Union will an Hartz IV festhalten
Während SPD und Grüne ein Ende von Hartz IV wollen, zeigen CDU und CSU auf die Vorzüge des Systems. Einigen Genossen gehen die Ideen von SPD-Chefin Nahles aber nicht weit genug.
BERLIN/DÜSSELDORF Führende Unionspolitiker haben das System der Grundsicherung gegen Vorschläge von SPD und Grünen verteidigt, Hartz IV abzuschaffen und durch ein neues Sozialstaatskonzept zu ersetzen. „Ob es gefällt, oder nicht. Ohne Überprüfungen und notfalls Sanktionen geht es nicht. Fördern und Fordern bleibt als Grundgedanke von Hartz IV richtig“, sagte der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, unserer Redaktion. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will keine Abkehr. „Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen“, sagte er der „Welt“. Die Reformen hätten geholfen, Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Sie gehen zurück auf eine Kommission unter Vorsitz des früheren VW-Managers Peter Hartz. Die Idee: Angesichts einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent sollten mehr Menschen Jobs bekommen, auch wenn diese vor allem im Niedriglohnsektor entstehen würden.
Mit dem besonders umstrittenen Paket Hartz IV kam die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wer länger als ein Jahr arbeitslos war, bekam nur noch Unterstützung nahe des Existenzminimums – unabhängig davon, wie viel man vorher verdiente oder wie lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wurde.
Sozialdemokraten und Grüne fordern nun tiefgreifende Verän- derungen, um das System gerechter zu machen. Sie kritisieren etwa, dass das Armutsrisiko durch Hartz IV hoch sei, insbesondere für Kinder. Am Samstag hatte SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles in einem Gastbeitrag für die„Frankfurter Allgemeine Zeitung“eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland angemahnt. So sieht Nahles in den Sanktionen des Hartz-IV-Systems ein „Symbol für das Misstrauen des Staates“gegenüber den Bedürftigen. Nahles will die Grundsicherung auf ihren Kern als soziales Netz zurückführen, das Betroffene mit einem Rechtsanspruch auf Weiterbildung auch schnell wieder verlassen sollen. Höherer Mindestlohn, mehr Zuschüsse und Hilfen für Kinder sollen den Abstand von Menschen mit niedrigen Einkommen zur Grundsicherung vergrößern. Nahles bringt dafür den Begriff des Bürgergelds ins Gespräch.
Spahn findet derlei Vorschläge „schlicht unfair“. Man helfe Menschen in Not. „Aber jeder, der kann, soll, so weit er kann, auch mit anpacken“, sagte Spahn. Die, die je- den Morgen aufstehen und arbeiten, dürften nicht die Dummen sein. Bei den Genossen findet Nahles viel Unterstützung. Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, sieht darin eine gute Diskussionsgrundlage. „Dass wir heute fast Vollbeschäftigung haben, ist auch einVerdienst der Agenda-Politik“, sagte Kahrs. Doch heute müsse gegen die Ausnutzung von Leiharbeitern etwas getan werden.
Juso-Chef Kevin Kühnert lobte Nahles’ Vorstoß ebenfalls. Die Vorschläge für ein Bürgergeld seien „ein erster Befreiungsschlag“in der Debatte um den Sozialstaat nach Hartz IV. „Aus drangsalierenden Sanktionen müssen Positivanreize werden, beispielsweise durch gebührenfreien ÖPNV“, sagte Kühnert. Der Vorschlag einer Kindergrundsicherung nach dem Prinzip „jedes Kind ist gleich viel wert“sei überfällig. Im Gegensatz zu den Vorschlägen von Grünen-Chef Robert Habeck würde Nahles richtigerweise auf Sicherheit setzen, also die Stärkung von Rechtsansprüchen in den sozialen Sicherungssystemen.
Die rot-grüne Bundesregierung schuf 2003 eine Reform, die sich die Union nie getraut hätte. Sie legte Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammen und kombinierte daraus eine Leistung, die all denen zukommen soll, die aus eigener Kraft kein eigenes Einkommen erzielen können. Damit manche Arbeitnehmer nicht inVersuchung geraten, sich ihren Lebensunterhalt vom Staat bezahlen zu lassen, achteten SPD und Grüne darauf, dass zwischen aktuellen Löhnen und der neu geschaffenen Grundsicherung ein hinreichender Abstand besteht. So sollte ein starker Anreiz entstehen, tatsächlich Arbeit aufzunehmen.
Von diesem System, das Deutschland seit 2005 über sechs Millionen neue sozialversicherungspflichtige Jobs einbrachte und die Arbeitslosigkeit auf Tiefstände drückte, will sich die SPD mit aller Gewalt verabschieden. Die Parteivorsitzende Andrea Nahles hat mit der Idee des Bürgergelds nun genau die Variante vorgeschlagen, die das Lohnabstandsgebot beseitigt, für viele Beschäftigte der unteren Lohngruppen Schwarzarbeit attraktiv und die Aufnahme regulärer Arbeit zum Minusgeschäft macht.
Das widerspricht dem Leistungsgedanken, dem sich die SPD ausdrücklich verpflichtet fühlt. Denn es sind die Steuern der Facharbeiter und der Mittelschicht, die für die Einkommenssicherung derer aufkommen, die sich im Niedriglohnsektor befinden. Um den Lohnabstand wenigstens ansatzweise halten zu können, schlägt Nahles eine Vielzahl von Subventionen für Niedrigverdiener und Aufstocker sowie eine Erhöhung des Mindestlohns und Zuschüsse zur Sozialversicherung vor. Das alte System der rot-grünen Regierung wird damit auf den Kopf gestellt.
Die Sozialdemokraten haben recht, wenn sie sich darüber empören, dass Reiche sich über geheime Konten und raffinierte Sparmodelle der Steuerpflicht entziehen. Sie dürfen aber nicht zulassen, dass die Steuerzahler den Eindruck gewinnen, sie alimentierten Menschen, die nicht arbeiten wollen oder vom Staat kassieren und ihre Kasse mit Schwarzarbeit aufbessern wollen.
Es ist zweifellos nicht einfach, von den Hartz-IV-Sätzen auf Dauer zu leben. Die Aufgabe des Staates aber ist es nicht, einen angemessenen Lebensstandard für alle zu garantieren, sondern alle dazu Fähigen in die Lage zu versetzen, ein solches Einkommen zu erzielen.
Das ist das Prinzip des Förderns und wäre zugleich zukunftsgerichtete SPD-Politik. Schade, dass diese stolze Partei noch immer die Schlachten der Vergangenheit schlägt, um ihr Hartz-IV-Trauma zu überwinden. Bei den Wählern dürfte diese Form der Vergangenheitsbewältigung wenig Anklang finden.