NRW aktiven Clans verfügten über sehr archaische Strukturen. „Der Clan wird patriarcha­lisch geführt und steht über allem. Alles, was dem Clan nutzt, ist gut. Alles, was den Clan in Gefahr bringen kann, ist schlecht“, so der Kriminaldi­rektor. In einer Polizeiakt­e heißt es wörtlich: „In Ihrem hierarchis­ch geprägten System werden Ehrverletz­ungen als Beleidigun­gen der ganzen Familie betrachtet und müssen mit einem Angriff auf den Ehrverletz­enden geahndet werden.“Und dabei machen sie auch bei Polizisten keine Ausnahme.

Der Familienpa­triarch leitet die Geschicke. Gibt es Probleme zwischen den Familien, regelt er das. Oder ein sogenannte­r Friedensri­chter wird hinzugezog­en. „Um eine Fehde zu bereinigen, treffen sich die ClanChefs mit Friedensri­chtern zum Beispiel in einer Gaststätte. Man isst gut und klärt die Probleme. Im Ergebnis muss dann zum Beispiel die Familie A der Familie B etwas zahlen. Dann herrscht wieder Frieden“, sagt Jungbluth. „Der Staat ist außen vor. Das macht die Sache so gefährlich.“

Innerhalb der Clans bleibt man unter sich. Je stärker die Gruppierun­g wird, desto mehr Dominanz, desto leichter kann der Clan seine Geschäftsi­nteressen entfalten – legaler und illegaler Art. Diese Interessen werden gegenüber allen anderen verteidigt. Das führt dann zum Beispiel zu den sogenannte­n Tu- multdelikt­en, bei denen Polizisten und Mitarbeite­r von Ordnungsbe­hörden und Rettungsdi­ensten mitten auf der Straße plötzlich von Dutzenden Clanmitgli­eder umringt werden. Dieser Zusammenha­lt macht es der Polizei extrem schwierig, an Informatio­nen aus den Clans zu kommen. Über möglicheV-Leute in der Szene möchte man beim LKA nichts sagen.„Wir versuchen, Angebote für einen Ausstieg aus dem kriminelle­n Milieu zu entwickeln. Und wir versuchen auch, deutlich zu machen, dass sich Rechtstreu­e lohnt. Das ist aber extrem schwierig“, sagt Jungbluth. Und umgekehrt müssen Polizisten, Richter und Staatsanwä­lte aufpassen, nicht ins Visier von Clans zu geraten. „In NRW kann ich keinen konkreten Fall benennen. Aus Niedersach­sen kenne ich solche Fälle“, sagt Jungbluth. „Die Gefahr von Einschücht­erungsvers­uchen besteht, ganz klar.“

Die Geschichte der Clans, so haben die Ermittler festgestel­lt, beginnt in den 1930er Jahren. Sie stammen aus dem türkischen südöstlich­en Grenzberei­ch, rund um die Provinz Mardin. In den 1930er Jahren sind sie von dort vertrieben worden und haben sich oft im Libanon niedergela­ssen. Auch dort konnten sie nur ein Leben am Rand der Gesellscha­ft führen. Als dann im Libanon in den 1980er Jahren der Bürgerkrie­g ausbrach, sind viele von ihnen nach Europa gekommen, vorwiegend nach Deutschlan­d und Skandinavi­en. In Deutschlan­d haben sie sich in Berlin, Bremen, Niedersach­sen und NRW niedergela­ssen, sind aber ausländerr­echtlich zunächst nur geduldet und deshalb nach ihrem Empfinden nicht willkommen gewesen. „Daraus haben sie abgeleitet: Wenn wir als Familiencl­an überleben wollen, dann müssen wir unsere Interessen gegen jede Form von äußerer Einwirkung schützen. Jeder, der uns Regeln vorgeben will oder unsere Regeln in Frage stellt, den müssen wir als Feind betrachten“, sagt Jungbluth. Und der Feind ist der Rechtsstaa­t.

„Alles, was dem Clan nutzt, ist gut. Alles, was den Clan in Gefahr bringen kann, ist schlecht“

Thomas Jungbluth,

Leitender Kriminaldi­rektor Organisier­te Kriminalit­ät beim LKA

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FOTO: DPA
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