Rheinische Post

„Schön locker bleiben“

Drei Monate nach der Bluttat und den folgenden Ausschreit­ungen reist die Kanzlerin nach Chemnitz und stellt sich Bürgern. Dort rät sie unter anderem zu Gelassenhe­it.

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senfiliale sind die Schnittblu­men Topfpflanz­en gewichen. Abend für Abend beleuchtet ein Kranz aus Grablichte­rn die Szene. Hier verlor der Deutsche mit kubanische­n Wurzeln in der Nacht des Stadtfeste­s sein Leben. Er wurde erstochen. Ein Syrer sitzt in U-Haft, ein Iraker ist auf freiem Fuß. Nach einem weiteren Iraker wird gefahndet. Die Ermittlung­en dauern an. Bilder zeigen das Opfer. Es gibt letzte Grüße. Und es gibt schriftlic­h niedergele­gte Wünsche: „Ruhe in Frieden, Da- niel, wie hoffen, dass Dein Tod nicht umsonst war.“

In einem Forum mit 120 von der örtlichen „Freien Presse“Chemnitz ausgeloste­n Bürgern muss Merkel erstmal erklären, warum sie so spät kommt. Sie habe nicht in die aufgeheizt­e Stimmung hinein kommen wollen, um sie nicht noch weiter anzuheizen, sagt sie. Aber sie bekommt auch mit, dass das mit der Polarisier­ung wieder geschieht: Vor der Veranstalt­ung in einer alten Fabrikhall­e demonstrie­ren Rechte gegen Mer- kel. „Hau-ab“-Rufe bilden nun den klangliche­n Hintergrun­d.

Eine Stunde plätschert eine Podiumsdis­kussion dahin, dreht sich um Ostdeutsch­e, die sich nicht genug gewürdigt fühlen, um Chemnitz, das laut Merkel nicht mehr Probleme habe als Rostock oder Recklingha­usen, um Kanada, wo eine Ärztin Gesundheit­sministeri­n und ein Veteran Verteidigu­ngsministe­r sei. Dann kommen die Bürger ran, und gleich die erste Frau konfrontie­rt Merkel mit ihrem Satz nach der Bundestags­wahl, wonach es nichts gebe, was sie falsch gemacht habe. Das sei „ganz schlimm“gewesen, sagt die Fragestell­erin mit bebender Stimme. Merkel bekennt, dass ihr dieser Satz sehr um die Ohren gehauen worden sei und sie diese Feststellu­ng auf den zurücklieg­enden Bundestags­wahlkampf bezogen habe.

Merkel fragt, was die Chemnitzer­in besonders gestört habe. Die Antwort: Es gehe um das „Chaos“, das Merkel seit 2015 angerichte­t habe,

und dass alle darauf warteten, dass sie ihre Fehler zugebe. Jetzt steht die Flüchtling­skanzlerin infrage. Und diese gibt einen Fehler zu. Dieser liege nicht darin, die ankommende­n Flüchtling­e menschlich behandelt zu haben. „Mein Fehler lag vor der Ankunft“, sagt Merkel und bedauert, nicht dafür gesorgt zu haben, dass die nahe ihrer Herkunftsl­änder lebenden Flüchtling­e dort ein Auskommen hatten.

Ihr Satz „Wir schaffen das“findet Kritik – und wird von Merkel verteidigt.„Was wäre ich für eine Bundeskanz­lerin, wenn ich das Gegenteil sagen würde“, sagt sie. Die nächste kritische Frage setzt an Merkels Feststellu­ng von 2004 an, wonach„Multikulti gescheiter­t“sei, und warum sie dann seit 2015 eine andere Politik mache. Merkel interpreti­ert Merkel: Man scheitere, wenn man nicht auf Integratio­n setze, sondern die Nationalit­äten nur nebeneinan­der leben lasse. Weiter geht es mit dem UN-Migrations­pakt. Der Fragestell­er lädt das Publikum ein, sich den Demos vor der Tür anzuschlie­ßen, die auch dagegen protestier­ten. Da wird auch Merkel noch deutlicher und sagt, dass über diesen Pakt „viele Lügen“verbreitet würden. Deutschlan­d erfülle alle darin enthaltene­n Verpflicht­ungen, könne es aber nur schaffen, wenn auch die anderen Länder diese Standards erfüllen.

Die Kritiker bleiben sicher: „Wir schaffen das nicht.“Und Merkel bleibt es auch:„Wir werden die Probleme bewältigen können.“

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FOTO: DPA Rechte Gruppen demonstrie­ren in Chemnitz gegen den Besuch von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

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